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Loyalität & Leistung

Zwei Prinzipien stehen sich in der humanen Gesellschaft immer gegenüber, auch wenn es gar nicht so wahrgenommen wird. Aber gerade weil diese Konfrontation oft im Verborgenen stattfindet, führt sie zu sehr großen Irritationen. Es handelt sich um die Welt der Leistung und die der Loyalität. Zwei Qualtäten, die selten miteinander harmonieren, die aber für sich stets eine Belohnung aus ihrer jeweiligen Welt erwarten. Wer Leistung bringt, erwartet Gegenleistung und wer sich als loyal erweist, erwartet für diese Loyalität einen Lohn. So zumindest sehen es die meisten Individuen, es soll allerdings auch Exemplare geben, die über genügend intrinsische Motivation verfügen, um von sich aus, ohne Spekulation über Erträge, aktiv zu werden.

Das Prinzip der Leistung wird in erster Linie durch wirtschaftliche Sichtweisen und ökonomische Systeme getrieben. In dieser Hemisphäre existiert ein Wertgesetz und in der Regel kommt das auch zum Tragen. Wer eine Leistung erbringt, kann eine Gegenleistung erwarten. Nur wenige entziehen sich diesem Dualismus, mehr noch, wer sich dem Wertgesetz entzieht, der spielt mit dem Feuer seiner Zurechnungsfähigkeit.

Die Loyalität hingegen folgt einem sozialen Prinzip, d.h. es werden keine Berechnungen über Aufwände, Wege, Materialien oder Kosten angestellt, sondern das Aus- oder Durchhalten in einem sozial schwierigen Moment gilt als Gradmesser für die Entlohnung durch den Mächtigeren. Denn das ist eine Besonderheit der Loyalität: Es gibt sie nach oben und nach unten, aber die nach oben ist weitaus öfter gegeben als die nach unten. Loyalität findet auch formal niemals – es sei denn in einer Liebesbeziehung – auf Augenhöhe statt, was bei der Leistung der Fall ist.

Die große Irritation der Gesellschaft, die im Bann des Wertgesetzes und der Leistung steht, findet sich gegenüber dem System der Loyalität, wie es in der Politik funktioniert. Es ist wohl das Feld des gesellschaftlichen Seins, wo die Täuschung am größten ist, weil sie zweierlei Maßstäbe von ihrem Bezugsrahmen löst. Augenreibend steht die auf Leistung verpflichtete Gesellschaft oft dem Loyalitätsprinzip der Politik gegenüber. Da werden ein Edmund Stoiber oder ein Günter Oettinger aus ihren präsidialen Ämtern als Kommissare in hoch dotierte Ämter in Brüssel verfrachtet, weil sie in ihrem Job augenscheinlich versagten. Das erregt die Gemüter, bei Beibehaltung des Leistungsprinzips versteht sich. Was allerdings logisch erscheint, ist die Entlohnung wegen der Loyalität dieser beiden schillernden Beispiele, weil sie sich weiteren, von den Parteien favorisierten Lösungen nicht in den Weg gestellt hatten. Das politische System gewinnt nahezu ausschließlich an Plausibilität, wenn das Motiv der Loyalität eingeführt wird.

Anders verhielte es sich bei der Dominanz des Leistungssystems, dort hätte die genannten Figuren nie eine Chance auf Entlohnung erhalten, es sei denn in der Form von Hohn und Spott. Und so werden sie dann im Volk auch interpretiert, ohne dass sie im inneren politischen System daran Schaden nähmen.

Es ist müßig, darüber zu räsonieren, wie es wäre, wenn Politik wie Wirtschaft nach dem gleichen Prinzip funktionieren würden. Sie tun es schlichtweg nicht und es war auch noch nie anders. Es scheint eine selbst über verschiedene historische Epochen hinaus bestehende Konstante menschlichen Verhaltens wie menschlicher Irritation zu sein, dass Leistung und Loyalität aus zweierlei Bezugsrahmen stammen und immer wieder aufeinander treffen. Aber das Verständnis dieser strukturellen Unterschiede allein hilft in starkem Maße, vielem eigenartig Wirkendem doch noch eine Logik abgewinnen zu können.

Ohne Vision, ohne Charme, ohne Charisma

Bereits vor vielen Jahren wurde in den USA eine Diskussion geführt, die als so etwas wie die Soziologie der Präsidenten genannt werden kann. Vorausgegangen war eine Untersuchung über Herkunft, Milieus und Sozialisation der jeweiligen US-Präsidenten. Hoch brisant waren die Schlussfolgerungen, die die Untersuchenden zu treffen hatten. Demnach waren diejenigen Präsidenten, die vor allem im politischen Milieu der Großstädte sozialisiert worden waren gute Verwalter, die das Geschäft kannten, aber keine Innovatoren, die in der Lage gewesen wären, das System zu verändern. Das blieb den Präsidenten vorbehalten, die aus der Provinz kamen und als junge Leute buchstäblich im Weizenfeld gestanden und auf einen unendlichen Horizont geblickt und dabei eine Vision entworfen hatten.

Empirisch, am Beispiel der USA, ließen sich diese Thesen halten. In der nachfolgenden Diskussion wurde beklagt, dass die Tendenz immer mehr und auch natürlicherweise zu dem Politiktypus ginge, der seine Herkunft im urbanen Milieu habe und damit die Zeit für die Visionäre vorbei sei. Aus dem Bauch betrachtet und bei einer Reflexion der Erfahrungen in Deutschland scheinen die Thesen allesamt nicht abwegig. Interessant ist allerdings aus heutiger Sicht noch eine weitere Entwicklung. Es ist die Frage, inwieweit in der Logik von heutigen Politikerinnen und Politikern, einmal unabhängig wo sie sozialisiert wurden, die Vorstellung von der Nützlichkeit einer Vision überhaupt noch existiert. War nicht der Großstädter Helmut Schmidt derjenige, die denen, die in der Politik Visionen nachhingen, dringend einen Besuch beim Arzt empfahl?

Vielmehr ist festzustellen, dass das Visionäre mit dem unbändigen Trend der Demoskopie aus der Politik gewichen sind. Plötzlich waren es nicht mehr Politiker oder Parteien, die mit Vorstellungen und Programmen um die Wählerschaft warben, sondern das Denken und vor allem das Fühlen der Wählerschaft selbst bis hin zu Detailfragen, das begann, das Handeln der Politik zu beeinflussen. Die Arithmetik dieses Trends hat zu dem Dilemma geführt, dass nun ausgerechnet ein Großteil der Wählerinnen und Wähler wiederum selbst beklagt: Eine sich in Alltags- und Detailfragen verlierende Politik ohne Vision, Charme und Charisma.

Die Branche, die über das politische Geschehen referiert, Presse und Medien, hat sich diesem Trend durch ein normatives Anforderungsprofil für Politiker angeschlossen. Da sind Pragmatiker gefragt, die auf das Tagesbedürfnis der Bevölkerung eingehen und es tunlichst vermeiden, die Notwendigkeit von schmerzhaften Schritten oder Anstrengungen zu formulieren, um politische Ziele erreichen zu können. Das Pendant zu diesem absurden Profil wurde in derselben Branche ebenfalls entwickelt, nämlich ein Volk, das zu jeder Idee und jeder Vorüberlegung bereits gefragt wird, ob es die Politik autorisiert, darüber weiter nachzudenken und das vor allem nie in seiner Selbstgerechtigkeit und vorurteilsbeladenen Befindlichkeit irritiert werden darf. Das ist die suggerierte Form guter Demokratie und bewirkt genau das Gegenteil. Es ist das tödliche Gift, das den politischen Diskurs unterbindet und zu einem scheinheiligen Brot-und-Spiele-Szenario abgleitet.

Politikerinnen und Politiker, die über Visionen verfügen, müssen dieses quasi geschickt kaschieren, um überhaupt noch einigermaßen fair behandelt zu werden. Wer die Notwendigkeit grundlegender Veränderungen auch nur andeutet, wird den medialen Wölfen zum Fraß vorgeworfen und man erzählt sich, dass es hier und da dennoch Politikerinnen und Politiker geben soll, denen es gelungen ist, Grundlegendes zu verändern. Das haben sie jedoch nicht kommuniziert und deshalb leben sie noch. Oder anders herum: Die Prototypen der non-visionären Politik sitzen in der Bundesregierung, ohne Vision, ohne Charme, ohne Charisma. Kommt da nicht so langsam der Wunsch nach Politikerinnen und Politikern, die auf Wanderschaft waren, zur See gefahren sind oder im Kornfeld standen?

Über das Lernen

Wie gehen Menschen und ihre Organisationen mit einem Prozess um, der gekennzeichnet ist durch Irrtümer und Rückschläge? Eine Frage, die sich durch die Entwicklungsgeschichte der Menschheit zieht wie ein roter Faden und deren Beantwortung nie eindeutig ausfällt. Das Zauberwort hinter dem, was normalerweise als Scheitern bezeichnet wird ist, das des Lernens. Deshalb hat in den letzten Jahrzehnten wohl kaum ein Begriff so eine Konjunktur erlebt wie der einer lernenden Organisation. Was damit gemeint ist, bleibt zumeist im Dunkeln, weil der Prozess des Lernens von einer Klarheit und einem Bewusstsein ausgeht, der rar geworden ist in einer Welt des Scheins und einer auf ihm aufbauenden Legitimation. Das Absurde, das sich hinter dem Missverhältnis von der Forderung und einer mit ihr verbundenen Verhaltensweise und dem Festhalten an Positionen verbirgt, ist der Widerspruch von kognitivem Anspruch und ganz anders funktionierenden Belohnungssystemen.
Erfolgreiche Menschen wie Organisationen, die über die Mechanismen des Jahrmarktes der Eitelkeiten erhaben sind, sind nicht verlegen über Auskünfte bezüglich ihrer eigenen, letztendlich gelungenen Vorgehensweise. Das Prinzip ist auch sehr einfach: Jeder Plan, den sich Menschen wie Organisationen machen, geht aus von Annahmen über die Welt, mit der sie konfrontiert sind und Einschätzungen über ihre eigenen Fähigkeiten. Gelingt es nicht, die eigenen Pläne umzusetzen, dann hat es in der Regel damit zu tun, dass die Außenwelt anders reagiert und funktioniert als angenommen oder dass die eigenen Fähigkeiten nicht dem entsprechen, wie sie von den Akteueren selbst eingeschätzt wurden. Die Schlussfolgerung, die den Prozess des Lernens eröffnet, geht auf diese Dissonanz ein. Entweder müssen die Annahmen über die Außenwelt geändert werden oder die eigenen Fähigkeiten müssen verbessert werden oder beides. Oder, auch das ist eine Möglichkeit, die Pläne müssen der tatsächlichen Kraft des eigenen Vermögens angepasst werden.

Werden die logischen Schlussfolgerungen gezogen, müssen sie zumindest in Organisationen kommuniziert werden. Geschieht das, dann hat die Weiterentwicklung eine Chance. Geschieht es nicht, dann beginnt ein Prozess, der nicht das Markenzeichen des Lernens verdient, sondern als Rechthaberei bezeichnet werden muss. Derartige Ereignisse existieren zuhauf und auch sie gehören zur Entwicklungsgeschichte des Menschen. Es sind die destruktiv verlaufenden Episoden auf dem Weg der Wahrheitssuche. Das Destruktive ihres Verlaufs liegt in dem Versuch, die Fehler der eigenen Annahmen zu kaschieren und nach Sündenböcken für das Scheitern zu suchen. Die Quintessenz ist bekannt: Entweder ist die Welt an sich schlecht oder geplante Interakteure des eigenen Vorhabens sind zu dumm oder zu faul oder beides. Solche Positionen führen nicht weiter und bergen in der Regel die Gefahr noch größerer Verwerfungen. Sie verhindern nicht nur das Lernen, sondern sie sind Agenturen der Zerstörung.

Was im Kleinen schon fatal sein kann, ist im Großen eine Katastrophe. Scheitert eine Biographie, weil der Mensch seine Umwelt nicht annimmt wie sie ist und weil er chronisch seine eigenes Handeln aus den Erklärungen für das Scheitern herausnimmt, dann ist das schlimm. Bei großen Organisationen trifft es schon ganze Sparten der Gesellschaft und es gehört daher zu den öffentlichen Belangen, um die sich der politische Diskurs drehen muss. Bezieht es sich jedoch auf ganze Staaten und ihre Führung, dann lauert in der Position der Rechthaberei, die jegliche Form der Selbstkritik ausblendet, ein internationales Desaster. Wer aus gescheiterten Vorhaben in der Politik nicht lernen will, der bildet eine Gefahr für die Sache der Öffentlichkeit. Denn mit Rechthaberei und Schuldzuweisungen lässt sich nichts Positives gestalten.