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Es kommt so, wie es kommen musste!

Es fällt auf, dass die Eckpunkte des vor der Unterzeichnung stehenden Koalitionsvertrages relativ wenig Resonanz in der Öffentlichkeit zur Folge hatten. Obwohl darin genug nicht steht, was zumindest die Wählerinnen und Wähler der beteiligten Parteien, mit Ausnahme der FDP, enttäuscht haben müsste. Diejenigen, die sich anders entschieden haben, sind davon ohnehin nicht begeistert. Es fällt weiterhin auf, dass im Gegensatz zu der Nonchalance, mit der das Regierungsprogramm aufgenommen wurde, die Benennung einzelner Ministerinnen und Minister für die jeweiligen Ressorts zu sehr emotionalen Reaktionen führt. Liest man die aktuellen Kommentare, die zu den neuen Köpfen geschrieben wurden, dominiert das Entsetzen.

Diese Art der Reaktion dokumentiert einen Wandel in der mehrheitlich wahrgenommenen Vorstellung des politischen Systems. Wie vor allem von den öffentlichen Medien vorexerzierten Triells wird der Eindruck suggeriert, dass wir es hier mit einem präsidialen Regierungssystem zu tun haben, in dem es exklusiv auf die Personen ankommt, die bestimmte Positionen bekleiden. Zumindest von der Verfassung ist das nicht so vorgesehen. Da ist die Rede von einem Parteiensystem, das seinerseits nach eigenem Programm und bei notwendigen Koalitionen den ausgehandelten Kompromissen als Regierungsgrundlage ausweist und umsetzt. Betrachtet man Verlauf wie Inhalte der Koalitionsverhandlungen, dann ist dieses auch so geschehen. Jeder, der jetzt entsetzt auf die Benennung einzelner Ministerposten reagiert, wäre gut beraten gewesen, auf die jeweiligen Parteiprogramme zu achten und sich ein Bild zu machen.

Selbstverständlich spielen die jeweiligen Personen, die Programme in Regierungshandeln umzusetzen haben, eine wichtige Rolle. Ihre Fähigkeiten zu strategischem Denken, zu schnellem Handeln in komplexen Situationen und zu einer verständlichen und vor allem die Verhältnisse vermittelnden Kommunikation sind ein entscheidender Faktor.

Die Frage, die sich stellt, ist die, ob die nun benannten Personen zu dem Programm stehen, das nun auf dem Tisch liegt und ob sie die erwähnten Fähigkeiten mitbringen, die legitimes wie effektives Regierungshandeln erfordern. Wenn nicht, dann mag es vielleicht an dem Portfolio des zur Verfügung stehenden Personals liegen und die Frage als berechtigt erscheinen lassen, was insgesamt an der Entwicklung der Partien schief gelaufen ist. Schlimmer wird es, wenn im Ressort der als Opposition agierenden Parteien das gleiche Dilemma herrscht. Wer jetzt aufgrund der genannten Namen die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und nicht gleichzeitig andere nennen kann, die aus seiner oder ihrer Sicht wesentlich besser geeignet wären, sollte sein Augenmerk auf etwas anderes richten.

Zum einen wäre die bereits erwähnte Frage interessant, wie Politikerrekrutierungen und politische Sozialisationen und Karrieren verlaufen, dass die vorhandene Auswahl nicht zufrieden stellt. Und es sollte zudem darüber nachgedacht werden, inwieweit die Institutionen und Apparate konzipiert sind, denen die neuen und alten Gesichter vorstehen werden. Gute Organisationen sind in der Lage, auch Novizen und Unbeherrschte von den schlimmsten Verfehlungen abzuhalten. Wenn in den Institutionen und Apparaten genügend qualifiziertes Personal vorhanden ist, dass nicht nur Sachkenntnis, sondern auch die Fähigkeit zum Widerspruch mitbringt, lassen sich bestimmte Katastrophen verhindern. Ist dem nicht so, dann stellt sich auch hier die Frage, was schief gelaufen ist in puncto Funktionsweise, Sozialisation und Karriere.

Wer sich jetzt entsetzt, hat sich allzu lange blenden lassen. Es kommt so, wie es kommen musste.  

Die Zeit des Jägers

Eine wieder und wieder aktualisierte Theorie mit praktischen Anwendungshinweisen ist die Stab-Analyse. Um es kurz zufassen: Sie unterstellt, dass in jeder Organisation vier Archetypen von Menschen anzutreffen sind. Es handelt sich um Jäger, Bauern, Entertainer und Wissenschaftler. Selbstverständlich existieren, so der Ansatz, in der Regel Mischformen. Aber es bleibt dabei, mit den vier Typen, so die Analyse, erfasst man das Wesen einer Organisation sehr gut.

Wofür stehen diese Archetypen? Die Jäger sind diejenigen, die das Heft in die Hand nehmen, die Ziele formulieren, Richtungsentscheidungen treffen und Beute in Haus bringen. Die Bauern leben nach dem Kalender, die pflegen die Routine, machen ihren Job und wollen von modischen Zwischentönen nicht behelligt werden. Die Entertainer sorgen für die Stimmung, sind die informellen Multiplikatoren, halten aber auch zuweilen die anderen von der Arbeit ab. Und die Wissenschaftler sind diejenigen, die zum Kern einer Sache vordringen wollen und bei der Fokussierung auf ihre Arbeit nicht selten alles vergessen, was um sie herum geschieht.

Je nach Zweckorientierung der Organisation, dominieren einzelne Typen. In einer Verwaltung die Bauern, im Showgeschäft die Entertainer, in der Forschung die Wissenschaftler. Und die Jäger? Sie sind überall vonnöten, wo man sie nicht antrifft, da wird bereits das Lied vom Tod gespielt. Denn wenn keine Entscheidungen mehr getroffen werden, wo und wie nach Beute gesucht wird, dann versiegen irgendwann die Quellen.

Natürlich ist es eine hypothetische Theorie. In der Praxis wird sie dennoch seit Jahrzehnten immer wieder benutzt und sie hat schon vielen geholfen, die sich darüber wunderten, warum ihr Laden nicht mehr lief. Wer sich dessen bewusst ist, welche Archetypen sich im eigenen Bereich tummeln, der oder die weiß genau, woran es liegen mag. Umstrukturierungen und Revolutionen macht man mit Jägern, konsolidiert wird mit Bauern, unterhalten wird mit Entertainern und Grundlegendes erforscht mit Wissenschaftlern. Und, es ist wie bei der demographischen Struktur, Resilienz entsteht durch das Vorhandensein aller Typen innerhalb einer Organisation. Allerdings kommt es auf den Proporz an.

Dass wir in Zeiten leben, in denen sich vieles ändert, dürfte von den wenigsten angezweifelt werden. Nein, anders ausgedrückt, mit hoher Wahrscheinlichkeit leben wir in einer echten Zeitenwende. Bezogen auf die gerade erwähnte Typologie dürfte es folgerichtig sein, sich anzusehen,mit welchen Archetypen die einzelnen Organisationen unterwegs sind. Sehen Sie sich ihre eigene an und ordnen Sie zu. Und beurteilen Sie, wie die real anzutreffende Typologie auf die jetzige Phase des raschen Wandels matcht! Wenn Sie sie genau betrachten, werden Sie verstehen, warum es funktioniert oder warum nicht.

Wir leben in Zeiten der Jäger. Wer heute Risiken eingeht, um zu gewinnen, der wird gewinnen. Wer nur der Routine folgt, weil er oder sie es immer so gemacht hat, wer auf dem Flur stehen bleibt, um ein Schwätzchen zu halten und für gute Laune zu sorgen, wird bald merken, dass die Zeit über ihn hinweggerauscht ist. Wissenschaftler sollten in ihrem Element sein, immer, nur sollten sie nicht die Führung übernehmen, denn die Resultate der Organisation wollen sie sowieso nicht verantworten.

Sehen Sie sich unser politisches Personal an! Eine Wissenschaftlerin, die an der Spitze steht, besticht durch ihre Logik, doch sie dokumentiert auch, dass die Fokussierung auf das Problem alles andre ausblendet. Und der Rest? Bauern und Entertainer! 

Aber, es ist zum Verzweifeln, wir leben in der Zeit des Jägers!   

Tarifabschluss: Bereits vertilgt!

Wenn nach einem Indiz für die Unglaubwürdigkeit von System und Personal gesucht werden soll, dann liegt dieses jetzt vor. Es ist der unisono vom Bundesinnenminister wie vom Neuen Ver.di-Vorsitzenden gefeierte Tarifabschluss für den Öffentlichen Dienst. Betrachtet man tatsächliche Laufzeit und die zu daraus abzuleitenden realen Erhöhungen für all jene Beschäftigten, die während Corona-Ausbreitung und dem verordneten Lockdown den Laden am laufen gehalten haben, dann kann kalt darauf geantwortet werden, dass die Summen bereits allein durch die Verteuerung der Lebensmittel bereits vertilgt sind. Die Chance, nach dieser tiefsitzenden Erfahrung, die Pflegeberufe aufzuwerten, wurde schlichtweg vertan. 

Besonders seit Ausbruch der Krise wurde immer wieder darüber spekuliert, inwieweit eine Systemabhängigkeit von der Fähigkeit vorliegt, diese Krise besser zu managen zu können. Der Blick geht dabei nach China, wo schnell und dirigistisch drastische Maßnahmen ergriffen werden konnten, um die Epidemie eindämmen und bekämpfen zu können. Immer wieder ertönen die Kassandrarufe, das Ende der Demokratie deute sich an, weil das hier alles viel länger dauere schlechte Entscheidungen getroffen würden. 

So kann das gesehen werden, muss es aber nicht. Was die chinesische Staatsführung besonders auszeichnet, ist das Denken in ganz anderen Dimensionen, d.h. heißt in besonderem Maße eine strategische Ausrichtung vorliegt und, das hatte man im selbstgefälligen Westen gar nicht vermutet, eine eine große Lernfähigkeit zu beobachten ist. Beides, strategisches Denken wie Lernfähigkeit, sind nicht unbedingt einem bestimmten, historisch konkreten politischen System verpflichtet. Allerdings ist beides in den Demokratien des Westens eher eine Seltenheit. 

Vielleicht liegt es nicht am System, sondern ganz einfach am Personal. Die Sozialisation der politischen Klassen im Westen ist nahezu analog, sie studieren dasselbe und sie durchlaufen vor der richtigen Aktivität noch eine Beratungsgesellschaft, und dann sind sie komplett, quasi als Serie X5-A neoliberalistischer Präparierung. Was dabei herauskommt, ist eine gleichförmige, flache Rhetorik und das Herunterbeten neoliberaler Glaubenssätze. Sollte die Rhetorik abweichen, sei empfohlen, sie mit den tatsächlichen Entscheidungen abzugleichen. 

Die These, die sich mit dem Vergleich zwischen China und dem Westen ableitet, ist die, dass die Qualität des politischen Personals hierzulande nicht mehr den großen Krisen, mit denen eine multipolare, epidemisch gefährdete und globalisierte Welt daherkommt, mithalten kann. Da reicht es nicht, apologetisch die eigenen Entscheidungen zu verteidigen und jede andere Meinung dem Drecksturm eines digitalisierten Pöbels auszusetzen. Das ist keine demokratische Tugend, sondern eine Bankrotterklärung.

Die These wird durch das Verhalten vor, während und nach den Tarifverhandlungen untermauert. Bei Ausbruch und während der Krise wurden die in den Krisengebieten arbeitenden Menschen über den Klee gelobt, als es um ein einigermaßen Lohn der chronisch unterbezahlten Lohngruppen ging und sich die Betroffenen zu Warnstreiks entschlossen, wurden sie als meuchlerische Erpresser diskreditiert und jetzt werden sie mit irrelevanten Petitessen abgespeist. Gleicht man das mit den Rettungspaketen für verzockte Banken ab oder mit den Subventionen für bestimmte Branchen im Rahmen der Corona-Krise, dann zeigt sich, wohin der Hase weiter läuft. 

Das, was viele gehofft hatten, nämlich eine Wende im Denken, erweist sich als Illusion. Es geht so weiter, wie bisher, zumindest mit diesem Personal. Hat irgend jemand eine Stimme gehört, aus der Partei des Bundesgesundheitsministers, aus der Sozialdemokratie, von den Grünen, die sich für bessere Löhne, z.B. in der Pflege, während der Tarifverhandlungen ausgesprochen hätte? Eben!