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Im Orkan des Subjektivismus

Egal in welchem Kontext, egal unter welchem Begriff. Es fällt auf, dass in unserer Gesellschaft eine große Verschiebung der Aufmerksamkeit stattgefunden hat. Und zwar von der auf eine sachliche Welt, in der keinerlei menschliche Regung ihren Platz hat hin zu einem Orkan des Subjektivismus. Vorbei sind die Tage, als sich die Individuen noch schämten, von ihrer eigenen Betroffenheit und den eigenen Interessen zu reden. Die Welt erschien als ein Ensemble der sachlichen Gegebenheiten. Nichts an menschlicher Regung erreichte den Rang, als dass es sich einen Platz unter den so genannten objektiven Erfordernissen hätte einen Platz erobern können. Die „Sache“, auch ein typischer deutscher Euphemismus von rechts bis links, war so ungemein wichtig, im Gegensatz zu den schnöden und profanen subjektiven Interessen, die historisch doch immer begrenzt waren.

Natürlich war die Welt, die angeblich so nach objektiven Gesetzmäßigkeiten wie nach einem Weltwillen vonstatten ging, auch nichts anderes als die materialisierten Interessen einiger Individuen. Aber gerade ihr Spezialinteresse mache sie so delikat, dass es peinlich gewesen wäre, sie als berechtigte Interessen zu formulieren. Deshalb, und nur deshalb wurde der Mehrheit eingetrichtert, ihr eigenes Befinden sei eher peinlich, man täte  so etwas nicht, man spräche nicht über den eigenen Bedarf. Und die Mehrheit besaß die Demut, sich einem solchen Diktum zuzuordnen. Ganz im Gegenteil zu denen, die hinter dem Paravent die Privilegien in sich hineinstopften, die die gegenständliche, objektive Welt für sie übrig gelassen hatte. 

Heute sieht das alles anders aus, aber ob es anders ist, ist noch zu klären. Heute erscheint die Welt als ein groß angelegtes Konsortium von auf die Spitze getriebenen Subjektivismen. Jeder Ansatz, von einer wie auch immer gearteten gemeinsamen Gesetzgebung oder Gemeininteressen zu reden, wird in einem Wolfsgeheul der Befindlichkeiten zum Reißen preisgegeben. Es könne nicht sein, nach so viel Unterdrückung im Namen weniger Nutznießer so dreist sein zu wollen, jedem noch so kleinen Wunsch nach Selbstverwirklichung nicht nachkommen zu dürfen. Der Geist dieser Individualisierung entstammt auf der einen Seite der Entlarvung der alten Denkweise eines allgemeinen Interesses als Schimäre der Profiteure. Auf der anderen Seite steht das Recht auf Selbstverwirklichung heute auf der moralischen Rangskala tatsächlich höher als die Notwendigkeit des Gemeinwohls. 

Die Sprachrohre, derer sich der Subjektivismus bedient, erwecken den Eindruck einer ungeheuren Kakophonie. Es scheint, als ertränke die Welt in einem babylonischen Tonteppich und als sei eine Unterscheidung der vielen unterschiedlichen Bedürfnisse kaum noch zu vollziehen. Die Komplexität des Subjektivismus erzeugt sogar eine wachsende Menge an Zeitgenossen, die das alles gar nicht mehr aushalten und die nach klaren, monokausalen Verhältnissen schreien. Ihnen sei zur Warnung und zum Troste gesagt: Die Objektivierung der Welt stand auch immer nur im Interesse einer Minderheit. Dagegen aufzustehen, ist ein gutes Recht und es geht nur durch die Inthronisierung des Subjektes. Das Subjekt selbst sollte aber zu der Einsicht gelangen, dass das gesamte Ensemble der Subjekte schon so etwas ausmacht wie einen objektiven Rahmen. Allerdings ein Rahmen aus nicht gezählten Subjekten. 

Der Anschein eines freien Marktes der subjektiven Befindlichkeiten sollte wiederum nicht darüber hinwegtäuschen, dass es starke Interessen gibt, die nicht hinter dieser Vielstimmigkeit zurück stehen. Sie zu identifizieren, ist lebenswichtig. Gerade im Interesse einer großen, objektiven Gemeinde, deren Sinnstiftung aus der Summe verträglicher Interessen besteht.

Normative Rollen oder Potenziale?

Mit wachsender Arbeitsteilung und zunehmender interdisziplinärer Vernetzung steht das, womit sich die professionelle Organisation von Arbeit befasst, vor einer entscheidenden Neuorientierung. Klassische Organisation im Sinne einer Betrachtung von Arbeit nach Aspekten von Leistungen, die zu erbringen sind und Faktoren, die kombiniert dazu führen, hat sich als solches überlebt. Nicht, dass die immer wieder genannten Faktoren von Ressourcen, Prozessen und Rollen, die die menschliche Arbeitskraft einzunehmen hat, keine Rolle mehr spielten. Ganz im Gegenteil. Die neuen Theorien von Wertschöpfung ohne einen solchen energetischen Prozess beschreiben den Mythos, den die Postmoderne so gerne bemüht, weil er die Arbeit und die mit ihr verbundene Anstrengung gerne ausblendet. Die Apostel des Hedonismus haben es damit nicht sonderlich. Der Grund für das Ende der klassischen Organisationsbetrachtung liegt ganz einfach in der Tatsache, dass die klassische Taylorisierung von Arbeit, auf deren Grundlage die bis heute vertretene Organisationstheorie basiert, den Faktor Mensch in diesem Prozess unterschätzt und sich zu sehr auf die Beschreibung normativer Qualitäten konzentriert als sich um die vorgefundene Realität zu kümmern.

Der klassische Prozess sieht in der Regel so aus: Es wird ein Produkt oder eine Leistung beschrieben. Um dieses oder diese zu erreichen, bedarf es bestimmter Stoffe und Instrumente und eines oder mehrerer Menschen, um daraus das gewünschte Ergebnis zu formen. Die Menschen in diesem Prozess werden zu Recht als Rollen beschrieben, die eine Tätigkeit zu verrichten haben. Welche tatsächlichen Menschen letztendlich in diesen als Rollen bezeichneten Hüllen landen, ist zunächst einmal uninteressant. Was in der Regel folgt, ist die Besetzung dieser Rollen mit Menschen, die mit der normativen Beschreibung der Rolle nicht kongruent sind. Wie sie auch immer ausgewählt wurden, es ist sicher und wird in jedem Fall auch immer wieder verifiziert, dass jeder reale Mensch, der sich in diesem Prozess wieder findet, nur zu einem Teil dem Anforderungsprofil, wie das Rollenskript professionell genannt wird, entspricht. Was nicht erfasst wird und in der Versenkung verschwindet, sind seine sonstigen Fertigkeiten und Fähigkeiten. Alles, was hinsichtlich der Zweckausrichtung jetzt noch getan werden muss, ist, die so genannten Defizite gegenüber dem normativen Profil zu überwinden.

Die Betrachtung von Arbeit in der skizzierten Weise der traditionellen Organisation führt zu einer gewissen Exklusivität des Denkens in defizitären Dimensionen. Der Mensch, einzige Produktivkraft im schnöden Universum wie wir es erleben, wird beschrieben als ein Werkstück, das durchaus bereits einiges vermag, aber dennoch vieles zu lernen und sich anzueignen hat, um in dem gewünschten Prozess der Arbeit die Rolle einnehmen zu können, die ihm zugedacht ist. Er ist zu einem Objekt geworden, das seinerseits bearbeitet werden muss, damit es funktioniert.

Was klassische Organisation sehr gerne ausblendet, ist die Betrachtung der vorhandenen Potenziale. eine Arbeitsorganisation ist ein höchst interessanter Mikrokosmos, der von der Befähigung bis zur gesellschaftlichen Perspektive eine Varianz darstellt, wie man sie ansonsten sehr selten anzutreffen in der Lage ist. Und obwohl das so ist, existieren bis heute keine Kenntnisse und Daten über die tatsächlich vorhandenen Potenziale der Beschäftigten. Stattdessen ist wird mit den vorhandenen Anforderungsprofilen ein exaktes Mapping der Defizite in Bezug auf die normativen Qualitäten vorgenommen. Das Problematische dieses Sachverhaltes liegt einerseits darin, dass kaum jemandem die Absurdität auffällt. Wie kann es sein, dass der einzige Garant für die Wertschöpfung, nämlich die menschliche Arbeit, als der kritische Punkt betrachtet wird, und Stoffe oder Maschinen als zuverlässig gelten? Und wieso rebellieren nicht die Schöpferinnen und Schöpfer des Wohlstands, dass man sie betrachtet wie eine Rolle Kabel?

Das Netz

Das Netz, immer wieder von denen, die von medialer Verbreitung leben als Garant für die Demokratisierung gefeiert, schafft tatsächlich neue Dimensionen. Ob es solche sind, die Demokratie beflügeln, sei dahin gestellt. Dass das Netz mehr Transparenz schafft, ist nahezu trivial, aber eben doch in einer ganz anderen Qualität. Menschen, die sich dort nun artikulieren können, täten das nicht immer in echten Dialogen. Da träte bei der einen oder anderen Meinung doch Widerstand auf, was dazu führt, manchen Satz eben nicht auszusprechen. So, in der schweigsamen Duldsamkeit des Äthers, wird formuliert, was die Hirnrinde gerade produziert und so kommen Meinungen und Geisteszustände zum Vorschein, die an einer gesicherten Prognose für die Gattung erheblich zweifeln lassen.

Da sind die immer wieder auftauchenden Verschwörungstheorien, die an die frühen James Bond-Episoden erinnern, wo irgend ein Wahnsinniger irgendwo in einem High-Tech-Labor sitzt, den Zugriff auf die alles zerstörende Waffe plant und die Menschheit im Chaos zu unterjochen droht. Im heutigen Szenario sind das zumeist die USA, die für alles verantwortlich zeichnen, was der Vorstellung von Menschlichkeit widerspricht. Zugestanden, dass imperiale Mächte selten nur Gutes verbreiten und ihre Macht und Machterhaltung Blut, sehr viel Blut erforderte und erfordert, sind bestimmte Phänomene dennoch nicht den Mächtigen auf dieser Welt alleine zuzuschreiben. Das Einzige, was derzeit die USA zu exkulpieren geeignet zu sein scheint, ist die neue Rolle Russlands, das endlich wieder als ein Reich des Bösen identifiziert wurde, das für alles nur Erdenkliche verantwortlich zeichnet. In diesem einen Punkt funktioniert die heile Welt der Bipolarität also wieder. Die beiden einstigen Supermächte des Kalten Krieges sind wieder die Dreckspatzen, die alles Übel auf der Welt verursachen.

Einmal abgesehen von den vielen Maniaks, die ohne Beschränkung ihr eindimensionales Weltbild in die Bloggersphären schicken, fällt ein Umstand gar nicht in Betracht. Es ist die Tatsache, dass alle, die in irgend einer Form aktiv sind und gestalten die eigentlichen Bösewichter auf dieser Welt zu sein scheinen, während die stratosphärischen Interpretatoren und Kommentatoren nicht nur frei von jeder Verantwortung, sondern auch gar nicht Teil der wirklichen Welt zu sein scheinen. Das Netz, so muss konsequent formuliert werden, ist die Gebärmutter des menschlichen Objektes, das zwar die Welt noch beobachtet und eine Meinung von ihr und über sie hat, aber selbst weder gewillt noch fähig ist, in das Geschehen selbst einzugreifen. Diejenigen, die das tun, die tatsächlichen Subjekte, sind die Inkarnation allen Übels und somit Zielscheibe der Aktivitäten im Netz.

Das ist keine verkehrte Welt, sondern die entmaterialisierte Welt. Anders ausgedrückt und um im Jargon der Belanglosigkeit für einen Moment zu verweilen, ist die virtuelle Welt zu der geworden, die die materielle Welt sich zu richten anmaßt. Es handelt sich um die Erniedrigung der Subjekte, um ihrer Stigmatisierung als moralisch verwerflich, während das Kategorisieren nach Mainstreammanier durch die Objekte als das eigentliche Sein gefeiert wird.

So etwas kann nicht ewig gut gehen, das wissen alle, die die physikalischen Gesetze noch das eine oder andere Mal wirken sehen. Der Chorus im immateriellen Objektgarten merkt das natürlich nicht. Da hat sich die Welt des Scheins stabilisiert und es tobt ein Tanz, der etwas Gespenstisches an sich hat. Die Demaskierung der Figuren jedoch wird über etwas ganz Triviales erfolgen, entweder fällt einmal der Strom aus, oder die von ihnen verkündete Moral reißt ihnen selbst das Kostüm vom Leib.