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Feuer nach dem dritten Vorhang!

Es ist ja nichts Neues. Gegeben hat es sie schon immer. Die Schwärmer und tolldreisten Philosophen, die Interpretierer der Welt mit all ihren Abstrusitäten. Da geht es, wie im richtigen Leben auch, um Macht und Wahn, um Dominanz und Deutung, um Schlüssel und Schlösser. Von was allem war da nicht schon die Rede, von der Lufthoheit über Kinderbetten, von Geheimdokumenten und klandestinen Botschaften, von Dechiffrierungen und von schlichten Bergen von Unrat. Die Welt, so die kollektive Botschaft der Mondsüchtigen, die sich sicher wähnen, der Menschheit einen Dienst erweisen zu müssen, die Welt steht vor dem Abgrund und nur wer sich dieser Wahrheit öffnet, kann sicher sein, dann doch ins Paradies zu kommen.

Letzteres ist aber spärlicher ausgestattet als die Hölle, denn wer sich im Okkulten auskennt, weiß, dass das Böse immer die komfortablere Variante des Daseins zu bieten hat. In der Hölle, das bemerkt sogar der Volksmund, ist so viel Publikum, dass sich das Engagement von Sterneköchen regelrecht lohnt, während bei der Notbesetzung im Himmel der liebe Petrus mangels Bettenbelegung jeden Abend Leberwurstbrote zu schmieren hat. Ja, selbst der versuchte Befreiungsschlag führt ins folgenlose Nirvana, aber es hält natürlich nicht davon ab, es weiter zu versuchen.

Und alles war schon einmal da! Ob Fin de Siécle oder Dada, die Kunst hat die Überforderung der Seele versucht zu manifestieren. Das bewusste Einsetzen des Schocks hat in dem einen oder andren Falle zum Nachdenken bewogen. Aber hat es auch etwas gebracht? Ist es jemals gelungen, den Widerspruch von gebündelter Rationalität zu einem völlig irrationalen Endzweck befriedigend aufzulösen? Jeder einzelne Schritt in der Trauerhalle der Moderne birgt eine eigene Rationalität und Schönheit, aber am Ende des Ganges gähnt der von jedem Sinn gelangweilte Tod. Theodor Wiesengrund Adorno und Max Horkheimer, die Zeugen dieses Irrsinns aus erster Hand, nannten es Dialektik der Aufklärung. Wer, wenn nicht die Prototypen dieser Dialektik, gäbe ihnen heute noch Unrecht?

Und dennoch, die, wie es in Norddeutschland so schön heißt, die Spökenkieker, es ist Hochkonjunktur für sie, die selbst ernannten Simultanübersetzer des Kosmischen. Sie stehen einsam in der freien Natur, mitten in der Nacht und flüstern ihre Erkenntnis ihren Schafen vor. Dieser Spezies, die nahezu ersoffen ist in einer Flut von Zugängen, die sie aber nicht verkraften konnte, weil es an einem Ordnungsbegriff fehlte.

Ja, alle, die in den lustvollen Kanon des Chaos verfallen sind, sie alle taten sich schwer mit dem Pendant zum Aufstand, zur Rebellion, zum Chaos. Zu allem, was Ordnung auflöst, gehört eine Vorstellung von der neuen Ordnung. Da diese aber nicht vorhanden war, driftete die ganze Herde ab in das kollektive Stöhnen des Untergangs und, noch schlimmer, in die Passivität vor dem großen Schlachten.

Nun, kurz bevor es wieder losgeht, mit dem nächsten Hype oder der nächsten Katastrophe, ist die Stunde günstig, sich zu entscheiden zwischen Fata Morgana und Verstand. Wer Mut hat, kann auch bei der Fata Morgana bleiben. Das wäre mal etwas, ein Schauspiel, ein Theaterstück mit echten Toten und zum Schluss, nach dem dritten Vorhang, der ganze Kulturpalast in Brand. Ein Ereignis für viele Leben, die ohne extravagante Welterklärung in Langeweile und Durchschnitt verkämen, gleich den Taten des Onan in der Wüste. Es möge vergolten sein. Es war ein innerer Drang.

Sisyphos im Paradies

Vor nicht allzu langer Zeit war ein Bericht über ein Kongress zum Thema Emanzipation zu lesen, der von seiner Quintessenz nicht hätte kurioser sein können. Eine links-alternative Zeitung hatte zur Erörterung der Situation des Verhältnisses von Mann und Frau in unseren Tagen eingeladen. Neben profilierten Figuren im Kampf um die Frauenrechte waren auch Menschen beiderlei Geschlechts aus der Arbeits- wie Vereinswelt eingeladen. Um den Diskussionen eine bestimmte Dramaturgie zu geben, hatten sich die Veranstalter bestimmte Dinge einfallen lassen. Da war bei einem besonders sensiblen Frauenthema ein männlicher Immigrant aus der Türkei eingeladen, dessen Ruf in Berlin nicht unbedingt mit der Emanzipation der Frau assoziiert war. Und, wie es manchmal so ist, besonders diese Regieanweisung geriet zum Fiasko.

Denn trotz der Skepsis vieler Beteiligter moderierte der Mann die Diskussion zunächst sehr professionell, d.h. er erteilte das Wort nach Reihenfolge, fasste die Beiträge neutral zusammen und bat vor allem das Publikum, die Vorgänge zu bewerten. Als jedoch alles gut lief, da schlichen sich einige Bemerkungen ein, die aus der Macho-Diktion stammen mochten. Das löste bei den Galionsfiguren des Kampfes um Gleichstellung zunehmend Empörung aus, was das Vorpreschen des Moderators allerdings nur noch beflügelte. Als dann die ersten Frauen aufstanden, um unter Protest den Saal zu verlassen, hatte auch der Moderator sich nicht mehr im Griff und schrie ihnen nach: Dann geht doch Bügeln! Es versteht sich von selbst, dass dieser Event im Tumult unterging.

Was sich anhört wie eine eher zum Schmunzeln anregende Episode über die Unterschiedlichkeit wie Missverständlichkeit der Welt, könnte bald zu einer Realität geraten, die nie so geplant war. Die Aufmischung der hiesigen Gesellschaft durch Menschen, die aus anderen Kulturkreisen kommen, wird dazu führen, dass besondere Spezifika, der die uns beherrschende Öffentlichkeit ausgesetzt sind, nicht von den neuen Mitbürgerinnen und Mitbürgern honoriert werden. Das Faktum einer vor allem maskulinen und aus arabischen Ländern stammenden Population wird dazu führen, dass archaische, patriarchalische und weitaus gewaltaffinere Bilder über das Zusammenleben Fuß fassen werden, als das aus der heilen Welt akademischer und subkultureller Perspektiven möglich erscheint.

Das muss nicht heißen, dass der geschätzte zivilisatorische Standard unserer Tage demnächst zweifelsohne passé sein wird, aber ohne Kampf wird das wahrscheinlich nicht von statten gehen. Verbündete werden die neu hier angekommenen Frauen sein. Diese glauben, so erste Beichte, in einer Art Paradies Platz genommen zu haben, wenn sie hören, dass Gewalt gegen Ehefrau und Kinder in dieser Gesellschaft nicht nur Tabu sind, sondern sogar gesetzlich geahndet werden. Nur werden diese Frau noch einige Zeit brauchen, um sich in einer Welt der neuen Rechte zu Recht zu finden.

Derweilen wird sich die Frage stellen, ob die gerade in den letzten Jahren so gepriesene Zivilgesellschaft in der Lage ist, die hier gewürdigten Lebenswelten auch als Grundlage der Gemeinsamkeit durchzusetzen. Momentan, so der Befund, glaubt ein Großteil der hiesigen Gesellschaft, mit gesellschaftlichen Institutionen wie Schule und Polizei sei das erreichbar. Es wird die erste Illusion sein, die einstürzt. Zivilisationen und Kulturen überleben, wenn sie in der Lebenspraxis dominieren. Das erreichen zu wollen, kann zum Schicksal eines Sisyphos führen. Und Erfolg ist nur möglich, wenn sich alle verantwortlich für das fühlen, was ihnen wichtig ist. Das ist zwar alles andere als einfach. Aber es ist auch gut so. Denn wieviel wert wäre eine Kultur, die nur mit Polizeigewalt durchgesetzt werden könnte?