Zeitenwende? Zeitenende! Die Suche nach einer neuen Ordnung kann nicht in der bis an die Zähne bewaffneten Verteidigung der alten bestehen. Der Begriff der Zeitenwende suggeriert, dass jetzt etwas anders geworden ist. Das ist kein Clou, auch wenn das ganze Zustimmungsorchester es als einen solchen feiert. Das ist eher eine laue Nuance. Denn, was hat sich geändert? Die USA, vor allem die dortigen Demokraten, halten an ihrer alten Expansionspolitik nach Osten fest, so wie sie sie seit 1989 trotz anderweitiger Beteuerungen betrieben haben. Der Verweis der Jubeljournalisten, die Geschichte interessiere nicht, es gelte nur das Heute, ist etwas für Amöben, aber nicht für Menschen mit einem funktionierenden Denkapparat.
Die Zeitenwende, meine sehr verehrten Damen und Herren, besteht in der Aufgabe verschiedener Optionen für die Wahrnehmung eigener Interessen in der internationalen Politik. Die Zeitenwende bedeutet, im Klartext, die bedingungslose Unterordnung unter die politischen Leitlinien der USA, auch wenn die deutschen wie die europäischen Interessen sich zum Teil von denen Washingtons unterscheiden. Denn die sehen auch ein Konkurrenzverhältnis zum europäischen Markt wie zur europäischen Währung. Der Dollar als globales Zahlungsmittel ist eine zentrale Säule des Imperiums. Wenn der Dollar in Gefahr gerät, dann werden Kehlen aufgeschlitzt. Sehen Sie sich die jüngere Geschichte an! Immer, wenn von irgendwo auf der Welt der Versuch unternommen wurde, den Dollar als globale Leitwährung in Zweifel zu ziehen, gab es Leichen.
Die andere Säule ist die militärische Dominanz. Da ist eine Auseinandersetzung zwischen europäischen Verbündeten mit dem systemisch seit der Geburtsstunde des globalen Imperiums ausgemachten Feind Russland eine durchaus willkommene Episode. Und so kam, was geplant war und kommen musste. Während man sich in Washington auf den Showdown mit China vorbereitet, werden in Europa Ressourcen verpulvert und Markvorteile liquidiert. Sage da einer, das spiele den Kriegern im militärisch-industriellen Komplex jenseits des Atlantiks nicht in die Karten! Wer das leugnet, hat die Behandlung mit der pseudo-pädagogischen REHA der Geschichtsinquisition erfolgreich überstanden. Wenn das die Zeitenwende ist, dann besteht das Programm aus einer gefährlichen, an das Schicksal verschiedener Sekten erinnernden Vision. Nämlich der kollektive Suizid.
Und tatsächlich ist der Begriff der Zeitenwende eine Verniedlichung eines Prozesses, der besser als Zeitenende bezeichnet werden muss. Die Auflistung dessen, was zum Ende gelangt ist, ist lang. Da existiert kein wie auch immer gearteter, mit Fehlern behafteter, aber dennoch haltender Frieden zwischen systemischen Konkurrenten. Da existieren keine Tabus mehr, wenn die geilen Hähne des Politikspektakels nach militärischer Vorherrschaft schreien. Da wird zum Generalangriff auf auf alles geblasen, was Millionen Menschen in Form von Arbeitsplätzen eine wirtschaftliche Existenz gesichert hat, wie bescheiden die auch aussah. Da werden unterschiedliche Ansichten mit Treibjagden belegt, die zum Teil zur existenziellen Vernichtung führen. Da ist Wissen jenseits dessen, was Herrschaft benötigt, als grundsätzlich suspekt gebrandmarkt. Da wird mit der Moral jongliert, als handle es sich um einen Zirkustrick. Da herrscht auf allen Kanälen Zensur, öffentlich wie privat. Grundrechte? Privatisiert! Und da rennen Charaktermasken durch die optischen Kanäle, die in Soap Operas der Marke Psycho passen würden und erklären dem verzweifelten Michel, dass alles seine Ordnung habe, nur die Zeiten, die Zeiten hätten sich eben geändert.
Tja, die von vielen als die gute, alte Zeit bezeichnete Periode ist tatsächlich zu Ende. Gut war sie wohl nicht, sonst hätte sie nicht hervorbringen können, vor dem wir staunend stehen. Am besten wäre es, Schluss zu machen mit dem Alten wie dem Neuen. Die Zeichen stehen auf Anfang. Sonst ist nämlich Ende.
