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Von Moralisten und Komplizen

Jetzt, kurz vor den amerikanischen Wahlen, taucht das Phänomen wieder in voller Blüte auf. Da baden sich die Beobachter und Kommentatoren in einer Orgie von Entrüstung über die Kandidaten. Zugegeben, sowohl Clinton wie Trump sind Exemplare einer Spezies von Politikern, wie wir sie hier noch nicht kennen, aber bestimmte Grundwesenszüge sehen wir auch hier. Doch darum geht es nicht. Entscheidend scheint zu sein, dass es zu großer Erholung führt, Politikern einen Berufs- wie Lebensstil nachzuweisen, der weit von dem entfernt ist, was der legendäre kleine Mann sich so vorstellen kann. Und es führt dann auch folglich zu zwei Reaktionen, die sehr logisch sind.

Die eine Reaktion konzentriert sich auf die moralische Entrüstung. Da überwiegt der Tenor, dass man mal wieder sieht, wie verkommen die Profession doch ist und, da ist man sich bereits seit Urzeiten einig, dass Politik ein schmutziges Geschäft ist. Die zweite Reaktion, die ebenso logisch ist, gibt sich etwas selbstkritischer und geht davon aus, dass jeder Mensch, der in die Position eines Politikers käme, sich so verhalten würde. Die Gelegenheiten, die sich für Politiker aufmachen, sind zu nutzen, und wer das nicht mache, sei dumm. Da treffen Moralismus auf Finesse, der Moralismus tritt in der Regel wesentlich lauter auf, aber die andere Position ist genauso häufig vertreten.

Gemein ist den beiden Analysen nur, dass sie die Umstände, in denen sich die Politik treibenden Menschen befinden, als eine beschreiben, in der in der Regel Dinge möglich sind und häufig passieren, die das normale Leben nicht eröffnet. Der Zugang zu den Opportunitäten wird gewährleistet über den Schlüssel zur Macht. Dort, wo Macht im Spiel ist, sind auch die Mittel, zu verführen, zu bestechen und zu verfallen. Da alles, was mit diesen Stimuli in Verbindung steht, durchaus menschlich ist, stellt sich die Frage, wie damit vernünftig umzugehen ist, ohne mit dem moralischen Zeigefinger oder als Komplize dazustehen.

Zurück zum Wahlkampf in den USA: Das, was tatsächlich erzürnt, sind die Verhältnisse, in denen sich die älteste Demokratie der Neuzeit befindet. Wie sind Verhältnisse zu beschreiben, in denen Figuren avancieren, die sich nicht ihrem Metier der Gestaltung sozialer Verhältnisse widmen, sondern sich exklusiv den Interessen partikularer Nutznießer widmen? Dass, vor allem angesichts der jüngsten sozialen Kahlschläge in der amerikanischen Gesellschaft, sich immer schillerndere Gestalten zu diesem Spiel hergeben, liegt doch eigentlich auf der Hand. Da die politische Programmatik verwässert ist bis zur Unkenntlichkeit, können sich diese Unholde, über die sich medial momentan so aufgeregt wird, so entwickeln und halten. Eine Hillary Clinton ist ebenso eine Ohrfeige ins Gesicht der amerikanischen Gesellschaft wie ein Donald Trump. Programmatisch ist das, was beide von sich geben, gleich chaotisch. Das Perverse ist, dass es darauf gar nicht mehr ankommt.

Auch die europäische Politik unterscheidet sich von dieser amerikanischen Tendenz nicht. Die Lobby in der City of London schickt analog ihre Kandidaten ins Spiel und die Lobbyisten der Deutschland AG suchen die am schlechtest sitzenden Anzüge, um mit ihnen das Gleiche zu machen. Es geht seit langem nicht mehr um das, was Politik erreichen soll, sondern um die Figuren, die sich für das Spiel mit den Leckereien am empfänglichsten zeigen. Und solange keine Fragen nach den tatsächlichen politischen Plänen gestellt werden, wird das Spiel so weiter gehen.

Die Teleologie der Verwirrung

Unter didaktischen Gesichtspunkten hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten eine völlige neue Institution in der Bildung öffentlicher Meinung etabliert. Es ist der unter der Chiffre Talk Show zur Schau gestellte Diskurs über scheinbar relevante gesellschaftliche Fragen. Das Setting kam, wie so oft, aus den USA und entspringt dem durchaus positiven Gedanken, dem, was öffentliches Interesse erregt, einen wiederum öffentlichen Raum zu geben, in dem diskursive Reflexion stattfinden kann.

Doch das, was ursprünglich als eine Avance an eine direktere Form von Demokratie verstanden werden konnte, unterliegt wie immer einer nahezu tödlichen Ambivalenz. Die Ablösung der Eliten durch das Volk hatte schnell ein Ende und aus einer sehr virulenten Gegenöffentlichkeit wurde sehr schnell ein professionell fragwürdiges Setting, in dem Dauerakteure gleich Sprachautomaten ihre Dogmen in eine scheinbar hitzige Debatte schleuderten. Positionen wurden nicht verändert, die herrschende Doktrin nie demontiert und die Möglichkeit von tatsächlichen Alternativen systematisch blockiert. Neben den Sprachautomaten unterschiedlicher Couleur tauchten die Moderatorinnen oder Moderatoren auf, deren Job es war und ist, die herrschende Doktrin von Zeitgeist und Modernität in dem jeweils günstigsten Licht erscheinen zu lassen.

Der andernorts beklagte Verlust einer politischen Programmatik fand in dem Medium der Talkshows seine Entsprechung. Die Betrachtung des Ganzen, die Identifizierung eines gesellschaftlichen Konsenses und die Ableitung daraus auf das erregende Einzelne wurde ersetzt durch die Betrachtung des Partikels und, wenn es hoch kommt, den Schluss von dort auf das Ganze. Das, was als das große Prinzip der Deduktion bezeichnet werden kann, die Ableitung des Einzelfalls von einer holistischen Weltbetrachtung, fand Ersatz im Prinzip der Induktion, in dem seinerseits der Einzelfall dazu dient, um auf ein vermeintlich höheres Ganzes zu schließen, dem jedoch niemand mehr folgen kann, weil es gar nicht mehr existiert. Das Ergebnis ist eine chronische Irritation und böse Zungen behaupten, darin läge der ganze Sinn der Übung.

Das, was dann in der Chronologie der Ereignisse auftaucht, sind Schlagworte, die hoch emotionalisieren, aber kaum noch etwas klären. Ein amerikanischer Freund, nicht der deutschen Sprache mächtig, der ein bis zweimal im Jahr den Weg nach Deutschland findet, begann ein Spiel damit, dass er nach Schlagwörtern fragte, die er immer wieder in den Radionachrichten hörte und unter denen er sich nichts vorstellen konnte. Das Spiel begann mit der Frage Whats Lüchow-Dannenberg?, hatte jedes Jahr mindestens ein bis zwei neue Aspekte, mal Kachelmann, mal Fukushima, mal Nokia Bochum, mal Edathy, mal Parteispenden, mal Atommüll und Waldsterben, mal Flüchtlingskrise oder Böhmermann.

Die Hitze, die sich mit den Schlagworten verbindet, strahlt bei ihrer Nennung noch ab. Die traurige Bilanz dieser wenigen, in dem Spiel mit dem amerikanischen Freund zitierten Begriffe, ist eine praktische Folgenlosigkeit sondergleichen. Ihre Bearbeitung im öffentlichen Raum hat zu einer jeweils moralischen Positionierung der Gesellschaft beigetragen, aber nicht zu rational getroffenen politischen Konsequenzen.

Diese Kritik auf das Medium der Talk Show zu reduzieren wäre jedoch weit überzogen. Die Demoskopie als synthetische, psychedelische Droge vieler Politiker hat jedoch dazu geführt, dass sich große Teile der politischen Klasse mehr um die Zugehörigkeit zu der korrekten moralischen Position gekümmert hatten als um die politisch sinnvolle Konsequenz. Nur so konnte das Medium der Talk Show zu dem verkommen, wie es heute erlebbar geworden ist. Eine Reflexionsrunde von gesellschaftlich Irrelevanten, deren Teleologie die Verwirrung ist.