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Wenn sich die irdische Macht einschleicht

Robert Harris. Conclave

Und wieder ein Thriller, der über den reinen Spannungsbogen hinausgeht. Robert Harris steht an der Schwelle zum Vielschreiber, was allerdings der Auswahl der Themen keine andere, kommerziell überbewertete Richtung gegeben hätte. Seine Ausflüge in die römische Geschichte waren sehr dem Thema zuträglich, genauso wie die unterschiedlichen Romane über den Faschismus in Deutschland und Europa. Meistens ist es Robert Harris gelungen, historisch-kritische Themen in das Gewebe einer spannenden Erzählung einzuflechten und somit einem größeren, nicht notwendig bildungsbürgerlich sozialisiertem Publikum zugänglich zu machen. Dass dabei die kritischen Aspekte nicht untergehen, gehört zu den besonderen Qualitätsmerkmalen des Autors.

Mit dem 2017 erschienenen Roman Conclave befasst sich Robert Harris mit dem jedes Mal weltweit beachteten Ritual der Papstwahl zu Rom. Die Leserschaft wird in diesem Buch Zeugin einer solchen Papstwahl. Letztere findet in der Jetzt-Zeit statt, bezieht sich in der Rückbetrachtung auf reale Figuren der Geschichte, ist aber auf der aktuellen Erzählfolie fiktiv. Das ist geschickt komponiert und vermittelt den Eindruck, einer tatsächlichen Papstwahl beizuwohnen und mitzubekommen, wie dieses Ritual vollzogen wird.

Neben der tatsächlichen, in einem festen Kodex vorgeschriebenen Chronologie erfährt das literarische Publikum aus den Augen des Zeremonienmeisters der Konklave, wie sehr plötzlich die irdischen Dimensionen der Macht eine zunehmend Bedeutung in diesem Prozess einnehmen. Die zur Wahl zugelassenen 118 Kardinäle aus aller Welt haben teils eine kontinentale, teils eine soziale Brille. Es existieren Traditionalisten wie Erneuerer, status- und machtorientierte Motivationslagen wie die Vorstellung programmatischer Verbesserung. Es wird fraktioniert, es wird intrigiert, es werden Konkurrenten ausgestochen, es werden Ablenkungsmanöver gestartet und es wird fraternisiert. Nichts, was bei den Kämpfen um die säkulare Macht eine Rolle spielt, wird in den Stunden und Tagen der päpstlichen Neuwahl ausgelassen.

Wie immer ist auch in diesem Roman die Erzählung stringent und Spannung erzeugend. Wie immer malt der Autor weder Schwarz noch Weiß. Und wie immer wird beim Lesen vieles deutlich, manches auch erschreckend deutlich, aber das dilettantische Instrument der moralischen Empörung findet keine Anwendung. Auch das ist positiv, weil vor allem hierzulande die moralische Indoktrination oft die einfachen Wege des Verstandes verstellt.

Stattdessen wird bei der Lektüre von Conclave nicht nur deutlich, dass die Protagonisten bei der Papstwahl, dem wohl wichtigsten Ritual in der Institution der katholischen Kirche, alle von dieser Welt kommen und ein fester Bestandteil derselben sind. Das mag für den einen oder anderen ernüchternd wirken, auf der anderen Seite ist es aber auch erlösend. Es erklärt, warum die menschlichen Gelüste und Schwächen etwas sind, das die gesamte Gattung anbetrifft und nicht vor denen, die spirituell oder real politisch etwas verändern wollen haltmacht.

Gerade dieser Aspekt trägt dazu bei, dass Conclave eben nicht zu den Dutzenden Büchern zählt, die einen Standpunkt an einem solchen Ereignis abarbeiten und kein klares Urteil suggerieren. In Conclave geht es um Schwierigkeiten, die entstehen, wenn eine spirituelle Idee sich in einer materiell existierenden Organisation widerfindet, in der die Gesetze herrschen, die alle sozialen Systeme durchdringen. Wem das gefällt, der sollte sich die Lektüre genehmigen.