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Moskau oder Porton Down?

Wer sich seit Jahrzehnten Kino-Thriller über die Genialität des eigenen Geheimdienstes ansieht, kann schon einmal den Verstand verlieren. So, wie es aussieht, ist das mit dem britischen Geheimdienst geschehen, der meint, noch genialer als sein berühmter fiktiver Agent 007 zu sein und alles machen zu können, ohne dass bemerkt würde, dass da eine Dilettantentruppe am Werk ist, die im Mittelalter am Pranger gelandet wäre. 

Zu den vor kurzem noch in einem hiesigen Kommentar als „Stümper“ bezeichneten britischen Geheimdienstlern hat sich, folgerichtig, auch noch das dazugehörige Ensemble von Rezensenten gesellt. Sie beschreiben und kommentieren das Fiasko des Nachrichtendienstes und bemühen sich, so weit das mit ihren Mitteln möglich ist, zu retten, was zu retten ist. 

Und so bekam das staunende Publikum vor einiger Zeit den vermeintlichen Angriff der russischen Spionage auf dessen ehemaliges Mitglied und dessen Tochter auf britischem Territorium aufgetischt, was dazu führte, dass der vereinigte Westen, inklusive die Bundesregierung, weitere Sanktionen gegen Russland beschloss und Diplomaten auswies. Wer in diesem Kontext darauf wartete, dass die britische Regierung irgendwann die Notwendigkeit sah, Beweise für die Behauptung vorzulegen, sah sich getäuscht. Das Publikum musste lernen, dass die Grundlage der westlichen Diplomatie auf Kategorien wie „vermeintlich“ und „mutmaßlich“ besteht.

Nun, nach zwei Monaten, wurde an gleicher Stelle wieder ein Paar vorgefunden, dass, wie im ersten Fall, mit dem Nervengift Nowitschok in Berührung gekommen sein muss. Der Vorwurf, dass der russische Geheimdienst wieder mutmaßlich dahinter steckt, wurde noch nicht offen formuliert, aber natürlich suggeriert, zumal es bis heute kein Dementi für die nicht bewiesene These des ersteh Falles gibt. 

Was bis heute medial nicht im Fokus liegt, ist die Tatsache, dass der Spot of Crime in allernächster Nähe zu dem experimentellen Chemielabor der britischen Regierung in Porton Down liegt. Die Überlegung, dass es durchaus möglich sein könnte, dass dort auch das Nervengift Nowitschok hergestellt werden könnte und dass dieses von dort, ob gewollt oder ungewollt, an die Orte gelangt ist, wo Menschen davon getroffen wurden, wird selbstverständlich als Verschwörungstheorie bezeichnet werden. Dass der britische Geheimdienst vielleicht, verwöhnt vom Wahn der Überheblichkeit, hätte glauben können, die Welt an der Nase herumführen zu können mit dem Vorwurf gegen die russischen Kollegen, erhärtet den Verdacht des Realitätsverlustes. 

Was, so stellt sich die Frage, spricht eigentlich dafür, dass die russische Regierung hätte glauben können, bereits im Fall Skripal einen Vorteil daraus schlagen zu können? Und was spricht dafür, den gleichen Anschlag noch einmal gegen Unbekannte mit britischem Pass zu wiederholen? 

Unabweisbar handelt es sich um zwei Anschläge in der Nähe des Regierungslabors Porton Down. Die tatsächlichen Anschläge noch größeren Ausmaßes sind der bedingungslose Rückzug der Vernunft aus der westlichen Diplomatie und die Berichterstattung über die britische Geheimdienstkomödie zu propagandistischen Zwecken. Wenn Diplomatie und Journalismus versagen, dann ist nicht mehr viel vorhanden, was an der Konkursmasse reizt. Der Wahn hat den Verstand ersetzt.

Der Krieg als Folge der Lüge

Wer dachte, das Theaterstück sei mit der massenhaften Ausweisung russischer Diplomaten aus den Ländern des westlichen Bündnisses und deren „Spiegelung“ durch Russland beendet, der hatte sich getäuscht. Die Dramaturgie der Neuauflage des Stückes Kalter Krieg ist auf jeden Fall großartig. Denn nun meldet sich genau das Labor zu Wort, das im Auftrag der britischen Regierung den Nachweis liefern sollte, dass das in Salisbury bei dem Anschlag auf den Doppelagenten Skripal verwendete Gift namens Nowitschok aus Russland stammt. Das Dumme dabei, das Labor kann die Provenienz nicht feststellen.

Man stelle sich das aufgeführte Stück in einem Rechtssystem der immer wieder zitierten Wertegemeinschaft vor. Und zum Glück sind die Rechtssysteme noch nicht so korrodiert wie die politischen Strukturen. Auf bloßen Verdacht hin, ohne Beweise oder Indizien, wird keine Staatsanwaltschaft ein Verfahren anstreben und kein Richter eines zulassen. Die Wertegemeinschaft wiederum hat auf bloßen Verdacht hin bereits ihr Urteil gesprochen und gegen den Beschuldigten sanktioniert. Und selbst eine danach durchgeführte Beweisführung kommt nicht zu dem antizipierten Ergebnis der Beschuldigung.

Was wäre die logische Konsequenz des Desasters? Es wäre eine Entschuldigung und die Rücknahme der Sanktionen. Aber wer nur noch unter dem Label von Werten läuft und diese zu propagandistischen Zwecken in Erinnerung ruft, der ist als eine innere Gefahr zu erkennen. Es geht hier nicht mehr um Kavaliersdelikte, sondern um grobe Täuschung der Öffentlichkeit und planmäßige Planung kriegerischer Handlungen.

Ebenfalls wie von geschickter Hand inszeniert lesen wir in diesen Tagen von einem Beschluss der EU, die Binnenstraßen des Bündnisses in einen Zustand bringen zu wollen, der es erlaubt, schnellere Panzerbewegungen vornehmen zu können. Und natürlich ist der Pusher bei dieser Maßnahme die NATO, und natürlich geht es um Panzerbewegungen von West nach Ost, an die russische Grenze.

Das sind keine Episoden einzelner Entgleisungen mehr. Es handelt sich um bewusste Täuschung hinsichtlich der realen Gefahr durch den vermeintlichen Delinquenten Russland und es handelt sich um das Schaffen von Fakten, wenn es um tatsächliche Militärpräsenz geht. Wohl dem, der das alles nur noch als verbales Gerassel sieht. Möge er im Nebel der eigenen Einfalt dahinschwinden.

Es ist ja nicht so, als wären Kriege auch in der jüngeren Geschichte nicht deshalb vom Zaun gebrochen worden, weil durch eine lancierte Lüge eine Gefahrenlage heraufbeschworen wurde, die so nie existierte. Wer sich dieser grauenvollen Schmierenkomödie erinnern will, sehe sich die schauderhaften Bilder eines General Powells noch einmal an. Das Geständnis, über die Fähigkeit des Irak, Giftgas herstellen zu können, gelogen zu haben, um eine militärische Intervention zu ermöglichen, hatte den Mann zerstört. Bush jedoch hatte sein Ziel erreicht, und wie immer, die französischen wie die britischen Cheerleader reihten sich ein, um weiteres Unheil anzurichten.

Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder fiel nicht auf diese Posse herein und er schloss sich nicht dem Kriegsgeheul an. Mehr noch, er sagte Herrn Bush junior, was er von der Nummer hielt. Obwohl er, zusammen mit dem grünen Außenminister Fischer, mit dem kriegerischen, völkerrechtswidrigen Einsatz auf dem Balkan selbst einiges auf dem Kerbholz hatte, hat er sich und damit Deutschland gegen diese Gefahr gestellt. Aus der jetzigen Bundesregierung, der bekanntlich auch Sozialdemokraten angehören, vernimmt man kein Ton. Und wenn es nur ein Ton des Zweifels wäre.