Da war es und schimmerte auf wie ein freudiges Ereignis aus längst vergangenen Zeiten. Es zeigte mir, wie schnell und unwiederbringlich der falsche Weg eingeschlagen ist. Da spielt dann das, auf was man sich beruft, gar keine Rolle mehr und es überwiegt eine Eigendynamik, die rapide das angenommene Selbstbildnis zu einer Fratze entstellt. Doch eins nach dem anderen! Die, nicht umsonst im eigenen Land spärlich beachtete Schriftstellerin Jenny Erpenbeck, die momentan durch den ihr in London zugesprochenen International Bookerprize etwas mehr in den Fokus geraten ist, wurde bereits vor einiger Zeit in der New York Times gewürdigt. Und wie nannte man sie dort? „Erpenbeck is among the most sophisticated and powerful novelists we have.“ Was mir gleich ins Auge stach und sich nicht auf die lobenden Attribute bezog, war das „we have“! Es drückte eine Zugehörigkeit aus, die man in New York, in den Vereinigten Staaten, zu einer deutschen Schriftstellerin aussprach. Das war das, was an Zeiten erinnerte, in denen es positive Identifikationen gab. Mit Kultur, Literatur, Musik, mit Sport, mit technischen Errungenschaften, mit Liberalität.
Es mutet an wie eine Totenklage, dass eine derartige Formulierung so etwas auslöst wie ein retrospektives Glücksgefühl. Als Gemeinsamkeit noch formuliert wurde als etwas Positives, das im Bereich der menschlichen Kreativität liegt. Gesellschaften, bis hin zu Hemisphären, die zu so etwas in der Lage sind, haben nicht nur einen Status von hoher Attraktivität, auch für andere, sondern sie können auch von sich behaupten, eine gute Zukunftsprognose zu haben. Denn wenn Wettstreit als ein Metier beschrieben wird, in dem die Gemeinschaft gewinnt, dann ist vieles möglich.
Wie spröde und dürr wirken dagegen die Zeiten, in die wir herab geglitten sind. In denen exklusiv die Feindbilder regieren. In denen niemand von denen, die die offiziellen Texte sprechen, darüber reden können, was gelingt, was fasziniert und was das Leben lebenswert macht. Stattdessen werden Dystopien beschrieben, werden Register menschlicher Untaten erstellt, wird dem Belzebub das Gesicht des Fremden gegeben. Der Preis für diese Abgleitung ins Negative ist die wachsende Unmöglichkeit, das Gelungene hervorzuheben. Immer mehr misslingt im eigenen Verantwortungsbereich, stattdessen werden zunehmend Parolen geschrien, die die eigene Überlegenheit anpreisen. Nur Beispiele, wo und durch wen das gelingt, Beispiele werden nicht mehr gefunden. Und, wie es so ist, wenn nur noch reklamiert, aber nichts geliefert wird, die Stimmung im eigenen Ressort wird immer schlechter und die Betrachter von außen schauen nicht mehr fasziniert, sondern zunehmend verständnislos und angewidert auf das Schauspiel, das ihnen geboten wird.
Ich kann mich nicht daran erinnern, eine Formulierung, die der aus der New York Times gleichkäme, in den Journalen aus dem in Rage geratenen Germanistan in den letzten Jahren gelesen zu haben. Der Abgrund, dem Nietzsche die Fähigkeit zuschrieb, auch in die zurückschauen zu können, die auf ihn hinunterblicken, hat dieses bereits getan. Die Faszination, die Attraktion, die von etwas ausgehen könnte, das kritisch, kreativ, verstehend und Fragen stellend Möglichkeiten beschriebe und Perspektiven aufzeigte, ist dahin. Mediokre Schreihälse reklamieren in unsäglicher Banalität eine Überlegenheit, die es nicht mehr gibt. Das „we have“ ist in weiter Ferne.
