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Hongkong, Minneapolis und Signore Trapattoni

Wer Objektivität lehrt und als seine große Stärke reklamiert, muss sich ihr auch unterziehen. Sonst leidet die Glaubwürdigkeit. Und wenn momentan etwas leidet, neben vielen Menschen und der Natur, dann ist es diese Glaubwürdigkeit. Der Westen, der sich weltweit gerne als Wertegemeinschaft zu charakterisieren sucht, ist mit vollem Eifer dabei, sich selbst zu zerlegen. Mit nicht mehr zu überbietender Naivität werden die Verhältnisse, über die es zu berichten gibt, durch die Brille der eigenen Perspektive konturiert, dass es Beobachterinnen und Beobachtern, die sich an dem Projekt der objektiven Betrachtung gerade übern, schwindlig wird vor so viel Verzerrung und Chuzpe. Käme es auf finale Beurteilungen an, wofür es, um in chinesischen Maßstäben zu denken, noch viel zu früh ist, dann wäre das Urteil niederschmetternd. Denn alles, was in den Annalen der französischen Revolution, dem Urtext der bürgerlichen Gesellschaft, steht, spielt in der gesellschaftlichen Praxis der Staaten, die sich auf sie berufen, kaum mehr eine Rolle.

Einzelne Beispiele helfen immer. Hongkong ist so eine Sache. Hafen wie Stadt unter britischer Verwaltung waren Ergebnis eines kolonialen Raubkrieges. Als 1997 das Areal zurück an China ging, wurde eine fünfzigjährige Übergangsfrist vereinbart, damit alle, die sich am Kolonialstatus bereichert hatten, in aller Ruhe ihren Reichtum in andere Zonen der Welt transferieren konnten. Nun, nach nahezu der Hälfte dieses halben Jahrhunderts, soll die Uhr zurück gedreht werden und das freie Pressewesen beginnt die Sehnsucht nach dem alten Kolonialstatus als eine Freiheitsbewegung im Sinne westlicher Demokratie darzustellen. Hören Sie es, wie sich Voltaire im Grab umdreht? Im Duktus der hiesigen Presseorgane spricht man von einer blutigen Niederschlagung der Demokratiebewegung.

In Minneapolis, eine von vielen Provinzialmetropolen der USA, passierte etwas, das viele Male vorher schon passiert war. Ein Afroamerikaner wurde von einem Polizist ermordet. Und obwohl die zuständige Staatsanwaltschaft den Polizisten des Mordes offiziell angeklagt hat, spricht man in der Berichterstattung davon, dass ein Afroamerikaner bei einem Polizeieinsatz verstorben sei. Genau gesagt, sind es 1088 in der letzten Dekade. Eine systemischer Ursache wird als unglückliche Koinzidenz bagatellisiert. Allein das sollte schon reichen, um, solange man den Grundsatz der Objektivität im Kopf hat, zu erzürnen. Aber natürlich, ja, es ist die Regel, folgt noch mehr. Denn die Proteste, ja, die Proteste gegen den systematischen, gezielten, diskriminierenden Gewaltmissbrauch gegen Teile der Bevölkerung, wird  wird als gewalttätig stigmatisiert. Und die alte Spaltungslinie wird aufgemacht, dass die vielen friedliebenden Demonstranten sich von den Randalierern distanzierten. Es ist, der Begriff sei von nun an benutzt, Kriegsberichterstattung. Es versteht sich von selbst, dass in dem Falle des amerikanischen Flächenbrandes, der sich täglich ausbreitet und Stand Heute allein 70 große Städte erfasst hat, weder von einem amerikanischen Frühling noch von einer demokratischen Bewegung gesprochen wird. Die Worte der repressiven Parteinahme sind das Gift, das die Freiheit tötet.

Und ja, in der Provinz des Westens schimmert auch noch eine Episode auf. Nein, kein Aufstand, Gott bewahre, nur ein weiteres Attest für den Kleingeist. Es handelt sich um den DFB, den Deutschen Fußball Bund. Der ermittelt nämlich gegen Spieler, die am letzten Wochenende auf dem Platz ihre Solidarität mit den Opfern des Polizeiterrors in den USA bekundeten. Offiziell schmückt sich dieser Bürokratenring gerne mit Anti-Rassismus-Kampagnen. Jetzt, wo es um ein praktisches Zeichen geht, dokumentieren sie, dass sie in Sachen Propaganda alles begriffen haben, in Fragen dessen, was in den Köpfen derer vor sich geht, die noch einen Funken gesellschaftlicher Praxis in sich haben, an Fassungslosigkeit nicht zu überbieten sind.

Sie sind genauso ahnungslos- wie gewissenlos wie der immer mehr ins Faschistoid-Groteske abgleitende Präsident Trump. Der sprach von Sanktionen gegen Hongkong, wegen des Verstoßes gegen die Menschenrechte und tobte gleichzeitig auf Twitter, er ließe bald auf das Pack in den Straßen des eigenen Landes die schwarzen Hunde los. Da bleibt, man kann es nicht verkneifen, eine Reminiszenz an den guten alten Fußballlehrer Giovanni Trapattoni. Sein Wort, es träfe den Umstand sehr genau: Was erlaube Trump?!