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Embonpoint

Oskar Maria Graf. Unruhe um einen Friedfertigen

In seinem großen, heute nicht mehr bekannten Roman „Unruhe um einen Friedfertigen“ schildert Oskar Maria Graf das Leben eines kleinen Schusters, das nicht gut ausgeht. Einmal abgesehen von der Geschichte dieses Mannes, den es nach den Judenpogromen von Odessa kurz vor dem Ausbruch des I. Weltkrieges in die bayrische Provinz getrieben hatte und der dort lange Zeit ohne seine persönliche Geschichte, die er wissentlich verschwieg, unbehelligt hatte leben können, bis die erstarkenden Nazis durch einen Zufall die Idee davon bekamen, dass es sich um einen Juden handeln könne, ist die Weltsicht dieses kleinen, unscheinbaren Mannes von durchaus großem Stellenwert.

Alles, was von „0ben“ kommt, ist ihm suspekt und er bezeichnet es als „A bopa“. Das, was als eine eher infantile Chiffre wirkt, ist in Wirklichkeit die Lautschrift vom französischen Ausdruck „Embonpoint“. Zum einen könnte man es als auf den guten Punkt gebracht übersetzen, im Sprachgebrauch des sprachlichen Mutterlandes wie im Deutschland der damaligen Zeit stand es jedoch auch, ironisch, für den Wohl beleibten Amtsträger. Der Dorfpolizist mit der Wampe war damit genauso gemeint wie die gut im Futter stehende Staatsmacht. Noch bevor die Welt durch vermeintliche Schönheitsideale wie den Schlankheitswahn kontaminiert war, galt das Übergewicht auch als ein Zeichen von Macht und Willkür. Das, was der kleine Schuster als „A bopa“ bezeichnete, war also der Staat.

Die wechselvolle Geschichte der Weimarer Republik war voll von Episoden einer Politik, die sehr auf die Autorität des Staates setzte und selten darum bemüht war, seine Handlungen der Bürgerschaft zu erklären. Das gab es immer wieder und ist keine Besonderheit der Weimarer Republik. Dort trug diese Haltung unter den konkreten Bedingungen jedoch dazu bei, dass dieser Staat nicht lange Bestand hatte und in der schlimmsten Diktatur der Neuzeit endete.

Der Schuster Julius Kraus meinte mit A bopa alles, „was einem das Leben verbittern kann…Mit einem Wort, die ganzen Widerwärtigkeiten vom Staat, von den Ämtern, vom Gericht und der Polizei.“ Für ihn ist es folgerichtig, dass das Leben nur dann einen geregelten, friedlichen Lauf nehmen kann, wenn von diesem A bopa nichts zu spüren ist. Es handelt sich dabei um eine provinziell-anarchistische Attitüde, die davon ausging, dass „Politik irgend etwas war, was sich weit weg in den Städten abspielte und weiter keine Bedeutung hatte“, um dann, wie von Teufels Hand, „gewissermaßen leibhaftig“ auch zu den Menschen aufs Land kam.

Die Aktualität dieses Romans besteht in der strukturellen Wiederherstellung eines Phänomens, das als längst überwunden galt. Trotz der infrastrukturellen Anbindung des Landes an das urbane Leben, trotz der massenhaften Migration in die Städte und trotz der flächendeckenden Versorgung mit Information hat sich eine Trennung von Stadt und Land wieder hergestellt. Die politische Dimension dieses Sachverhaltes ist brisant. Denn wieder haben sich Regierungen etabliert, die es nicht mehr für nötig halten oder nicht in der Lage sind, ihre Entscheidungen vernünftig zu erklären. Und wieder erscheint die Staatsmacht als etwas Fremdes in den entlegenen Gebieten „gewissermaßen leibhaftig“ mit Ansprüchen und Forderungen, die den dort Lebenden nicht schlüssig sind. Und wieder sieht sich die Politik nicht genötigt, die Veränderungen in den Lebensverhältnissen zu erklären.

Manchmal ist es hilfreich, sich zurück zu lehnen und in den Werken anderer Epochen nach Erkenntnissen zu suchen, die das Gegenwärtige aufhellen. Unruhe um einen Friedfertigen von Oskar Maria Graf ist eine solche Übung. Mit großem Gewinn!

Die Nostalgie der Nekrologen

De mortuis nihil nisi bene, wenn du über die Toten redest, so die römische Maxime, schweige, es sei denn, du redest Gutes. Auch wenn dem ein gewisser Takt zuzusprechen ist, so ist es dennoch eine der groteskesten Anleitungen, um sich selbst, d.h. die Nachwelt zu belügen. Das hat der Kulturkreis so perfektioniert, dass Mark Twain es einmal so auf den Punkt brachte: Er wollte zumindest noch so viel von seiner eignen Trauerfeier mitbekommen, um zu hören, was er doch für ein toller Hecht gewesen sei.

Immer, wenn jemand, vor allem aus dem öffentlichen Leben, das Zeitliche segnet, kommt diese Schimäre wieder zum Vorschein und die Nachwelt gaukelt sich etwas vor über ein Leben, das so nie existiert hat. Eine der wenigen, rühmlichen Ausnahmen, die in der Literatur existieren, bildet Oskar Maria Grafs Nekrolog für einen Freund. Er meinte damit Franz Jung, jene schillernde Figur der deutschen Geschichte, die es vom Ökonomen, Bühnenautor, Linksradikalen, Schiffsmeuterer, Spion bis zum Pizzabäckerei und Biographen gebracht hatte. Graf ließ in diesem Nekrolog kein gutes Haar an ihm. Der einzige Schönheitsfehler: Jung lebte noch, als Graf den Nekrolog veröffentlichte.

Besonders in der letzten Zeit konnte die Nachwelt wieder bezeugen, wie dieses nihil nisi bene funktionierte. Eine doch beträchtliche Zahl von prominenten Menschen des öffentlichen Lebens, besonders aus der Politik, verabschiedete sich von der irdischen Existenz und die bezahlten oder selbst berufenen Nekrologen tauchten auf wie die Pilze auf dem feuchten Waldboten und formulierten Elogen, die sehr viel mit der Korrektur von Geschichte und sehr wenig mit dem tatsächlichen Respekt vor der realen menschlichen Existenz zu tun hatten. Um ehrlich zu sein, es tut jedesmal richtig weh zu hören, wie infam der Tod eines Menschen zum Anlass genommen wird, um die eignen, offensichtlichen Tagesinteressen mit diesem Anlass zu unterfüttern.

Ja, auch die von uns Gegangenen hatten einiges vorzuweisen, auf das in positivem Sinne hingewiesen werden kann. Aber machten sie keine Fehler? Hatten sie keinen Eigensinn und waren sie nicht ebenso oft Opfer ihres eigenen Irrtums? War da keine Eitelkeit, keine Selbstliebe, keine Bestechung und kein Eigeninteresse? Stattdessen tauchten Figuren vor unserem geistigen Auge auf, die nie so existiert hatten und deren Leben, so wie es berichtet wurde, nur einen Teil dessen ausmachte, was uns nun als ihre gesamte Existenz vorgespiegelt wurde?

Es wäre in großem Maße hilfreich, die alte römische Tradition ad acta zu legen, um die Existenz eines Menschen zum Anlass zu nehmen, um auf die wichtigen, großen Aporien unseres Daseins hinzuweisen. Aporien, die das Wesen der Existenz gerade ausmachen. Entscheidungen zu treffen, obwohl man glaubt, es eigentlich besser zu wissen, Dinge zu tun, obwohl klar ist, dass sie falsch sind. Genau das sind die Schlüssel zu einer Reflexion menschlichen Handelns, die weiter bringt im Sinne eines Lernprozesses, in dem sich die Gattung vielleicht befinden könnte, verpflichtete sie sich nicht Konventionen, die zu nichts anderem konzipiert sind, um die Ursachen der Schwächen zu dechiffrieren.

Menschen, die irren, die Schuld auf sich laden, weil sie aufgrund von inneren wie äußeren Zwängen handelten, sind in ihrer Darstellung wesentlich hilfreicher als Helden, die es sowieso nicht gibt. Der Tod ist ein willkommener Anlass, um über das Leben zu philosophieren. Mit einer Lüge zu Beginn geht das allerdings nicht. Es öffnet lediglich die Tür zu einer schaumigen Nostalgie. Die braucht keiner, außer denen, die die Erkenntnis mehr fürchten als den Tod.

Lest die deutsche Literatur zum Thema Exil!

Als die Katastrophe hier in Deutschland ausbrach, in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts, da gingen die Menschen sehr unterschiedlich damit um. Diejenigen, die an den Nationalsozialismus glaubten, waren voller Hoffnung und diejenigen, die nicht daran glaubten, gingen zunächst mehrheitlich davon aus, dass der Spuk sehr bald vorbei sei, angesichts des sehr jungen und zumeist unqualifizierten Personals, mit dem das III. Reich aufgebaut werden sollte. Wir wissen, dass alle falsch lagen bis auf diejenigen, die an diesem Spuk noch verdienten. Diejenigen, die nicht an das Reich der Rasse glaubten, duckten sich irgendwann ab, oder sie verschwanden in Lagern, wo sie irgendwann erschlagen, erschossen oder verbrannt wurden. Andere machten sich noch früh genug auf die Flucht. Wenn sie früh genug gingen, waren sie klug, andere, die erst später auf die Idee kamen, hatten es wesentlich schwerer. Auch wenn sie ihr Leben retteten, stand vor ihnen das beschwerliche Exil.

Das Exil war nichts, was in irgend einer Form romantisiert werden könnte. Die wenigen Stunden in dem berühmt gewordenen Sanary-sur-Mère, an der Code d´Azur, wo einst Thomas Mann eine Villa besass, bezeugen nicht das, was das Exil für viele bedeutete. Sie verloren zumeist alles, ihre bürgerliche Existenz, ihr Hab und Gut, ihre sozialen Beziehungen und, was immer unterschätzt wurde, ihren Beruf. Und es gab sehr unterschiedliche Wege, wohin man sich aufmachte. Die einen zog es nach Amerika, gerne nach Nord, aber auch nach Süd, andere, von denen nicht so gerne berichtet wird, auch nach Osten. Thomas, Mann, Bertolt Brecht, Lion Feuchtwanger, Ernst Bloch, Oskar Maria Graf etc. gingen über New York in die USA, und ihr Geld und Ruhm entschied, wie es weiter ging. Thomas Mann und Lion Feuchtwanger residierten in großen Villen an der kalifornischen Westküste, weil sie schon vor den Nazis weltbekannt und berühmt waren und einen Teil ihre Vermögens retten konnten. Stefan Zweig arbeitete zwischendurch als Tellerwäscher, Oskar Maria Graf wohnte in Manhattans Norden unter Latinos, die einwanderten. Und es gab Betriebsräte und Kommunisten aus Zechen und Stahlwerken, die in die Sowjetunion gingen, um gegen Hitler zu kämpfen. Ihr Exil war irgendwo an der chinesischen Grenze in einer Waffenfabrik.

Diejenigen, die nicht doch irgendwann geschnappt wurden, in der Vergessenheit den Rest ihres Daseins fristeten oder aus Verzweiflung und Schmach Hand an sich legten, die Zeugnis ablegen konnten vom Elend des Exils, von den vielen, verzweifelten, intelligenten wie dummen, extravaganten wie armseligen Versuchen, dem Tod durch die Schergen eines Tyrannen zu entgehen, sie und ihre Zeugnisse, die verfügbar sind, sie sind aktueller denn je. In einer Situation, in der Hunderttausende von Flüchtlingen in unser Land kommen und das historische Wissen um die eigene Vergangenheit dem Konsumrausch und einem Befindlichkeitsdiskurs gewichen sind, sollten diese Bücher schleunigst gelesen werden. Es gibt sehr viele davon und sie sind gut: Exil und der Teufel in Frankreich von Feuchtwanger zum Beispiel, oder Der Vulkan von Klaus Mann, oder Transit von Anna Seghers, oder Der Weg nach unten von Franz Jung, oder Wir müssen weiter von Franz Mehring, oder Die Flucht ins Mittelmäßige von Oskar Maria Graf, oder, oder, oder. Wer einen Eindruck vom Grauen von Flucht und dem Elend des Exils erhalten will, sollte sich dieser Literatur, die unter dem Stichwort Exil in den Regalen der Bibliotheken steht, intensiv widmen. Sie öffnet die Augen für das, was momentan in unserem Land geschieht!