Da war es wieder. Das Datum, welches die Deutschen seit dem Jahr 1945 so bewegt. Der 8. Mai, in Russland ist es der 9., an dem Deutschland seine Niederlage eingestand und ein gewisser General Wilhelm Keitel für das Oberkommando der Wehrmacht in Berlin die Kapitulationsurkunde unterschrieben hat. Lange Zeit, vergessen wir das nicht, wurde in Westdeutschland von einem Tag der Niederlage gesprochen. Im Osten war es immer die Befreiung. Und dann, nach Jahren einer erfolgreichen Entspannungspolitik, wagte auch im Westen ein Bundespräsident das Wort Befreiung in den Mund zu nehmen. In den nunmehr 79 Jahren seit der Niederlage des deutschen Faschismus in einem Krieg, den er angezettelt hatte und bei dem es, auch das sollte niemals vergessen werden, um Imperialismus und Vorherrschaft ging und nebenbei, obwohl dieses Wort den Schrecken verharmlost, die Rassenphantasien von politischen Psychopathen eine tragende Rolle spielten, hat sich manches verändert, anderes aber auch nicht. Das Motiv des Krieges war formuliert: Wer hat Zugriff auf den ukrainischen Weizen, und wer sichert sich die Ölfelder am Kaspischen Meer? Blieb alles bei der Sowjetunion oder konnte Deutschland seinen Zugriff sichern, um Briten wie Franzosen auszubooten im Kampf um Hegemonie.
In Deutschland selbst ging es bei der historischen Verarbeitung meistens um die Verbrechen an der Menschlichkeit und es dominierte der Slogan Nie wieder! Dass er sich auf diese Verbrechen bezog, nicht aber um den Imperialismus, sehen wir in diesen Tagen sehr deutlich. Im Staccato: aus zwei Einflusszonen konkurrierender Mächte, den USA und der UdSSR, wurden zwei deutsche Staaten, die jeweils einem Lager zugeordnet waren, mutierte in den Jahren 1989/90 nur noch eine. Die Sowjetunion brach zusammen, zog ihre Truppen aus Deutschland ab, ermöglichte damit die deutsche Einheit und die USA blieben, mit allem, was dazu gehörte, inklusive Militär. Es waren Tage der Einheit, einer erneuten Befreiung nicht. Der Imperialismus blieb.
Der der USA schwelgte im Hochgefühl des Endes der Geschichte, der gute alte Hegel mit seiner Geschichtsphilosophie begann wie ein GI Kaugummi zu kauen. Nach einer Phase des Raubtierkapitalismus in Russland, der der Westen dummerweise den Titel einer Demokratisierung anheftete und letztere damit in der russischen Bevölkerung, die arbeits- und brotlos wurde, bis ins Ungewisse diskreditierte, kam ein neuer Zar mit ordnender Hand, dem viele bis heute dafür danken. Der einstige Konkurrent und heutige Hegemon reagierte, im Konsortium mit denen, die unter der Herrschaft des Sowjetimperialismus gelitten hatten, in dem er mit einer militärischen Einkreisung begann, die eine rote Linie nach der anderen für das russische Sicherheitsempfinden überschritt. Bis der Punkt erreicht war, der nun im Westen als der neue russische Imperialismus identifiziert wird.
Schnitt: Gestern, am 8.Mai 2024, konnten wir in der offiziellen und politischen Öffentlichkeit auf allen Seiten eine Situation erleben, die der vor dem Beginn des großen, verheerenden, letztendlich Europa auf den Boden verfrachtenden Krieg entsprach. Feindbilder wurden bestätigt, Kriegsmaschinerie wurde präsentiert, die Notwendigkeit eines erneuten, erweiterten Krieges wurde unterstrichen, Bemühungen um Frieden wurden verspottet oder als subversiv bezeichnet, Sünder wurden benannt und das eigene Vorgehen moralisch überhöht. Von Nie wieder! war gar nichts zu spüren. Oder doch? Ja, es gab kleine Verschiebungen bezüglich zu schätzender und zu hassender Ethnien, aber sonst war es ernüchternd. Was auf keinen Fall in nahezu achtzig Jahren auf den Prüfstand gekommen ist und was als Quelle der Kriege immer taugt, sind Imperialismus und die Gier nach Hegemonie. Und wissen Sie was? In dem Fall stehen alle auf der falschen Seite!
