Wie oft haben wir gehört, dass es historische Fakten gibt, die niemand leugnen sollte! Es ist ein kluger Rat, der allerdings nur dann Bestand hat, wenn diejenigen, die diesen Sachverhalt anmahnen, sich selbst daran halten. Es ist aber nicht so. Die Gedenkveranstaltungen an die Befreiung der Insassen aus der Vernichtungsmaschine Auschwitz hatten bewegende Momente. Sie gingen unter die Haut, wenn die Betroffenen das Wort hatten. Das war authentisch und vermittelte einen Eindruck, was es heißt, von industriell betriebener Erniedrigung und Vernichtung bedroht zu sein.
Ernst Bloch prägte den Begriff des Unsäglichen, wenn es darum ging, das zu beschreiben, was tatsächlich in dieser Zeit des Nationalsozialismus vor sich ging. Er meinte damit, dass es nicht möglich ist, die Dimension des Grauens mit den Worten, die uns zur Verfügung stehen, zu erfassen und angemessen zu bewerten. Primo Levi, ein einstiger Insasse, ein italienischer Jude, der überlebte und sich Jahrzehnte später das Leben nahm, weil er der Erinnerung nie hatte ausweichen können, hatte einen anderen Weg gewählt. Er beschrieb in seinem bis heute einzigartigen Werk „Ist das ein Mensch?“ in kalter Betrachtung das System der Vernichtung. Indem er nicht die einzelnen Greueltaten, sondern das Muster der Vernichtung zeichnete, vermittelte er eine sehr genaue Ahnung von der Dimension des Verbrechens.
Die Zeitzeugen, die heute noch leben, mahnten. Sie mahnten vor allem, das, was sich ereignet hat, niemals zu vergessen. Und das Dringendste, was ihnen am Herzen lag, war der Appell an die Nachlebenden, niemals in Gleichgültigkeit gegenüber der Verrohung zu verfallen. Das unterschrieben viele der dort Anwesenden, obwohl sie genau das in vielerlei Hinsicht in der aktuellen Politik ausklammern. Es ist ein schwerer Vorwurf, aber er lässt sich nicht von der Hand weisen.
Kommen wir zu den historischen Fakten. Das Lager Auschwitz wurde von der Roten Armee befreit. Es handelte sich dabei um die Armee des Landes, das selbst in dem II. Weltkrieg 20 Millionen Menschen verloren hatte. Es war überfallen worden und wendete den Krieg nach der Schlacht von der damaligen Stadt Stalingrad zu Ungunsten des deutschen Heeres. Den Rechtsnachfolger der damaligen Sowjetunion, das heutige Russland, von der Gedenkfeier in Auschwitz auszuschließen, ist ein Skandal, der nicht gleichgültig lassen kann. Die Begründung der polnischen Regierung, die davon sprach, es hätte sich bei den Auschwitz befreienden Verbänden der Roten Armee vor allem um ukrainische Soldaten gehandelt, ist so eine der Spielarten von Geschichtsverfälschung, die weder mit dem Völkerrecht vereinbar ist noch mit dem Postulat korrespondiert, sich an historische Fakten zu halten.
Der Sprecher des Opferverbandes in Deutschland, Max Mannheimer, ein heute 92jähriger Mann, hatte die polnische Regierung aufgefordert, den russischen Präsidenten Putin einzuladen. Unterstützung für diese Position bekam er von offiziellen Stellen der Bundesrepublik nicht. Stattdessen wurde versucht, die polnische Haltung mit Verweisen auf den Hitler-Stalin-Pakt und die dort vollzogene Aufteilung Polens, historisch vor dem Kriegsausbruch zu verorten, zu plausibilisieren. Weitere polemische Verlautbarungen folgten, bis hin zu Wortfindungen wie der „so genannten Roten Armee“, die Auschwitz befreit hätte.
Die Frage, die sich stellt, ist die, ob Akteure, die sich in den vergangenen Tagen unter dem Banner des „Nie wieder!“ versammelt hatten, es ernst meinen mit der Akzeptierung historischer Fakten. Die Taten sprechen nicht dafür. Und wenn das so ist, wie es vorexerziert wurde, muss die Frage erlaubt sein, ob es nicht einen Konnex gibt zu den Geschichten, die fabriziert werden, wenn Terrorakte, die, wenn sie selbst erlebt würden, auch als solche zu bezeichnen sich niemand scheuen würde, plötzlich im Narrativ als gezielte Tötung erscheinen? Wer sich dem geistigen Instrumentarium der Täter immer mehr nähert, sollte es unterlassen, sich mit den Opfern zu solidarisieren.
