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Unfaire Theatralik und mediale Hooligans

Vor allem aus den Lagern der Betroffenen war zu vernehmen, dass sie jegliches Interesse für das Spiel um den dritten Platz verloren hatten. Bei den Brasilianern war klar, dass sie sich in nur vier Tagen nach der Implosion und der Demontage durch die Deutschen nicht würden erholen können. Insofern fürchteten sie ein weiteres Debakel. Die Niederländer und vor allem ihr Trainer begründeten die Unlust mit der Arroganz, auf einen Kinderpokal hätten sie keine Lust. Die Voraussetzungen waren also alles andere als gut und das Spiel stand nicht in dem Zeichen früherer Spiele dieser Kategorie, wo die Spieler dem Publikum noch einmal richtig etwas geboten hatten.

Das Spiel selbst hatte es dann aber doch sehr schnell zu einem Superlativ gebracht. Es war das absolut mieseste, was bei dieser WM geboten wurde. Schon nach zwei Minuten entschied ein während der gesamten Spielzeit überforderter Schiedsrichter fälschlicherweise auf Elfmeter für die Niederlande. Geraten werden muss nicht: Der trotz seiner spielerischen Fähigkeiten theatralischste und damit unsportlichste Akteur der WM Arjen Robben fiel einmal wieder wie eine vom Blattschuss ereilte Ballettfigur weit in den Strafraum. Da der Akteur jedoch beim FC Bayern spielt, wird er von der hiesigen Journaille für diese degoutanten Auftritte immer noch mit Wohlwollen bedacht. Zehn Minuten später dann erzielten die Niederlande ein zweites irreguläres Tor, diesmal aus einer Abseitsposition, und damit war die Messe gelesen. Über den Rest der Spielzeit mühte sich das brasilianische Team, spielte diverse Chancen heraus, hatte jedoch keinen Erfolg. In der Nachspielzeit, in die van Gaal noch einmal den Torwart wechselte, gelang den Niederländern dann das 3:0. Brasilien steht wohl vor einem Neuanfang, die Niederländer ebenfalls, denn mit den taktischen Eskapaden ihres egomanischen Trainers reüssierten sie nicht nur nicht gegen Costa Rica und Argentinien, sondern machten auch eine Reise in die Vergangenheit des deutschen Fußballs seiner einfallslosesten Couleur.

Bemerkt oder erwähnt wurden diese Dinge seitens des fachkundigen Personals der Öffentlich-Rechtlichen nicht. Auch wenn es im Zuge des Erfolges der deutschen Mannschaft vielleicht nicht so kritisch gesehen wird, so ist die dort von den Spielkommentatoren dargebotene Qualität indiskutabel gewesen. Sicherlich eine der Schattenseiten dieser WM. Was sich zum Beispiel der gestrige Kommentator für das ZDF während des Spiels an Unkenntnis, versteckten und offenen Ressentiments, dümmlicher Arroganz und Sottisen bis hin zur Volksverhetzung geleistet hat, ist mindestens genauso geeignet, das Interesse am Fußball zu erwürgen wie die Korruption in der FIFA oder nationalistische Hooligans. Die Toleranz gegenüber diesen Sprachrohren der Selbstüberschätzung ist gänzlich unangebracht.

Und dabei sind wir schon bei einem ersten, vielleicht gar nicht so schönen Ausblick: Sollte die deutsche Mannschaft heute ihren Auftritt in Brasilien, der durchaus auch Schattenseiten hatte, mit einem Titel krönen, was ihr und den Aficionados auf der Welt von Herzen gegönnt sei, dann wird auch gleichzeitig die kritische Reflexion hinsichtlich der nationalen Politik noch mehr ausgeschaltet werden als bisher. Dann sind die, die an der einen oder anderen Aktion zu Recht zweifeln, sehr schnell als Brunnenvergifter diskriminiert. In Sachen Diskriminierung sind die öffentlich-rechtlichen Medien der Bundesrepublik Deutschland zu wahren Weltmeistern avanciert. In den Stunden der Vorfreude, während des Spiels und vielleicht auch danach sei darum gebeten, egal, wie es ausgeht, den Dunkelmännern und Dunkelfrauen des demagogischen Gewerbes auf die giftigen Münder zu schauen und sich zu Wort zu melden. Der Fußball ist es nicht wert, auch von diesen medialen Hooligans missbraucht zu werden.

Ein Haudegen und ein Gentleman

Wer nach einem erlebten Superlativ zurück ins normale Leben kommt, der muss sich mit einem Gefühl auseinandersetzen, das am besten mit dem Begriff der Fadheit beschrieben wird. Nach der Jahrhundertpartie zwischen Brasilien und Deutschland war die Bürde für das zweite Halbfinale, zumindest was Dramaturgie und Qualität anbetrifft, ins Unermessliche gestiegen. Umso schlimmer wirkte es da, dass sowohl die Niederländer als auch die Argentinier das Spiel spielten wie man es in der Regel in einem Halbfinale bei einem WM-Turnier tut. Der gesamte Auftritt wurde von einer Taktik bestimmt, die auf Fehlervermeidung angelegt war. Nur keine Risiken eingehen, die Null so lange wie möglich halten und dann, sollte der Gegner einen Fehler machen oder in den eigenen Reihen eine geniale Idee zünden, das alles entscheidende Tor machen. So lauerten sie, neunzig Minuten, einhundertzwanzig Minuten. Es fiel kein Tor und insofern war es für die Zuschauer, die noch am Vortag ungläubig fasziniert zurückgeblieben waren, eine drakonischen Entziehungskur in Sachen Spannung und Unterhaltung.

Die Sichtweise, wer bei diesem Mikado die bessere Figur abgegeben hat, wird sicherlich sehr differieren. Aus meiner Sicht sprach vieles für ein weit überlegenes Argentinien, das taktisch alles richtig gemacht hat und dann doch noch, nach einem Stück des zweistündigen Schweigens, einen Donnerknall beim Elfmeterschießen erschallen ließ, der dem Trainer der Niederlande, der sich noch nach dem dramatischen Finale für den Einsatz des Keepers Krul als genialen Zocker hatte feiern lassen, zeigte, wie schnell die Enttarnung manchmal funktioniert. Mit dem Mythos eines fulminanten Königsmordes gestartet, kam nach dem Spiel gegen Spanien eigentlich nichts mehr, was die Aura modernen Fußballs verströmte. Van Gaal, der Haudegen, zerrte jedes, aber auch jedes alte Monstrum destruktiver Taktik aus den rostigen Arsenalen des finsteren, mit Kriegsmetaphern kontaminierten Spiels. Dass er damit nicht bis ins Endspiel reüssierte, ist ein weiteres Highlight dieses Turniers. Damit wurde nicht nur das Tiki Taka, sondern auch die abgespeckte Version der Dominanz durch Hin- und Her-Geschiebe das Ablaufen ihrer Halbwertzeit aufgezeigt, was natürlich nicht heißen muss, dass in der Provinz nicht mehr damit gearbeitet werden muss.

Neben dem hypertonisch, um nicht zu sagen cholerisch wirkenden niederländischen Coach Louis van Gaal wirkte der Argentinier Alejandro Sabella wie ein Gentleman. Der eher zierliche Mann, der selbst auf drei Kontinenten Fußball spielte und auch als Trainer vielfältige und langjährige Erfahrungen sammelte, verfügt innerhalb Argentiniens über keine Hausmacht. Ohne die Lobbies der großen Vereine Boca Juniors oder River Plate besitzt der kluge Taktiker der Estudiantes de La Plata zwar über ein gehöriges Maß an Unabhängigkeit, die dann letal wird, wenn der Erfolg ausbleibt. Sabella war der Sieger des abends, denn das Spiel wurde über die Metiers von Strategie und Taktik entschieden. Sabella antizipierte die Regie van Gaals und die Argentinier auf dem Feld wirkten wie Souffleure, die vor den niederländischen Akteueren herliefen und ihnen ihre eigenen Texte vorsprachen, was sehr verdutzte Gesichter hinterließ. Der immer etwas kritisch und unzufrieden aussehende Coach der Argentinier, der dennoch so etwas wie Milde und Stil verströmt, sollte in keiner Weise unterschätzt werden, er vertritt den Teil seines Landes, der geprägt wurde durch die kulturelle Wucht der italienischen Immigranten, mit allen Qualitäten, die das mit sich bringt. Vor uns steht ein Finale, das tatsächlich ein Klassiker ist. Freuen wir uns darauf, alle Akteuere, auf beiden Seiten, warten mit famosen Potenzialen zu einem großartigen Finish auf.

Ein goldener Schuss, ein Raubzug und eine Legende

Die Schönheit ist längst gestorben. Dafür geht es um zuviel. Wer verliert ist draußen, da leidet der Hang zur Ästhetik gewaltig. So verwundert es nicht, dass auch die anderen beiden Viertelfinalspiele in hohem Maße von Taktik, Disziplin und dem Motiv dominiert wurden, Fehler zu vermeiden. Denn entschieden werden derartige Spiele entweder durch das, was im Slang des Metiers als individuelle Fehler bezeichnet wird oder den Geniestreich eines einzelnen. Passiert beides nicht und geht dennoch ein Sieger vom Platz, so war es dann das pure Glück oder die Stunde des Systems, erdacht und bestimmt vom Trainer.

Argentinien bezwang ein juveniles Belgien, ohne Glanz, mit viele Härte und eiserner Konsequenz und einem goldenen Schuss von Higuain, der so wirkte wie die Metapher, er zerstörte den Traum des europäischen Überraschungsteams wie bei einem tödlichen Trip. Das Tor selbst viel aus dem Nichts, ein abgefälschter Ball, den der Argentinier Volley nahm und in die Maschen versenkte. Danach kämpfte Belgien mit großer Wucht, aber die europäisch wirkenden Argentinier, die zumeist in Europas Ligen ihr Zuckerbrot verdienen, waren zu abgeklärt, als dass sie noch etwas zugelassen hätten.

Costa Rica, der amerikanische Sonnenstaat, war schon bei Anpfiff wesentlich weiter als kalkuliert und machte es der alten Kolonialmacht der Niederlande schwer. Der Trainer Costa Ricas, Jorge Luis Pinto, ein kleinwüchsiger Mann, der im eigenen Land auch General Gnadenlos genannt wird, hatte sich reiflich überlegt, wie er die holländischen Angriffsstürme zu überleben gedachte. Das hatte tatsächlich etwas von einem nationalen Befreiungskampf. Die Mannschaft, die seine taktischen Finessen ausführte, avancierte in diesem Match zu einer anti-kolonialen Ikone. Sie ließen tatsächlich nichts zu, auch wenn die Invasionstruppen um Robben und van Persie über Waffen verfügten, die weit überlegen waren und zuweilen mit Methoden operierten, die jenseits der guten Etikette lagen. Sie bezwangen Costa Rica weder nach 90 noch nach 120 Minuten.

Erst beim offenen Duell, dem Elfmeterschießen, da holte das Pendant von Pinto, van Gaal, der sich auch gerne den General nennen läßt, einen Fremdenlegionär aus dem Keller, dem bei seinem Gang ins Tor nur die berühmte Kette mit der Kugel fehlte. Wahrscheinlich hatte van Gaal diesem Krul, wie er sich nannte, die bedingungslose Freiheit versprochen, wenn er dieses eine Mal reüssierte. So war es auch, aber wohl eher, weil die vom langen Kampf zermürbten Costa Ricaner die Konzentration eingebüßt hatten. Costa Rica ging unter, erhobenen Hauptes, wie eine Nation, deren Zukunft noch vor sich liegt und die Niederländer kehrten noch einmal, abgenutzt, aber lädiert, mit dem Schatz eines dennoch gelungenen Raubzuges und einer weiteren Legende im Seesack in den Heimathafen zurück.

Obwohl das Spiel Argentiniens gegen Belgien auf einem fußballerisch anderen, weil höheren Niveau stattfand, wirkte es teilweise fade, weil die Emotionen, an die wir uns bei diesem Turnier so gewöhnt haben, einfach fehlten. Da bot das Drama zwischen den Niederlanden und Costa Rica wesentlich mehr, weil wieder mal ein David sich anschickte, dem Riesen Goliath heimzuleuchten. Und obwohl es nicht gelang, öffneten sich denen ungeahnte Horizonte, die sich bei dem profanen Spiel des Fußballs daran ergötzen, die Metaphern zu deuten, die gleich einer Fata Morgana bei einzelnen Spielszenen aufblitzen. Das liefern die Spiele, bei denen Ungleiches aufeinandertrifft, in Hülle und Fülle und dafür sollten wir dankbar sein. Das Unerwartete, wie sollte es anders sein, gibt nicht nur dem Leben, sondern auch dem Fußball das Flair, dem wir so gerne den Titel des Lebenswerten verleihen.