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Das Vulgäre des unverdienten Reichtums

Der Parvenü schämt sich für nichts. Das war ein Statement, das sich in vergangenen Zeiten noch Vertreter aus dem traditionellen Bürgertum getrauten laut von sich zu geben. Denn da gab es noch keine politische Korrektheit, die es verbot, Dinge so zu benennen, wie das viele dachten, auch wenn es falsch sein konnte. Der Codex ersetzt die Wirklichkeit nicht, aber das ist hier nicht von Relevanz. Das gesetzte, saturierte Bürgertum misstraute allen, die irgendwo aus dem Kleinbürgertum, oder sogar dem Proletariat und noch schlimmer, dem Lumpenproletariat entstammten, um wie Kometen in die Welt des Geldes und der Macht aufzusteigen. Neureiche wurden sie genannt und den Eintritt in die bessere Gesellschaft erhielten sie nicht, wieviel sie auch dafür taten, da nutzten die pompösen Luxuslimousinen genauso wenig wie ihre wie Beiwerk ausstaffierten Vasallinnen oder die protzigen, mit Brillanten besetzten Uhren an ihren Handgelenken. Das traditionelle Bürgertum, das auf Kontinuität, Tradition und Bildung verweisen konnte, rümpfte nur die Nase und die Türen blieben verschlossen.

Das, was heute als eine wachsende Permissivität der Klassenschranken, eine soziale Dynamisierung und somit eine Demokratisierung der Gesellschaft genannt wird, hat das alte Bürgertum so geschockt, dass es von einer Proletarisierung der Gesellschaft spricht. Das ist nachvollziehbar und wahr, wenn da nicht die Diskreditierung des Proletariats im Spiel wäre, das seinerseits, zumindest solange es als Klasse in großem Maße Bestand hatte, ebenso traditionell und historisch bewusst agierte wie das von diesem wiederum verschmähte Bürgertum. Bourgeoisie und Proletariat hatten viele Gegensätze, in manchen Punkten waren sie sich aber auch einig, wenn es um die Existenz als Klasse ging.

Sowohl die Bourgeoisie als auch das Proletariat misstrauten dem Parvenü. Galt er der Bourgeoisie als Eindringling, der mit seinem Gebaren und ungeschliffenen Auftreten abstieß, so ekelte sich das Proletariat vor dem Verräter, der sich erniedrigte und kulturell prostituierte. Was die beiden erwähnten, mächtigen Klassen sich zu ihrer Blütezeit nicht vorstellen konnten, war die Tatsache, dass es irgendwann Zeiten geben würde, in denen die Parvenüs zu einer großen, mächtigen Kohorte innerhalb der Gesellschaft heranwachsen würden, die relevanter werden würde als die tradierten Klassen.

Als der Kapitalismus den Turbo einlegte und über die Börsen ein Spiel installierte, das entgegen seinem ursprünglichen Sinn der Finanzierung von Investitionen das Roulette der Spekulation ersetzte, schossen die Parvenüs wie Pilze aus dem herbstlichen Waldboden. Gleichzeitig wurden die Produktionsprozesse technisiert und optimiert, dass  das klassische Proletariat immer mehr obsolet wurde und die Börsengewinne toppten alles, was aus ehrlicher Produktion am Markt erreichbar war. Bourgeoisie und Proletariat waren zunehmend mit dem Typus des Parvenüs konfrontiert, der ihnen beiden kulturell, in Bezug auf ihre Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse und auch sozialethisch unterlegen war. Dafür stank er nach Geld und zwar so, dass es allen anderen schwindlig wurde.

Nicht, dass der Eindruck erweckt würde, es habe eine gute alte Zeit der Klassengesellschaft gegeben. Die war nicht minder borniert und ungerecht. Und dennoch ist es möglich, aus falschen historischen Umständen bestimmte Phänomene treffend beschreiben zu können. Die anfangs zitierte Äußerung, der Parvenü schäme sich für nichts, gehört zu jenen richtigen Urteilen. Leider ist es sogar eine Beschreibung, die als Massenphänomen angesehen werden kann. Das Vulgäre des unverdienten Reichtums dominiert unsere Lebenswelt.

Von Parvenüs und denen, die ihre Klasse nicht verraten

Erdogan ist so einer. Bei allem, was über seine Biographie bekannt ist, kommt er von ganz unten. Irgendwann in Istanbul gestrandet, Gelegenheitsjobs, Kringelverkäufer. Früh stellte sich heraus, dass er so etwas wie eine Führernatur besaß. Der langsame, aber stetige Aufstieg, der aus dieser Qualität erwuchs. Führernaturen reüssieren nicht unbedingt in der Geschäftswelt, es sei denn, ein Faible für Ökonomie geht mit dem Alpha-Gen einher. Diejenigen, die ihr Führertum durch Eloquenz und Charisma protegieren, sind zuhause im Metier der Welterklärung und der Massenpsychologie. Dort erzielen sie große Erfolge, sie organisieren Mehrheiten und mobilisieren die Masse. Diese Menschen par excellence Parvenüs zu nennen, wäre jedoch falsch.

Das Spezifikum des Parvenüs ist recht einfach erklärt. Der Parvenü ist die Sorte des Aufsteigers, der schnell lernt, sich in anderen sozialen Systemen zu bewegen und der vor allem nahezu pathologisch dazu tendiert, seine eigene Herkunft möglichst schnell zu vergessen und zu negieren. Parvenüs legen alles ab, was an die eigene soziale Vergangenheit erinnert. Das sind vor allem die Dinge, die das anderen symbolisieren. Stattdessen streben sie manisch nach der Erlangung der Symbole der höheren, neuen Identität. Beim Parvenü stellt sich sehr schnell heraus, dass das ursprüngliche Motiv, dem Elend zu entkommen, vielleicht nur anfangs politischer Natur war. Sobald er den neuen Status erreicht, ist davon nicht mehr die Rede. Der Status wird zum höchsten Ziel, das soziale Programm zählt nichts mehr. Aus der Vehemenz und Tatkraft, mit dem es anfangs verfolgt wird, wird die bloße Geilheit auf den Status. Der Besitz, der Exklusivität vermuten lässt, ist das ausschließliche Ziel. Erdogan mit seinem Palast ist so einer, im Kleinen gibt es davon viele, wir müssen uns nur umschauen.

Im Gegensatz zum Parvenü existieren noch andere, die es nach oben geschafft haben. Mit Charisma, mit Eloquenz und mit Intelligenz. Auch sie besitzen einen Willen zur Macht, aber er ist getrieben von dem Wunsch, das Leben zu gestalten, Verhältnisse zu ändern, sich sozial zu verpflichten. Auf sie trifft die Beobachtung zu, dass ihre Größe daran zu bemessen ist, wie sie nach dem Aufstieg die kleinen Leute behandeln. Sie vergessen ihre soziale Herkunft und ihre Klasse nicht, sie haben den Respekt bewahrt. Respekt vor ihrer eigenen Geschichte und Respekt vor denen, die die eigene Vergangenheit repräsentieren. In den alten Arbeiterkreisen kursierte das Wort, man verrate seine eigene Klasse nicht, das war damit gemeint. Wer den Verrat betrieb, der war schnell vergessen. Diejenigen, die ihre Klasse nicht verraten, sind ebenfalls leicht zu erkennen, am Respekt vor den kleinen Leuten, am Desinteresse an Status und an ihrer Liebe zum Gelingen.

Oft sieht es so aus, als sei die Menge derer, die zu den Parvenüs zu rechnen sind, weit größer als die derer, die oben sind und von unten kommen und dennoch nicht verkommen. Das liegt an der Dimension der Verkommenheit der Parvenüs. Das erregt Aufsehen und stößt ab. Und es gibt dem Pessimismus Auftrieb. Eine gute Übung gegen die drohende Depression ist die aktive Suche nach denen, die in der humanen und sozialen Sphäre ihre Qualität bewahrt haben. Es gibt sie, das Auge dafür muss nur geschult werden. Sie zu stärken, ist eine wichtige und praktische Angelegenheit. Vergessen wir die Parvenüs. Sie sind ein Irrtum der Geschichte.