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Eskalation: Zweifel am Selbsterhaltungstrieb

Heute Morgen hatte ich zwei Bilder in meiner Post, die mir ein Freund geschickt hatte. Sie zeigten das Zentrum von Tripolis in Libyen kurz vor und nach den Bombardements durch die amerikanische und britische Luftwaffe. Die Bilder glichen denen, die wir nun seit einem Monat aus der Ukraine gezeigt bekommen. Sie zeigen die Verheerungen des Krieges. Unabhängig davon, ob ein Krieg formal dem Prozedere des Völkerrechts entspricht oder nicht, das Ergebnis für die Bevölkerung ist immer das gleiche: Tod, Zerstörung, Flucht. Wer dort, und deshalb bin ich meinem Freund für die Erinnerung sehr dankbar, wer dort beginnt zu relativieren oder im einen Falle kalt und bleibt und im anderen hitzig wird, der ist verführt oder führt nichts Gutes im Schilde. Umso verwerflicher ist es, dass man die eigenen Taten totzuschweigen gedenkt, während die der anderen Seite an den Pranger gestellt werden. Unaufrichtigkeit ist ein Gift, das den Krieg begünstigt. Im Kleinen wie im Großen. Vergessen Sie das nicht!

Was den Krieg in der Ukraine angeht, so erleben wir noch einmal etwas, das wie ein Anachronismus wirkt. Nicht, weil es sich um einen Krieg handelt, denn der hat die Jahrzehnte nach dem II. Weltkrieg immer wieder begleitet, von Vietnam bis nach Afghanistan. Aber, was sich in der Art und Weise, Kriege zu führen, seitens des Westens geändert hat, findet sich wieder in dem Slogan „No Boots on the Ground“, keine Bodentruppen, solange nicht sichergestellt ist, dass  durch vorherige Luftschläge der Boden einigermaßen sicher gemacht wurde. Es hat etwas damit zu tun, dass sich die führenden Länder des Westens, allen voran die USA, in der Wahrnehmung von Kriegen verändert haben. Sie befinden sich, wie es so treffend formuliert wurde, bereits in einem postheroischen Stadium. Der Slogan, alles für die Gemeinschaft, die Nation oder die Heimat zu geben, gilt seit langem nicht mehr als Konsens, um in Konflikte gehen zu können. 

Das, was sich heute auf dem Territorium der Ukraine abspielt, ist das gegenteilige Konzept. Da trifft eine sich noch im Zeitalter des Heroismus befindliche russische Armee mit den Stiefeln direkt in der Ukraine und stösst dort auf einen Widerstand, der dokumentiert, dass die Ukraine sich noch längst nicht im postheroischen Stadium befindet. Auch dort herrscht nach wie vor der Heroismus. Demzufolge steht vor allem das westliche Publikum staunend vor diesem Geschichtsfilm, der das Vorgehen wie das Grauen eines antiken Krieges noch einmal vor Augen führt. Breitete er sich aus, ergriffe er auch das betrachtende Publikum, dann würde sich die Qualität sehr schnell ändern, denn ohne Heroismus gibt es keinen nennenswerten Widerstand. Und wenn die Mentalität fehlt, dann glaubt man, dieses essenzielle Gut durch Technologie ersetzen zu müssen. Das Ende einer solchen Logik ist final, genaue gesagt, letal.

Das begreifen die Betrachter, die die öffentliche Meinung formen, in der Regel nicht. Sie meinen, die westliche Zivilisation, die durch ihre Doppelmoral bereits zersetzt ist und die sich im postheroischen Stadium befindet, könne einen Krieg gegen heroisch konstituierte Nationen gewinnen. Es ist ein Irrglaube, der zur größten Gefahr avanciert ist. Die Eskalation ist der falsche Weg. Betrachtet man die Nonchalance, mit der zunehmend jede auf eine Friedensordnung fokussierte Stimme zum Schweigen gebracht werden soll, dann können, nein, dann müssen Zweifel am Selbsterhaltungstrieb aufkommen.