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Den Krieg gegen die Seuche entscheidet der Mittelbau

Niall Ferguson. Doom. Die großen Katastrophen der Vergangenheit und einige Lehren für die Zukunft

Ja, was sagen die Historiker zur zeitgenössischen Seuche? Niall Ferguson ist einer von ihnen, und zwar ein renommierter. Er hat nun ein Buch vorgelegt, das sich nicht nur mit der historischen Betrachtung von Seuchen, sondern auch von Naturkatastrophen, Unfällen und Kriegen befasst. „Doom. Die großen Katastrophen der Vergangenheit und einige Lehren für die Zukunft“ heißt das Werk. Es handelt sich dabei um keine leichte Kost. Einerseits sind die verschiedenen Kategorien bereits eine Herausforderung an sich, andererseits sind die von Ferguson angeführten Fakten zahlreich und präzise. Der Vorteil eines solch holistischen Anspruchs liegt allerdings auf der Hand. Er lenkt den Fokus auf die Vorhersagbarkeit, die Vermeidbarkeit und das Management von großen Krisen. Ferguson hat sich diesem Anspruch gestellt, was in Zeiten immer weiter um sich greifender Vermeidung von Verantwortung von großer Courage zeugt.

Um gleich die wesentlichen Fragen auf den Tisch zu legen: es existieren kaum erwähnenswerte Beispiele für die Vorhersagbarkeit von Katastrophen. Warnende Prognosen, dass solche Fälle irgendwann vorkommen können, waren immer vorhanden. Eine präzise Voraussage jedoch nicht. Verknüpft mit dieser Erkenntnis ist die Option der Vermeidbarkeit: wenn die Ökonomie aufgrund der Diversifizierung von Arbeitsprozessen brummt, wird, ohne Anzeichen einer bevorstehenden Unterbrechung von Lieferketten, der Appell, dass so etwas wird stattfinden können, ohne Konsequenzen verhallen. Und beim Management von großen Krisen richten sich die Blicke immer auf die großen, in der Verantwortung stehenden Entscheider. Ihnen werden die Schäden schlechten Managements in der Regel angehängt. Die Politik ist in der Wahrnehmung der meisten Bürger für schlechtes Management von Katastrophen verantwortlich.

Meines Erachtens ist es Fergusons Verdienst, dass er mit dieser Fehlinterpretation aufräumt. Selbstverständlich existieren Ausfälle auf der politischen Bühne wie ein Donald Trump, dennoch sind die kardinalen Fehler während der jüngsten Krise von den jeweiligen Bürokratien und ihrer Funktionsweise zu verantworten: In den USA, in Großbritannien, in Deutschland und in China. Aus unterschiedlichen Motiven handelt der jeweilige Mittelbau, der für die Umsetzung der politischen Strategie verantwortlich zeichnet, systemerhaltend, nicht der Komplexität entsprechend und in der eigenen Sichtweise zu segmentiert. Sollte es Lösungen geben, die aus den jüngsten Ereignissen entspringen, dann liegen sie in einer Reform der jeweiligen Bürokratie. Und in der Erkenntnis, dass kleine Staaten insgesamt besser mit Krisen umgehen können als gigantische Konstrukte, wie die USA, die EU oder China. Da kommen Perspektiven von größerer regionaler Autonomie in den Blick. Im Hinblick auf diese Überlegung erscheint die Forderung nach mehr Zentralismus in Deutschland als eine sehr bizarre Überlegung.

Abstriche zu der positiven Bewertung von Fergusons Buch sind in Bezug auf die abschließenden Überlegungen zu machen, die wie ein Absturz aus wissenschaftlicher Höhe in die Niederungen kolonialer Betrachtung bezeichnet werden muss. Dass er ausgerechnet als Brite China zum Hauptfeind aller konstruktiven Überlegungen zum Thema Katastrophenbekämpfung erklärt und nicht in der Lage ist, zumindest mental einen Perspektivenwechsel vorzunehmen, der vieles von dem, was China heute unternimmt, aus den eigenen Erfahrungen eines kolonialen Opfers heraus zu verstehen sucht, ist schlichtweg enttäuschend.

Dennoch: Doom ist zu empfehlen, weil es viele vermeintliche Gewissheiten umstürzt und konstruktive Ansätze beinhaltet.

  • Herausgeber  :  Deutsche Verlags-Anstalt (13. September 2021)
  • Sprache  :  Deutsch
  • Gebundene Ausgabe  :  592 Seiten
  • ISBN-10  :  3421048851
  • ISBN-13  :  978-3421048851
  • Originaltitel  :  Doom: The Politics of Catastrophe

Westliche Bilder und östliche Realitäten

Henry Kissinger, Fareed Zakaria, Niall Ferguson, David Daokui Li. Wird China das 21. Jahrhundert beherrschen? Eine Debatte

Irgendwie ist es immer noch weit weg. Zwar gilt der Spruch lange nicht mehr, dass es nicht interessiere, wenn in China ein Sack Reis umfalle, aber präzises Wissen über China ist kaum anzutreffen. Leider, wie zumeist, wird der Name des Landes nur ausgerufen, um unheilvoll zu drohen. Das hat Konrad Adenauer schon gemacht, seither hat das Land allerdings zahlreiche Revolutionen hinter sich gebracht. Unbestritten ist seine Stärke, zumindest was die gegenwärtige Wirtschaftskraft anbelangt. Militärisch ist man sich schon nicht mehr so sicher. Was die politische Liberalität anbetrifft, so ist der Ruf verheerend. Kurz, es lohnt sich, endlich gegen Unwissen über China etwas zu tun.

Wie geschaffen für einen Einstieg in die Komplexität des Themas sind Diskussionen verschiedener Fachleute, die sich dem Thema mit kontroversen Thesen nähern. Da ist es gut, dass zum Beispiel die Munk-Stiftung in Kanada derartige Foren organisiert. Im Jahr 2011 war das Thema Wird China das 21. Jahrhundert beherrschen? Eingeladen dazu wurden zwei renommierte Verfechter der These, dass dieses so sein wird und zwei ebensolche Gegner. Namentlich handelte es sich dabei um den Inder Fareed Zakaria, seinerseits bekannt als prominente Figur bei CNN, den Chinesen David Daokui Li, Professor für Wirtschaftswissenschaften und Managementlehre und Top-Berater der chinesischen Zentralbank und die beiden Amerikaner Niall Ferguson, Professor für Geschichte in Harvard und Henry Kissinger, seinerseits früherer Professor und Außenminister der USA.

Während das ganze Szenario der Veranstaltung doch ein wenig an Casting-Shows erinnert und den Eindruck erweckt, etwas deplaziert zu sein liefert sie doch eine Reihe an Informationen und Erkenntnissen, die wichtig sind, um das Land China und sein Agieren besser verstehen zu können. Und es ist bei einer derartig komplexen Angelegenheit eminent wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass Verständnis die Voraussetzung für eine Prognose der Entwicklung ist, was, nebenbei bemerkt, allzuoft vergessen wird.

Die in dem Büchlein dokumentierte Debatte gibt Auskunft über das chinesische Selbstverständnis, dem territoriales Hegemoniestreben schon immer fremd war, es vermittelt Einblicke in die Langzeitdimensionen, in denen dort Politik geplant wird und die sich radikal von der Geschwindigkeit wie Halbwertzeit westlicher Politikkonzepte unterscheiden. Man erfährt über den Langmut chinesischer Planungsprozesse genauso wie über das langsame Umstellen der Wirtschaft vom gigantischen Export an Billigprodukten hin zu einer qualitativeren Bedienung des Binnenmarktes, was übrigens schwerwiegende Folgen für die westlichen Märkte haben wird, und man erhält Einblicke in die dramatischen Entwicklungen, die der Demographie des Landes aufgrund der Ein-Kind-Politik bevorstehen. Und es wird aufgeräumt mit dem Irrglauben, China sei eine exklusive Exportnation. Die Bedeuung des chinesischen Marktes für viele andere asiatische Länder als Exportmarkt bedeutet eine Kohäsion innerhalb Asiens, die im Westen meistens nicht zur Kenntnis genommen wird.

Ebenso wird die Strategie Chinas auf dem afrikanischen Kontinent skizziert, die getragen wird von der Notwendigkeit, an strategische Rohstoffe zu kommen. Und es werden Probleme thematisiert wie der langsame, zu langsame Prozess einer poltischen Systementwicklung, wobei deutlich wird, dass der Westen schlecht beraten ist, sich selbst zu suggerieren, die Blaupause für die chinesische Staatsform der Zukunft läge in den Verfassungsarchiven des Westens.

Neben eher weniger zugänglichen Informationen über China erhält die Leserschaft aufgrund des Szenarios der Kontroverse auch eine ganz gute Übersicht über die unterschiedlichen Sichtweisen auf das Land aus verschiedenen Blickwinkeln dieser Welt. Daher ist das kleine Buch exzellent dazu geeignet, sich dem überaus komplexen Thema zu nähern.