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Befragt die Brüder und Schwestern im Osten!

Wer immer noch darüber rätselt, wohin die Reise gehen mag, der befragt am besten die Brüder und Schwester im Osten. Für die Nachgeborenen und in Sachen historischem Bewusstsein mutwillig Entleerten sei erklärt, dass damit zu der Zeit, als Deutschland in Folge des II. Weltkrieges noch geteilt war, die Bevölkerung der DDR gemeint war. So zumindest in der Diktion des Westens. Wer konnte, d.h. wer dort nachweislich Verwandte hatte, schickte hin und wieder ein Care-Paket mit Kaffee, Schokolade oder Seidenstrümpfen und wir bekamen in der Schule erzählt, dass wir an Weihnachten Kerzen ins Fenster stellen sollten, um zu zeigen, dass wir an die Armen dort drüben auch dächten. 

Weit später erfuhr ich, dass dort in der Dunkelheit sich nicht alle so schlecht fühlten, wie im Westen erzählt. Aber das ist eine andere Geschichte. Dass vieles dort so eigenartig und, wenn man so will, auch irrational wie undemokratisch war, lag an dem Verständnis der herrschenden Elite über das Staatswesen und die daraus abgeleitete Art der Institutionen wie der Kommunikation. Und genau das war es, nicht der Mangel an Schokolade, was nach Jahrzehnten der Duldung irgendwann das Fass zum Überlaufen brachte.

Die Doktrin, im Besitz der Wahrheit zu sein, die Begründung aller Handlungen mit dem Verweis, auf der richtigen Seite zu stehen, die Begründung von Unrecht mit der gleichen Logik und die Überführung der eigenen Doppelmoral bei unzähligen Fällen. Wer da eine andere Meinung hatte, der war nicht nur anderer Meinung, sondern stand im Sold des Erzfeindes oder er war verwirrt oder geisteskrank. Und, Sie werden es gemerkt haben, die eigenen Kriege galten als Akt der Befreiung und die der „anderen“ Seite als willkürliche Aggression.

Angesichts gewisser Entwicklungen, die selbst die sensorisch Benachteiligten mittlerweile wahrgenommen haben, ist der Verweis auf jene Epoche im Osten Deutschlands und auf die damals dort lebenden Brüder und Schwestern nicht nur naheliegend, sondern zwingend. Schon lange regt sich „drüben“ mentaler Widerstand gegen Tendenzen, die man dort allzu gut kennt. Das begann schon vor Jahren, als man sich darauf einigte, dass Kritik an der Regierung zumindest als Kollaboration mit dem Feind einzustufen sei. Den weiteren Verlauf dieses Prozesses haben zumindest aufmerksame Charaktere in Ost wie West mitverfolgen können. Die der demokratischen Theorie zugrundeliegende These, dass der politische Streit die Grundlage für das Florieren des Systems ist, wurde schlichtweg liquidiert. Der folgenden Inquisition wich der Einfallsreichtum.

So ist es nicht verwunderlich, dass sich die Regierenden ohne richtige Opposition im Rausche der Selbstgefälligkeit nicht mehr sonderlich bemühen, ihr Handeln vernünftig zu begründen. Sondern es genügt ihnen, jede noch so banale Schnapsidee als die Lösung aller Rätsel zu verkaufen. Und das eigene Versagen, dass sich bei dem, was die Corona-Krise genannt wird und dem nun anhaltenden Ukraine-Krieg, manifestiert, wird versucht schlichtweg zu tabuisieren. Das eigentliche Problem ist die Begründung jeglichen Handelns mit einer längst entzauberten Ideologie, die chronische Unverhältnismäßigkeit und das Nichtvorhandensein einer Haltung, die dem Auftrag des Mandats entspräche. Ginge es nicht um Leben und Tod, um Sein oder Nicht-Sein, so wäre es die Gelegenheit einer ausgelassenen Volksbelustigung. 

Und der Verweis sei wiederholt. Wer die Gelegenheit hat, befrage die Brüder und Schwestern im Osten. Die können nämlich nicht nur erzählen, wie das damals war, sondern sie leisten gerne die pädagogische Arbeit und zeigen die Parallelen zu dem, was wir im Hier und Jetzt beobachten müssen.

G 20: Die Entpolitisierungsfront bröckelt

Auch G 20 in Hamburg dient dem Versuch, das Leben auf breiter Fläche zu entpolitisieren. Das hat System und gehört zu den wesentlichen Merkmalen dieser Epoche. Denn wenn Politik im Bewusstsein der Menschen keine Rolle mehr spielt, dann können die Mächtigen schalten und walten, wie sie wollen. In den Berichten über den gestrigen Tag findet sich diese Strategie wieder. Da sitzen die Traumdeuter der Politik in ihren Studios und erzählen von den Befindlichkeiten und charakterlichen Marotten der anwesenden Regierungschefs und man bekommt den Eindruck, ein schönes, gemeinsames Abendessen und ein kräftiger Digestiv könnten es schon richten, wenn es um Hegemonialansprüche oder Rohstoffzugriff ginge. Und mit dieser seichten Interpretationshilfe wird auch dann argumentiert, wenn es um die Vertretbarkeit dessen geht, was für G 20 steht: Immense Kosten, die Lähmung des wirtschaftlichen Lebens, die massive Einschränkung von Rechten und eskalierende Gewalt.

Und gerade die Gewaltfrage hat von offizieller Seite ein eindeutiges Narrativ. Der schwarze Block, jenes kaum zu fassende Ungeheuer, das mal 1000, mal 8000, und mal 15000 Arme hat, dieses Ungeheuer ist es, das über die Anwendung von Gewalt in der Stadt entscheidet. Diese Weise zieht sich durch alle unrühmlichen G 20-Gipfel. Nur gestern, wie jedes Mal, war es wieder anders. Da schlug die Polizei präventiv zu, d.h. sie deckte den Demonstrationszug mit Pfefferspray und Tränengas ein und stoppte den ganzen Zug, obwohl bis dahin nichts passiert war. Dann kam es zur Gewalt, was die präventive Maßnahme in den Augen derer, die sie anordneten, rechtfertigte. Kalt betrachtet handelte es sich um eine massive Einschränkung des Demonstrationsrechts und einen staatlichen Übergriff auf friedliche Demonstranten. Dass sich bei solchen Anlässen immer wieder Gutmeinende von der Gewalt distanzieren und damit nicht die Polizei meinen, zeugt davon, dass ihnen das Mittel der politischen Analyse vollends abhandengekommen ist.

Ein Treffen, bei dem die Protagonisten der Globalisierung aufeinandertreffen, nicht politisch zu betrachten, ist nahezu unmöglich. Dennoch, die staatlich alimentierte Vierte Gewalt gibt sich alle Mühe, dieses zu tun, in dem sie die politischen Widersprüche, die sich zwischen Mächten wie den USA, China, Russland sowie Deutschland und der EU auf Episoden aus dem Feuilleton zu reduzieren sucht. Positiv ist anzumerken, dass die breite Front, die in der gezielten Entpolitisierungskampagne zu bestehen schien, zu bröckeln beginnt. Einzelne Organe, sowie vor allem Personen aus dem öffentlichen Leben, die bis dato geschwiegen haben, solidarisieren sich zunehmend mit dem Unmut, der über das in dieser Regie geführte Todeskommando der Globalisierung besteht. Das ist nicht genug, aber ein Anfang.

Das lange Schweigen einer breiten politischen Mehrheit deckt sich mit den Regierungsperioden einer großen Koalition. Auch wenn es dem deutschen, kleinbürgerlichen und autoritären Naturell so sehr behagt, in schwierigen Zeiten durch eine solide parlamentarische Mehrheit geführt zu werden, die große Koalition und damit die Schwächung der oppositionellen Kraft ist ein Synonym für die Entpolitisierung aller gesellschaftlichen Handlungen und eine Kapitulation vor den bestehenden Machtverhältnissen. Gut, wenn G 20, das von der Kanzlerin als eine PR-Kampagne zur bevorstehenden Bundestagswahl genutzt wird, dabei hilft, die Frage der großen Koalition gleich mit zu beantworten. Dabei ist das Motto des Protestes in Hamburg sowohl sprachlich als auch politisch treffend gewählt: Welcome to Hell. Wer nicht alle Hoffnung fahren lassen will, muss jetzt handeln und aktiv werden.

 

Versteckte Appelle und torkelnde Boten

Die Reaktion der zumeist regierenden Parteien auf den Aufstieg der AFD, oder, wie es selbst in der öffentlichen Berichterstattung ohne Gänsefüßchen heißt, der Aufstieg des Rechtspopulismus, führt zu Konsequenzen bei den Regierenden, die deutlich machen, dass wenig von dem, was den Trend ausmacht, richtig wahrgenommen wurde. Wäre das der Fall, dann würden zum Beispiel die Medien nicht mit dem Wording der angegriffenen Politik selbst in die Berichterstattung gehen. Und wäre das der Fall, so suchten die Angegriffenen nicht bei Fehlern oder Inkonsistenzen der Angreifer, sondern sie suchten nach Fehlern bei sich selbst.

Viele derer, die den Protest wählten, distanzierten sich von seinem Label. Es ging ihnen, durchaus glaubhaft, vor allem um den Schock, den Schlag ins Gesicht derer, die denken, sie könnten treiben, was sie wollten, weil sich sowieso niemand dagegen auflehnt. Soweit die Fehlannahme. Jetzt den Fokus auf das Medium der Kritik zu richten, gleicht der antiken Metapher von der Tötung des Botens, der die schlechte Nachricht bringt. Die Ursache liegt in der eigenen Politik begründet, die verantwortlich ist für Arbeitsverlust, Lohnsenkung, Subvention von Spekulation, Verhöhnung durch die staatlich monopolisierten Medien und das Verbot von allem, was der so genannte Kleine Mann sich noch leisten konnte, auch wenn es nur ein Schein von Freiheit war.

Doch die Kritisierten begreifen die Botschaft nicht. Vielleicht gelingt es ihnen noch, den Boten zu meucheln, das verlorene Vertrauen, welches sich in der Radikalisierung ausdrückt, das werden sie mit diesem Vorgehen nicht zurückgewinnen. Insofern ist die Art und Weise, wie versucht wird, die Träger der kritischen Botschaft zu verhöhnen, ebenso eine empfundene Verhöhnung derer, die nur warnen wollten. Da liegt es nahe zu vermuten, dass es nur eine Spirale ist, die nach oben zeigt. Die Bräsigkeit der parlamentarisch Herrschenden, die sich momentan bei der Koalitionsbildung wie eine Altkleidersammlung im großen Stil generiert, zerstäubt mit gnadenloser Konsequenz genau das, was letztendlich die Hoffnung auf Besserung in sich trägt: Das Erstarken einer Opposition, die konsequent und böse ist, die sich aber an die Spielregeln hält.

Es ist kein Glück festzustellen, dass die Radikalisierung der Bürgerschaft in unserem Land mit wuchtiger Tendenz wie in anderen Ländern Europas auch nach rechts geht. Es ist das gleiche Unglück, das sich allerdings ableitet aus der gleichen törichten Politik, die auch und gerade im benachbarten Frankreich zu dieser Revolte geführt hat, die bald das ganze Europa überzieht. Diejenigen, die den Begriff der Revolte traditionell für sich beanspruchten, schauen ebenso verdutzt auf das Geschehen wie die Regierenden des Kontinents, die ihren Augen nicht trauen.

Wie immer, wenn sich Dinge zügig verändern, ist es ratsam, die Augen offen zu halten und genau zu beobachten, was passiert. In den europäischen Ländern, in denen die Rechten schon seit Jahren auf dem Vormarsch und in den Parlamenten sind, hat die Barbarisierung des zivilen Lebens nicht stattgefunden, zumindest nie so schlimm, wie es schon in Teilen Deutschlands der Fall ist, ohne dass die Rechten regierten. Das lässt den Schluss nahe, doch sehr genau darüber nachzudenken, was tatsächlich hinter der Botschaft steckt, mit der ein überforderter Bote momentan ungestüm durch den Raum torkelt. Soviel ist gewiss: Es ist der Appell an alle, die bereits in Verantwortung stehen, ihr Leben zu ändern, und zwar radikal.