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Die Quacksalber der Globalisierung

Dass die Welt immer komplexer wird, gehört zu den Grundsätzen von Erkenntnis, die vorhanden sein sollte, wenn eine Diskussion über mögliche Gestaltungsmöglichkeiten mit Aussicht auf Erfolg geführt werden soll. Das Medium der Gestaltung dieser Welt ist und bleibt die Politik. Keine noch so avancierte Fachdisziplin und keine noch so elaborierte Philosophie werden in der Lage sein, die Millionen von losen Enden so zusammenzuführen oder auch zu separieren, um sinnhafte soziale Beziehungen daraus zu formen. Auch wenn es für so manchen Zeitgeist kaum noch zu ertragen ist, die Res Publica bleibt auch in Zeiten von Digitalisierung und Globalisierung das höchste Konstrukt, mit dem sich das soziale Wesen Mensch zu befassen hat.

Und genau so, wie sich die immer schneller werdende Kommunikation von den tatsächlichen Wegen des materiellen Vollzugs dieser Kommunikation hinweg bewegt, genau so viel Zeit liegt zwischen der Aktualität der politischen Erklärungsmuster und den tatsächlichen sozialen Bewegungen. Um es deutlich zu sagen: So schnell die Kommunikation auch sein mag, der Weg von Manila nach Rotterdam, der erforderlich ist, um den vielleicht an der Börse vereinbarten Handel zu vollziehen, beträgt auf dem Seeweg immer noch vier bis sechs Wochen. Und so schnell bestimmte politische Fakten geschaffen sind, bis die Fähigkeit in Form einer Theorie diese neuen Fakten zu erklären entwickelt ist, vergehen wahrscheinlich einige Jahre, ein Zeitraum, der angesichts des atemberaubenden Tempos technokratischer Faktizität nahezu unerträglich erscheint.

Es macht gar keinen Sinn nach Schuldigen zu suchen. Es gibt sie schlicht nicht. Die Kluft zwischen realer Lebenswelt und hinreichender theoretischer Erklärung gab es immer, und ob sie tatsächlich angesichts der binären Beschleunigung noch größer geworden ist, muss sich noch herausstellen. Was sich angesichts der Säugung des Menschen durch die digitalen Instrumente dramatisch verändert hat, ist die Fähigkeit des letzteren, mit unerklärten Phänomenen umzugehen. Angesichts dieser Perspektive war der Mensch des Mittelalters ein glücklicher, weil er sowohl Leidensfähigkeit und Geduld mit sich brachte. Geduld ist heute eine aussterbende Tugend und deshalb haben sich die Tore weit geöffnet für ein bestimmtes Metier, das sehr verwandt ist mit den Schamanen und Spökenkiekern, den Voodoo-Zauberern und den Drogenphilosophen der Vergangenheit.

Ihre Konjunktur entstammt der als groß empfundenen zeitlichen Lücke zwischen realen Fakten und Politikerklärung. Das hat zum einen objektive Gründe, zum anderen entspringt es der wachsenden Unlust der politischen Klasse, ihr eigenes Geschäft zu betreiben, indem sie darauf verzichten, die politisch komplexe Welt noch erklären zu wollen. In dieses Gap springen nun die Quacksalber der Neuzeit. Es handelt sich dabei nicht einmal mehr um spirituelle Sinnstifter oder narkotisierende Trostspender, sondern um Triebtäter im Namen einer Spezialwissenschaft. So ist es auch die Aura der Wissenschaftlichkeit, welche ihnen beim großen Publikum die notwendige Legitimation verschafft. Im Zeitalter des Szientismus haben die Wissenschaften längst den Status von Zivilreligionen erreicht, die entgegen ihren kritischen Wurzeln zu Dogmatismus und Besserwisserei neigen.

Im Moment sind es vor allem Vertreter aus der historischen Wissenschaften und, schlimmer noch, der Ökonomie, die im Brustton der Überzeugung die komplexe Welt der Politik erklären und keinen Widerspruch dulden. Ihre Inthronisierung als diejenigen, die die Welt zu erklären in der Lage sind, ist ein fataler Rückfall in die Vor-Aufklärung. Die Politik ist das einzige Medium, das in der Lage ist, die sozialen Konstrukte dieser Welt zu gestalten und zu erklären. Es wird Zeit, dass sie den Quacksalbern der Globalisierung das Handwerk legt.

Welterklärung all-inclusive

Schlechte Nachrichten für alle, die sich im warmen Bett der Gewissheiten wähnten, die mit einbetoniertem Kompass an ihren Tischen saßen, die mit einem Anflug von Arroganz in Talkshows und Hörsälen dem staunenden Auditorium die Welt erklärten. Nichts von dem, was ihre kleinformatigen Erklärungsansätze zu erfassen suchten, stimmt mit der Welt, so wie sie draußen ist, noch überein. Ob am Rednerpult in den Parlamenten, an der Tafel vor der Klasse, im Plüschsessel vor der Kamera oder im Fokus des Auditorium Maximum: Die großen Gesten der Welterklärung haben den Weg in Dunkelheit und Verwirrung eröffnet und das Licht der Erkenntnis in weite Ferne gerückt.

Es ist zu reden über ein Phänomen, das besonders im Lande der Dichter und Denker, in welchem die intellektuelle Kapriziosität des einzelnen Individuums so außergewöhnliche Leistungen zu zeitigen in der Lage ist, das kollektive Arrangement sich umgekehrt proportional aber so schwer tut. Die großen Werke des deutschen Idealismus wie der deutschen Klassik, die kosmischen Figuren einer einzigartigen, voluminösen Musik wie die erhellenden Texte radikaler Philosophie konnten nichts bewirken in Bezug auf das staatliche Zusammenwirken. Das war angesichts der kulturellen Potenziale ein beschämender Exkurs quasi ins Paläolithikum.

Vielleicht ist es der aus der intellektuellen Extravaganz entstandene Übermut, der dazu trieb, die Dimension sozialer Konstrukte zu unterschätzen und sie zu behandeln wie einen Schülertext. Und dieser Übermut, er gehörte zu den wenigen Dingen, die je in der Geschichte der Deutschen demokratisiert wurde. Diesen Übermut beherrschen alle und ihnen ist gemein, dass sie schnell zu Herren einer Analyse werden, die den Namen nicht verdient. Besser als eine Episode, die sich zu wiederholen scheint, lässt es sich nicht beschreiben:

Ein weitgereister, in allen Teilen Welt aktiv gewesener Berater in Politik und Wirtschaft, einer der zu den wenigen gehört, die im Felde der internationalen Deutung aus diesem Land geschätzt werden, klagte einst sein Leid, gefragt, wie es ihm gehe, wenn er nach Deutschland zurückkehre. Ja, seufzte er, es sei schön, nach Hause zu kommen, die Ordnung, das geregelte Leben, die sachliche Verfügbarkeit und all die Genüsse goutieren zu können. Nur mit den Sozialkontakten, das sei so eine Sache. Er ginge zum Bespiel auf keine Party mehr, weil dort die erste Frage immer sei, was man so mache. Und wenn er zum Beispiel sage, dass er derweilen in Kuba lebe, ohne auf die Inhalte seiner Tätigkeit konkret einzugehen, meldeten sich schon Experten, die bereits einmal für 14 Tage dort gewesen seien, all-inclusive versteht sich, die ihm in epischer Breite und mit profunden Blick dieses Land erklärten. Das ertrage er nicht mehr, seufzte der Kosmopolit. Und wäre er kein Rheinländer gewesen, so hätte er sicherlich sogar geweint.

Beschrieben ist damit ein Phänomen, dem sie nahezu alle aufsitzen, die Spezialisten aus den Disziplinen, ob es Ökonomen sind, deren Format in diesen Tagen besonders aufgeblasen ist, oder Historiker, die sich an die Propagandafonds heranschleichen oder gar Politologen, die illustrieren, dass sie nichts von Politik verstehen. Deshalb implodiert gerade das deutsche Gebäude der Welterklärung und man ist so überrascht über gewaltige Bewegungen, die scheinbar überraschend über uns hereinbrechen. Das war vor 25 Jahren übrigens auch so, niemand war überraschter als die damalige Bundesregierung, als die DDR in sich zusammenfiel. Eine kritische Revision über die Konstituenten der eigenen, fatalen Prognostik? Nein, warum auch, wir sind doch Meister auf den Gebieten der Angst wie des Größenwahns, da bleibt kein Platz für Bescheidenheit und Demut.