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Der nationalistische Flächenbrand in der Türkei

Das, was faktisch als Machtkampf in der Türkei beschrieben wird, ist mehr als das. Die tiefe Schmach, die Erdogan empfunden haben muss, als er mit seiner AKP die absolute Mehrheit verloren hatte, entspricht eher einer psycho-pathologischen Reaktion als einer ganz normalen politischen Enttäuschung. Seit der Wahl laufen nicht nur der Ministerpräsident des Landes, sondern auch die ihn unterstützende AKP und immer mehr Teile der Bevölkerung Amok. Das, was in unseren Medien als eine Kampagne gegen die Kurden beschrieben wird, die immer wieder in dem einen oder anderen Pogrom endet, ist weitaus schlimmer und verheerender, als es die Berichte in der Presse vermuten lassen.

Liberale, nochmals, liberale Kreise in der Türkei sprechen von Verhältnissen wie zu Hitlers Zeiten in der Reichspogromnacht. Da werden kurdische Landarbeiter in der Nähe Ankaras gemeuchelt und ein johlender Mob trägt die Trophäen, menschliche Überreste, durch die Straßen, da werden in Istanbul Intellektuelle, die sich weigern, sich mit Slogans wie Die Türkei den Türken ablichten zu lassen, brutal von ihresgleichen, mit denen sie bis vor wenigen Wochen noch gemeinsame Veranstaltungen im Geiste der Humanität durchgeführt haben, grün und blau geschlagen und diese Bilder triumphierend in der Tagespresse veröffentlicht und da müssen immer wieder Zeitungen daran glauben, die nicht auf der Hasslinie sind und deren Redaktionen brennen, ob nun Journalisten in den Räumen sind oder nicht. Die Türkei ist erfasst von einem nationalistischen Flächenbrand.

In Deutschland geht das alles ein wenig unter angesichts der Flüchtlinge, die sich vom Balkan und aus Syrien auf das Zentrum zubewegen. Politik und die Berichterstattung über Politik können nicht immer alles simultan mit der gleichen Intensität bearbeiten, auch das Vermögen einer demokratischen Öffentlichkeit, sich mit schwerwiegenden Ereignissen auseinanderzusetzen, ist begrenzt. Doch die Ereignisse in der Türkei, die eine neue, grausame Dimension angenommen haben, nahezu gänzlich unter den Tisch fallen zu lassen und auf einige Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und Vertretern der kurdischen PKK mit tödlichem Ausgang zu reduzieren, ist weitaus zu wenig.

Wie heftig wurde zum Teil darüber diskutiert, ob die Türkei ein Mitglied der EU werden könne oder nicht, in Zeiten, in denen die AKP einen satten wirtschaftlichen Aufschwung hinlegte und bestimmte liberale Reformen im politischen Portfolio Erdogans noch zu finden waren. Da pochte vor allem die deutsche Regierung auf weitere Reformen. Mit der Weltfinanzkrise wendete sich das Blatt, die Türkei kam wegen einer konsequenten und restriktiven Bankenpolitik nahezu unlädiert aus dem Debakel und es wuchs eine Haltung, in der die Frage dominierte, was man von einer Eu-Mitgliedschaft eigentlich habe. Mit dem zu Beginn des Jahrzehnts einsetzenden wirtschaftlichen Problemen der Türkei wuchs Erdogans Kurs eines osmanischen Großmachtanspruchs, einer Nationalisierung der Politik nach innen wie außen. Zunehmend wurden die agraisch-traditionellen Massen, Basis der AKP, gegen die städtische und intellektuelle Bevölkerung mobilisiert und auf Zustände zugearbeitet, die heute zu erleben sind.

Die Toleranz gegenüber einer derartigen Entwicklung der Türkei seitens der EU-Staaten kann auch unter dem Blickwinkel gesehen werden, dass die türkische Regierung mächtige Assets in der Hand hält, mit denen sie pokern kann. Mit zwei Millionen syrischen Flüchtlingen im Land kann man schon einmal drohen, und mit der Bündnistreue in einem heißer werdenden Konflikt im Kampf um das Ölmonopol im Nahen Osten schon einmal locken. Die türkischen Demokraten jetzt, in dieser Situation, alleine zu lassen, ist der eigentliche Verrat an den eigenen Prinzipien.