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Der Abgrund schaut auch in dich!

Nic Pizzolatto. Galveston

Der Autor hat in bestimmten Kreisen Kult-Status. Nic Pizzolatto, evidenter Italo-Amerikaner, geboren in New Orleans, schaffte den Durchbruch als Drehbuchautor für die HBO-Serie True Detective. Seit den Sopranos gelten die HBO-Formate als eine neue Dimension der Literatur. In manchen Fällen trifft diese Zuschreibung zweifelsohne zu. Ob Drehbuchautoren auch gute Schreiber für die konventionellen Literaturformate sind, ist heftig umstritten. Jedenfalls gibt es wenige, die in beiden Genres großen Erfolg haben. Nic Pizzolatto also hat sich versucht. Galveston, das nach der texanischen Stadt benannte Werk, ist im eigentlichen Sinne kein Roman, sondern eher eine Novelle. Aber letztendlich ist das auch egal.

Galveston ist Kriminalliteratur einer besonderen Gattung. Die Handlung, normalerweise Erzeugerin jeglicher Art von Spannung, ist nicht das Element, an dem sich die Leserinnen und Leser aufladen der abarbeiten können. Sie ist schnell erzählt, was hier nicht geschehen wird, hielte es vielleicht von der Lektüre ab. Die besondere Komponente, die die Spannung erhöht, ist der sehr gut inszenierte Wechsel zeitlicher Perspektiven, der zum einen Ergebnisse vorwegnimmt und zum anderen neue Entwicklungen wiederum entstehen lässt. Das ist klug arrangiert und eher selten.

Das große Argument für Galveston sind jedoch die charakterologischen Studien der Akteure. Erzähler und Hauptfigur, der Auftragskiller Roy Cady, genannt Big Country, ist der gebrochene Held. Einerseits ein rücksichtsloser Vollstrecker krimineller Planerfüllung, entpuppt er sich als Mensch mit Lädierungen, physisch wie mental. Auch er bemerkt, wie eine verlorene Liebe schmerzt, wie ihre Abwanderung in der Hierarchie nach oben demütigt, wie ein medizinisches Todesurteil verunsichert, wie die Lust auf eine junge Frau verwirrt und die routinierte wie kalte Abweisung durch eine alte Liebe beschämt. Trotz seiner „handwerklichen“ Fähigkeiten, dem kalten Mord, durchlebt Big Country eine Metamorphose. Vn der Bestie zum lädierten Helden, vom juvenilen Bluthund zum angerührten Großvater.

Big Country, vielleicht die Metapher der Erzählung überhaupt, für ein raues, verwüstetes, bedrohtes Land, aus dessen Wunden bei besonderem Licht für einen kurzen Augenblick menschliche Gefühle aufscheinen, erfährt seinen sozialen Kontrapunkt durch die junge, hübsche, aber durch ihre Lebensverhältnisse missbrauchte und verrohte Rocky. Beide durchfahren eine Odyssee von New Orleans ins texanische Galveston, wo die Geschichte sich entspannt, kulminiert und zwei Jahrzehnte später endet.

Galveston zeichnet sich zum einen durch die Charakterisierungen der Hauptfiguren aus. Seit langer Zeit hat man in diesem Genre wieder einmal das Gefühl, es mit Menschen und nicht irgendwelchen Rollen oder Masken zu tun zu haben. Zum anderen gelingt es Pizzolatto, in einem Genre, das von der Schwarz-Weiß-Kontrastierung lebt, letztere aufzulösen und dennoch zu bestehen. Das ist eine Leistung, die nicht unterschätzt werden sollte in einer Welt, die sich immer mehr den Schemata der alten Kontrastierung wieder nähert, anstatt stärker zu differenzieren und neue Deutungskompetenzen zu entwickeln.

Galveston, eine Empfehlung, ohne in euphorische Lobgesänge zu verfallen. Gut geschrieben, mit dem Blick auf den Feitstanz menschlicher Gefühle und die Rudimente sozialer Werte, am Rande des Abgrunds. Die Quintessenz ist nahezu nietzscheanisch: Wenn du lange genug in den Abgrund schaust, schaut der Abgrund auch in dich!

Das Ritual aus New Orleans

The Dirty Dozen Brass Band. Funeral For A Friend

Heute, in Zeiten, wo der Tod und der Umgang mit ihm zu den ausgeprägtesten Tabus gehört, empfiehlt es sich, die Rituale, die sich anlässlich seines Eintretens herausgebildet und funktioniert haben, etwas genauer anzusehen. Viele können sich noch an Zeiten erinnern, als auch noch hierzulande der Tod eines Menschen dazu geführt hat, dass das traurige Ereignis gemeinsam begangen wurde und die Beerdigung oder Beisetzung nach einem Reglement vonstatten ging, das alle noch einmal zusammenschweißte und den Beteiligten das Ereignis des Schmerzes gemeinsam erleben ließ und auch noch eine Perspektive des Danachs vermittelte. Vieles ist dahin, aber die Erzählungen von einer „schönen Leich“, einem „phänomenalen Abgang“ oder „unvergesslichen Leichenschmaus“ flackert doch noch hier und da auf.

Die Dirty Dozen Brass Band aus New Orleans wurde 1977 von dem Trompeter Leroy Jones gegründet. Die Gründung fiel in eine Zeit, als die traditionellen Marching Bands zunehmend weniger gebucht wurden, weil der Zeitgeist eine andere Sprache sprach und weil sie wohl auch zu teuer wurden. Ein Motiv, die Band ins Leben zu rufen war der Wunsch, Jugendlichen, die in Armut aufwuchsen, eine Möglichkeit zu geben, sich mit der Musik zu entwickeln und sozialen Halt zu bekommen. Und natürlich fühlten sich die Akteure dazu verpflichtet, die großartige Tradition der Marching Bands in New Orleans weiter leben zu lassen. Der Erfolg des Konzeptes bestand allerdings darin, sich nicht nur auf das traditionelle Repertoire zu konzentrieren, sondern auch anspruchsvolle Weisen des modernen Jazz mit in den Fokus zu nehmen. Charlie Parkers Moose The Mooche war so ein Titel, der die Dirty Dozen Brass Band in die Schlagzeilen brachte und dokumentierte, welchen Gewinn auch derartige Titel dadurch erfuhren, dass sie für die Straße spielbar wurden. Natürlich unter der Voraussetzung, dass gute Musiker sich dessen annahmen.

Nach großen Erfolgen dieses Konzeptes, denen Tourneen in vielen Teilen der Welt folgten, ergriffen die Mitglieder der Band im Jahr 2004 die Gelegenheit, mit der Band exklusiv auf die Traditionen ihre Heimatstadt hinzuweisen. Mit dem Album Funeral For A Friend spielten sie Weisen ein, die in jedem baptistischen Standardwerk zu finden waren, die einzelnen Titel, die für sich immer wieder einmal von großen Interpreten des schwarzen Jazz aufgegriffen worden waren, aber in diesem Ensemble dem Ritual einer klassischen Beerdigung in New Orleans entsprachen, erhielten nun einen Sinnzusammenhang. Was dabei herauskam, war so gut und kondensiert, dass es sinnvoll wäre, diese Aufnahme in das Inventar des Weltkulturerbes aufzunehmen.

Funeral For A Friend dokumentiert den Ablauf eines Begräbnisses, das mit dem Akt der Trauer beginnt, den Abschied der sterblichen Überreste begleitet und den Weg zur Feier beschreibt, der sich erhebt über den Schmerz und die Aufforderung zu einem lustvollen Weiterleben intoniert. Die Zeremonie beginnt mit Just A Closer Walk, I Shall Not Be Moved und Please Let Me Stay A Little Longer, setzt sich fort mit What A Friend We Have In Jesus und Jesus On The Main Line, geht weiter mit I´ll Fly Away und endet schließlich mit Down By The Riverside und Amazing Graze.

Die Interpretation der einzelnen Stücke zeugt nicht nur von einer tiefen Empfindung für das Ritual selbst, sondern sie dokumentiert, dass wir es hier zu tun haben mit erstklassigen Jazzmusikern, die sehr virtuos ihre jeweiligen Instrumente beherrschen und sehr viel mehr liefern als die Abfolge verschiedener Stücke eines Rituals. Ihnen gelingt es, die Geschichte des Jazz noch einmal ganz anders aufzuschlüsseln, nämlich als Genre hoher spiritueller Substanz.

Louis Armstrongs neue Stimmen

Dr. John. Ske-Dat-De-Dat. The Spirit Of Satch

Niemand hat den Namen und das Image New Orleans so geprägt wie er. Niemand hat mit dem eigenen Lebensweg so das Klischee beschrieben wie er. Niemand hat den Jazz mehr etabliert wie er. Und niemand konnte sich als Weltstar so durchsetzen wie er. Seine Heimatstadt New Orleans tat sich dennoch schwer mit ihm. Es dauerte noch viele Jahre nach seinem Tod, bis man ihm dort, woher er kam und von wo der Ruhm ausging, ein Denkmal aufstellte. Sein Erfolg machte ihn suspekt. Luis Armstrong, der in einer Besserungsanstalt der Stadt lernte, Kornett zu spielen, setzte das fort, was Buddy Bolden begonnen hatte. Er spielte den binären Jazz und gelangte über einen Mississippi-Dampfer nach Chicago und New York und von dort auf alle Bühnen der Welt. Er wurde zur geliebten Marke und durchbrach alle Rassengrenzen. Satchmo, wie sie ihn wegen seines großen Mundes nannten, hat den Geist dieser Stadt New Orleans, dieser Fusion vieler Kulturen, der Welt nah gebracht.

Malcom Rebenack, bekannt als Dr. John, ebenfalls in New Orleans geboren, nur vierzig Jahre später, ist das heutige musikalische Gewissen und Gedächtnis der Stadt, die trotz der Verwüstungen Katrinas und des Mordversuchs des damaligen Präsidenten Geaorge W. Bush überlebt hat. Dr. John sang gegen die Schweinereien an und besinnt sich immer wieder der Stärken seiner Stadt. Da ist es kein Wunder, dass Dr. John nun alle großen Namen aus New Orleans zu einem Projekt ins Studio brachte, um dem großen Bruder Louis Armstrong die Referenz zu erweisen. Was dabei herauskam, ist sensationell, inspiriert und geht unter die Haut.

Nicholas Payton, Terence Blanchard, Arturo Sandoval, Telmary, Bonnie Raitt, Anthony Hamilton, Wendell Brunious, Ledisi, James „12“ Andrews, Shemekia Copeland oder die Dirty Dozen Brass Band sind allesamt zu große Kaliber, als dass sie einem Fehler unterlägen, dem nur Plagiatoren anheim fallen. Nein, sie kopierten die bekannten, weltbekannten Stücke des Louis Armstrong nicht, sondern sie hauchten ihnen den Spirit ein, der heute durch jede Straße und jede Bühnenritze New Orleans schimmerte. Konservatoren sprächen vielleicht sogar von Missbrauch. Aber genau das Gegenteil ist der Fall! Durch die eigenwilligen Interpretationen von What A Wonderful World, Mack The Knife, I Got The World On A String, Gut Bucket Blues, Nobody Knows The Trouble I´ve Seen oder Memories Of You wurde eine neue musikalische Welt geschaffen, die den Geist Louis Armstrong atmet und das Kunststück vollbringt, diesen in unsere heutigen Tage zu transponieren. Das machen die verschiedenen Interpretinnen und Interpreten im Sinne ihrer eigenen Stärken, mit denen sie durchweg bestechen.

Dr. John, der sich nicht nur als vielseitiger Musiker der Rock ´n Roll, Blues und Jazz bewiesen hat, überzeugt als großartiger Arrangeur, der sich selbst zurücknimmt, um die von ihm gewonnen Größen voll zur Wirkung kommen zu lassen. Man hört bei jedem Takt, dass es ihm um das Projekt ging. Das ist ihm gelungen. Jedes Arrangement besticht, weil es diesen großartigen, weil menschlichen Geist atmet, den Louis Armstrong verbreitet hat. Wenn es ein Stück gibt, das sich wie ein Komet aus dem Ensemble herauslöst, dann ist es Tight Like This, mit Arturo Sandoval an der Trompete und Telmary als Stimme, wie selbstverständlich mit einem Spanischen Text. Die Interpretation streicht über die Haut wie ein eisiger Wind, da wispert der Weltgeist die Idee der Musik wie ein Geheimnis ins Ohr. Zumindest so, wie sie in New Orleans gelebt wird.