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Zeit für guten Journalismus

Angesichts oft tagelanger Diskussionen über Nichtigkeiten, mit denen sich die mediale Berichterstattung beschäftigt und angesichts geringer Aufmerksamkeit für Geschehnisse, die durchaus sehr entscheidend sein können, stellt sich immer wieder die Frage nach dem Zustand der Medien und derer, die sie produzieren. Oft wird ein Phänomen für das offensichtliche Debakel aufmerksam gemacht, manchmal sind es auch zwei oder drei. Wichtig ist es und Konsens scheint zu sein, dass es so, wie es ist, nicht mehr weitergehen kann. Das beinhaltet allerdings Voraussetzungen, die über Nacht nicht geschaffen werden können.

Die Auswahl des Themas hat etwas zu tun mit Struktur und Selbstverständnis. Es muss ein Begriff darüber existieren, zu welchem Zweck und mit welcher Absicht Geschehnisse ausgewählt werden. Fühlt man sich bestimmten Interessen verpflichtet, wird die Entscheidung, welche der unzähligen Ereignisse ausgewählt werden sollen, leichter. Wer keinerlei Selektionskriterium im Kopf hat, wird im Strom des Weltgeschehens schneller ersaufen, als er vermutet. Wer weiß, was ihn oder natürlich sie interessiert, der oder die wird es leichter haben, der Flut standzuhalten.

Nach der Auswahl der Information beginnt der eigentlich komplizierte Teil der journalistischen Arbeit. Auch wenn nicht geleugnet werden soll, dass bei dem ersten bereits viele des Metiers scheitern. Aber nun geht es zunächst darum, den Sachverhalt zu beschreiben. Und zwar sehr nüchtern, distanziert, ohne Vermengung mit eigenen, individuellen Interessen, Sympathien oder Antipathien. Gute der Branche leiten die Anreihung der Fakten dann über in eine Betrachtung aus unterschiedlichen Perspektiven. Das erhöht zwar die Komplexität, ermöglicht aber auch eine Analyse, die den Namen verdient. Das Bewerten der Kräfte, die in diesem Ereignis wirken, ist der wohl anspruchsvollste Teil, allerdings auch der, den diejenigen, die Geld für diese Aufbereitung bezahlen, sich eigentlich als Gegenwert vorstellen. Richtig gute Journalistinnen gehen dann noch in die Perspektive zweiter Ordnung, d.h. sie verstehen es, die von ihnen beschriebenen Zusammenhänge von einer höheren Ebene auch auf sich selbst zu betrachten, um die Relativität des eigenen Urteils deutlich zu machen. Das ist dann aber schon große Kunst, und die zu erleben, das ist nur noch den Versierten vorbehalten, die wissen, wo derartig geheimnisvolle wie wertvolle Ware im Zeitalter des Info-Trash noch zu haben ist.

Die dritte Dimension einer Vermittlung guter Informationen auf hohem journalistischem Niveau ist die eigene wirtschaftliche Basis derer, die sie auch verkaufen wollen. Zumeist haben wir es mit der verhängnisvollen Täuschung zu tun, dass Auflage oder Quote unweigerlich nur mit der Vermittlung des vermeintlichen gesellschaftlichen Mainstreams zu vermitteln ist. Mit der Aufbereitung dieser mediokren Botschaften seien dann die Inserate zu akquirieren, die den eigentlichen wirtschaftlichen Gewinn markieren. Diese Discountmentalität hat jedoch dazu geführt, dass Auflagen und Quoten sinken, weil das Publikum tendenziell den Qualitätsverlust nicht goutiert. Die Reaktion der Häuser ist absurd, weil sie sich all the way down weiter bewegen, ohne die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Es sei an dieser Stelle einmal erlaubt, den Überdruss an schlechtem Journalismus mit einer positiven Beschreibung dessen, was weiterbringen würde, in wenigen kargen Sätzen zu beschreiben: Es ist die Zeit für einen guten Journalismus, der deutlich macht, welchen Interessen er folgt und warum er etwas thematisiert. Der beschreibt, was er beobachtet, und zwar so distanziert wie möglich und der es sich leistet, die Perspektive zu wechseln, um die Wirkungskräfte zu erklären. Wenn er es dann noch schafft, die eigene Beschränktheit bei der handwerklich dennoch exzellenten Arbeit zu thematisieren, dann haben die Konsumenten seiner Arbeit einen erkennbaren Mehrwert erhalten. 

Nützliche Hinweise aus dem Imperium Romanum

Als die Patrizierfamilien ihre Macht etabliert hatten und Rom zu dem Imperium geworden war, das wir aus den Geschichtsbüchern kennen, setzte eine Entwicklung ein, die nicht untypisch für einen solchen Zustand ist. Die Fortpflanzungsraten dieser Elite entsprachen quantitativ nicht mehr den vielen Funktionsstellen, derer es bedarf, um die Macht zu sichern. So setzte auch in Rom das Klagelied ein, die Römer stürben aus und das Imperium sei in Gefahr. Das stimmte so nicht, denn was in Gefahr war, war einzig und allein das Monopol der alt eingesessenen Patrizierfamilien, die gerade begannen einer Entwicklung zum Opfer zu fallen, die manch böse und vorlaute Zunge heute mit dem Terminus der spätrömischen Dekadenz bezeichnet. In Bezug auf die Reaktion des Imperium Romanum auf die demographische Baisse der Patrizier ist das ziemlicher Unfug, denn Rom besass genug Größe und Souveränität, um das Problem zu lösen: Es eröffnete den jungen Talenten aus den vielen Provinzen die Perspektive, in der Kapitale Karriere zu machen und besass damit auch noch Weitsicht, denn der neue Karrierepfad für die Sprösslinge aus dem Osten, dem Süden und dem Norden sorgte für eine politische Stabilisierung des Imperiums und hatte eine immense integrative Wirkung.

Der Sprung in das Germanistan unserer Tage fällt angesichts derartiger Gedanken etwas schwer, zeigt er doch, was die geschenkte Republik so schwerfällig und töricht macht im Vergleich zum römischen Imperium. Die Klage über den demographischen Wandel kennen wir schon sehr lange. Er müsste keine Besorgnis auslösen, wenn es um die Rente ginge, auch wenn das als ideologische Spitze immer wieder angeboten wird. Die Renten sind nicht wegen der Demographie in Gefahr, sondern weil die Rentenkassen ohne die Zustimmung der dort Versicherten immer wieder geplündert wurden und werden. Das demographische Problem ist verkettet mit der auf Wachstum basierenden Ökonomie, die den Zenit längst überschritten hat und sich vor allem vor dem Hintergrund asiatischer Produktionsbedingungen längst in ihre destruktive Variante verkehrt hat.

Aber selbst wenn wir den Wachstumsgedanken kritisch hinterfragten und uns über eine neue, qualitativ anders konzipierte Ökonomie Gedanken machten, hätten wir das Problem, keine neuen Aspekte der Weltgesellschaft mehr intellektuell integrieren zu können, weil wir die Potenziale des eigenen Landes nicht nutzen. Analog zum Imperium Romanum sollten wir uns schleunigst von der nicht antiken, aber anachronistischen Definition des Staatsbürgertums verabschieden, das dem jus sanguinis, also der Ableitung der Staatsbürgerschaft aus dem Blut entspringt und uns dem jus soli zuwenden, das die Staatsbürgerschaft dort entstehen lässt, auf welchem Boden der Mensch geboren wird. Denn wer den Pass hat, der gehört dazu und hat einen Anspruch auf die Chancen der Gesellschaft. Alles andere ist, man verzeihe den drastischen Ausdruck, nationalistische Propaganda, die im 21. Jahrhundert in einer modernen Gesellschaft nichts mehr verloren hat.

Seit der Ära Kohl, an der die deutsche Bevölkerung stärker beteiligt war als sie heute zuzugeben beliebt, dominiert dieser Anachronismus den politischen Diskurs. Er verschließt Perspektiven und verspielt die Zeit, die bleibt, um Zukunft zu gestalten dramatisch. Angesichts der laufenden Verhandlungen über eine große Koalition wäre es an der Zeit, dieses Thema an zentraler Stelle mit auf die Agenda zu nehmen. Die Potenziale von Migranten liegen in ihrer Jugend und Diversität. Etwas, das das Land bitter nötig hat. Und es existiert keine integrativere Kraft als eine erfolgreiche Karriere. Die jedoch hängt ab von vollen Rechten. Das zu ignorieren, ist ein grobes Vergehen.