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Bayern: Einheitspartei und Nomenklatura

Ein Freund aus früheren Tagen vertrat in Bezug auf die zentraleuropäische politische Zukunft zuweilen eigenartige Thesen. Aber, das musste man ihm immer konzedieren, nichts von dem, was er von sich gab oder vorschlug, war undurchdacht oder von einem niederen Affekt getrieben. Eine seiner Thesen wird mir anlässlich der sich häufenden Meldungen aus dem Freistaat Bayern wieder gegenwärtig. Er vertrat die Auffassung, dass sich die Bundesrepublik anders orientieren müsse. Dazu gehöre, sich von Bayern und Baden-Württemberg zu trennen. Diese Länder seien eher kulturell zu Österreich gehörig. Der Rest der Republik solle dagegen eher mit den Niederlanden und Dänemark eine Staatenkonföderation anstreben. Dann, so seine Vision, seien viele Irritationen, die aus einer unterschiedlichen Betrachtung und Mentalität resultierten, nicht mehr ein tägliches Ärgernis. Dass er dann, vor allem in Bezug auf Bayern, die neue südliche Union als Habsburger Klüngel bezeichnete, gehörte zu dem geringen polemischen Anteil seiner Ausführungen.

Die Affäre um das Kirch-Imperium, die mysteriösen Tode lokaler Prominenter, Justizskandale wie der um Gustl Mollath, die abenteuerlichen Unternehmensgeschichten wie die einer alpinen Bank, mit der Milliarden verbrannt wurden und nun der Fall um den Bayernpräsidenten Uli Hoeneß weisen schon auf etwas hin, was aus anderen Ländern der Republik betrachtet in hohem Maße befremdet. Nicht, dass es nicht ausgewachsene Affären, Skandale und selbst verursachte Katastrophen auch in anderen Teilen der Republik gäbe. Aber, betrachtet man sie näher, ob es die Elbphilharmonie, der Berliner Flughafen, Stuttgart 21 oder die Duisburger Love Parade sind, allen gemein sind politische Friktionen, die etwas mit einem Wertewandel zu tun haben und eine Planungsüberforderung der Politik in Zeiten explosiver Komplexität. Das ist aber nicht das, was das Phänomen Bayern ausmacht.

Wie kaum woanders herrscht dort seit dem Anschluss an die Republik ein Einparteiensystem, nicht erzwungen, wohl bemerkt. Innerhalb dieser herrschenden Partei hat sich eine Nomenklatura herausgebildet, die Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Politik, Sport, Verwaltung und Justiz innehat. Dieser Münchner Zirkel ist der geschäftsführende Ausschuss der tatsächlichen Bayern AG, die zunächst gar nichts mit der gleichnamigen des FC Bayerns zu tun hat, sondern von ihrem Selbstverständnis aus auf kurzem Wege die Geschicke des Landes betreibt. Der Slogan, dem diese Nomenklatura folgt, ist das bekannte Mia san mia. Das, was dieser Zirkel tatsächlich gestaltet, ist weder durch ein Mandat gedeckt noch für die Öffentlichkeit transparent. Hinweise aus dem jüngsten Prozess wegen Steuerhinterziehung weisen auf Verbindungen, die nicht Gegenstand der Ermittlungen waren, deren Enthüllung aber Aufschlüsse geben könnten auf die Geschäftspraktiken der gesamten Nomenklatura. Derartige Ergebnisse wären allerdings kurz vor den bevorstehenden Kommunalwahlen brandgefährlich für die Einheitspartei.

Der verurteilte Hoeneß nahm das Urteil an und opferte sich vermutlich damit für die Diskretion dieser Nomenklatura. Dafür bekommt er jetzt Respektbezeugungen von allen Seiten. Nun ja. Solange die Medien mitspielen, die das Wort der kritischen Investigation nicht einmal mehr buchstabieren können, ist die Welt wieder in Ordnung. Und noch ein Schmankerl am Rande: In München steht nach der langen Amtszeit des Christian Ude auch ein neuer Oberbürgermeister zur Wahl. Kapitale Kandidaten sind ein Sozialdemokrat und einer der CSU. In der Münchner Tradition wäre der Sozialdemokrat der Favorit. Diesen Bonus hat dieser allerdings eingebüßt, weil er, notabene, eine Einladung des FC Bayern zum Endspiel der Champions League nach London angenommen hatte. Ob der Verein dem Kandidaten der CSU auch ein solches Angebot gemacht hat, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest.

Komplott im Kartenhaus

Wir haben es aufgegeben von Gesetzmäßigkeiten im Verlauf von Geschichte zu sprechen. Das hat zu schlimmem Dogmatismus geführt, weil so manch ganz Schlaue immer schon wussten, wohin der Lauf der Dinge führt und mit ihrer vermeintlichen Gewissheit viele Menschen hinter das Licht oder in geistige Abhängigkeit führten. Und obwohl das Phänomen Geschichte nicht so erklärbar ist wie die Vorgänge in einem Chemielabor, so weist es doch Muster auf, die sich aus den Prinzipien menschlichen Handelns und Fehlens ableiten lassen und die immer wieder kehren, ob im alten Rom, in den zeitgenössischen Machtmetropolen Washington oder Moskau oder eben auch in der Türkei.

Da, so überschlagen sich momentan die Meldungen, faucht derzeit ein Tayyip Recep Erdogan, derzeitiger Ministerpräsident, über das größte Komplott in der türkischen Geschichte. Natürlich ist dieses Komplott gegen ihn gerichtet und natürlich kommt es aus den USA, auch wenn dahinter ein Landsmann steckt. Muster Nummer Eins könnte nicht präziser formuliert werden: Gerät ein Machthaber, zudem einer, der sich mehr und mehr absolutistisch definiert, ins Schlingern, so hat er selbst keine Fehler gemacht, sondern andere, schlimme Finger haben ihn damit behaftet, und zwar aus dem Ausland.

Erdogans AKP, die vor gut zehn Jahren zum ersten Mal die Wahlen in der Türkei gewinnen konnte, hatte nicht nur einen politischen, sondern auch einen moralischen Neuanfang in der Politik versprochen. Mit sehr hohen ethischen Ansprüchen, die in eigenen Bildungsinitiativen für die Kader realisiert wurden, sollte das Land modernisiert werden, ohne die traditionelle, in den Kanon des Islam vertrauende Landbevölkerung zu verlieren. Dabei gab es ein Bündnis und eine Arbeitsteilung, die in diesen Tagen aufbricht und die nie formellen Charakter hatte. Während Erdogan, der einstiger Sesamkringelverkäufer und Upcomer aus den informellen Zonen Istanbuls, das politische Ressort übernahm, kümmerte sich der in den USA lebende Islamgelehrte Fetullah Gülen um die ethische Festigkeit von Kader und Staatsapparat.

Tatsächlich gelang vieles in der Türkei: Die Korruption vor allem im Bausektor und bei der Vergabe von Ämtern wurde zurückgedrängt, das Bankenwesen wurde schonungslos reformiert und ist heute weitaus seriöser als manches im Zentrum Europas, die Kurden wurden zum großen Teil entkriminalisiert und das Bildungswesen wurde radikal modernisiert. Wirtschaftlicher Aufschwung und politische Stabilität führten zu großer Zustimmung für die AKP wie Ministerpräsident Erdogan. Der Fortschritt in der Türkei führte zu sozialen und sozio-kulturellen Veränderungen, mit denen zumindest der Architekt Erdogan selbst nicht gerechnet hatte. Die ökonomische Internationalisierung des Landes zeitigte eine Teilhabe an internationalen Krisen und die vor allem in den Metropolen Istanbul und Izmir entstandenen jungen, akademischen und weltoffenen Eliten kamen mit Ansprüchen daher, die weil jenseits des bekannten Traditionalismus lagen. Den wirtschaftlichen Schwierigkeiten begegnete Erdogan mit einem schrittweise immer aggressiver formulierten neuen osmanischen Imperialismus, den er vor allem in Nordafrika während der Arabellion vortrug und den neuen Eliten im eigenen Land versuchte er mit dem Schlagstock beizukommen.

Vor allem letzteres nahm ihm der an hohen ethischen Ansprüchen festhaltende Fetullah Gülen übel. Leute aus diesem Bildungssektor sind es auch, die nun gegen die neue Nomenklatura der AKP vorgehen, die sich allzu schnell an des System angeglichen haben, das sie vor zehn Jahren noch so vehement zu bekämpfen suchten: Ein Netzwerk korrupter Politiker, die das Staatswesen den Hunden zum Fraß vorwerfen. Während Erdogans ideologisches Kartenhaus zusammenfällt, spricht dieser von einem Komplott. So einfach ist das nicht und die jetzige türkische Krise ist eine weitaus tiefere, als es noch erscheint. Sie sollte uns alle besorgen.

Zwei Jahre und zwei Morde

In Tunesien tut sich etwas. Nach einer Zeit relativer Ruhe folgt nun, vermutlich, rasche Veränderung. Ursache hierfür sind viele Faktoren. Sie zu betrachten hilft, das, was unter dem arabischen Frühling figuriert, besser zu verstehen. Fakt scheint nun zu sein, dass sich die islamistische Ennahda-Partei aus der Regierung zurückzieht und der gegenwärtige Regierungschef Ali Larayedh in den nächsten Wochen das Amt niederlegt. Dieses teilte die Gewerkschaft UGIT in der letzten Nacht mit, die nach der krisenhaften Entwicklung dieses Jahres zur stärksten Kraft in der Opposition geworden war. Es solle schnell eine neue Regierung gebildet werden, der Ennahda um den mit den beiden politischen Morden an den Oppositionspolitikern Chokri Belaid und Mohhamad Brahmi dunklen Mann im Hintergrund, Rachid al Ghannouchi, nicht mehr angehöre. Die neue Regierung soll, so UGIT, in vier Wochen eine neue Verfassung auf den Tisch legen, über die dann bei Neuwahlen abgestimmt werden soll.

Die islamistische Ennahda-Regierung war vor ziemlich genau zwei Jahren bei Wahlen als stärkste Partei mit der Regierungsbildung und eben diesem Auftrag vom Volk an die Arbeit geschickt worden. Innerhalb eines Jahres sollte eine neue Verfassung vorliegen und über diese bei Neuwahlen abgestimmt werden. Ennahda arbeitete allerdings analog zu der Vorgehensweise wie der der Muslimbrüder in Ägypten. Sie verzögerte die Arbeit und Beschlussfassung an einer neuen Verfassung, drang mit ihrer gesamten Nomenklatura in Regierungsämter und den Staatsapparat ein, baute in aller Ruhe und mit Unterstützung externer islamistischer Kräfte und Ländern wie Saudi Arabien und der Türkei eine flächendeckende und gut funktionierende Parteiorganisation aus und begann damit, die herausragenden Persönlichkeiten der politischen Opposition zu liquidieren.

Die Tragweite des Sturzes der ägyptischen Muslimbrüder durch das dortige Militär wird deutlich, wenn man sieht, welche Schockstarre bei den tunesischen Islamisten nach diesem Gewaltakt einsetzte.Um ihre ansonsten so zur Schau getragene Nonchalance und triefende Arroganz war es geschehen. Zu groß war die Furcht vor einem ähnlichen Schicksal, obwohl die tunesischen Militärs nicht in der Tradition von Interventionen in die nationale Politik stehen. Das hatte es gerade auf die Seite der Opposition gegen den 2011 vertriebenen Herrscher Ben Ali getrieben, der das Militär einsetzen wollte und die Antwort bekam, man sei zur Landesverteidigung da und zu sonst nichts.

Jedenfalls getrieben von den aus Ägypten herannahenden Ängsten arrangierte man von Tunesien aus ein Treffen der Kontrahenten von Regierung und Opposition in Algier. Dort schlug dann die Stunde des dortigen Ministerpräsidenten Abd al-Aziz Bouteflika, ein Senior in der maghrebinischen Politik des Post-Kolonialismus und sehr erfahrener Mann, was die Jahrzehnte dauernden und immer noch schwelenden Kämpfe mit den Islamisten im eigenen Land betrifft. Da Bouteflika allerdings immer einen guten Draht zum Militär hatte und da Algerien ein wichtiger Lieferant von Energie und Zahler von Gebühren für Energielieferungen Richtung Osten ist, hatte sein überaus weiser Rat wohl Gewicht. Er riet nämlich der tunesischen Delegation, die Urnen statt die Straße sprechen zu lassen.

Die Wirkung, die Bouteflikas Worte auf die momentane politische Situation gehabt haben, darf bei der Betrachtung weiterer Entwicklungen nicht unterschätzt werden. Wer den Nahen Osten kennt, kann sich denken, was der nächste Schritt gewesen sein könnte. Tunesien kann aufatmen, es bekommt eine zweite Chance. Sie wird kurz sein, und es wird ohne die Aktivierung und Mobilisierung der Bevölkerung nicht gehen. Dass so etwas Weltliches wie Gewerkschaften jetzt einen wichtigen Part spielen, ist ein gutes Zeichen!