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Perspektive: waffenstarrend und rückständig?

Wenn man nicht der einen oder anderen Seite mit den jeweiligen Propagandaorganen glaubt und sich die Mühe macht, seriöse Quellen zu finden, die sich jenseits des jeweiligen strategischen Ziels auf Faktoren wie Material, Logistik, Soldaten, die militärische Lage auf dem Feld und die tatsächliche Stimmung im eigenen Land konzentrieren, kommt man zu einem anderen Ergebnis. Auf beiden Seiten gibt es erhebliche Defizite, die Logistik funktioniert nicht, durch die hohen Verluste – insgesamt wird von einer halben Millionen Toten gesprochen – gehen die Soldaten aus, die wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sind schlimm, die Kritik am Krieg und an der Kriegsführung und gegenüber der eigenen Regierung wächst und ein schnelles, für die eine oder andere Seite erfolgreiches Ende ist nicht in Sicht. 

Alles spricht dafür, in einer solchen Situation mit Vorschlägen einer Beendigung der Kampfhandlungen aufzuwarten. Sie müssten seriös wie annehmbar sein, sie müssten von Ländern oder Politikern kommen, die eine gewisse Macht wie Reputation verkörperten und man müsste ihnen unterstellen können, dass sie es ernst meinen. Alle Faktoren sprechen für die Beendigung des Krieges, wären da nicht die Kräfte, die von einem Endsieg träumten und denen das Schicksal beider Kontrahenten egal ist bzw. die immer noch darauf hoffen, dass eines der beiden Länder zusammenbricht. Bei der Ukraine ist das allerdings bereits der Fall, denn sie wäre ohne militärische wie finanzielle Hilfe nicht mehr handlungsfähig.

Betrachtet man die nun auch von westlichen Politikern beklagte Kriegsmüdigkeit im vermeintlichen eigenen Lager, dann würden Initiativen, die ein Ende der Kampfhandlungen zum Ziel haben, sicherlich auf positive Resonanz stoßen. Bei dieser Gemengelage kann man davon ausgehen, dass angesichts einer im Großen und Ganzen friedensunwilligen wie friedensunfähigen politischen Führung und den Auswirkungen einer de facto bereits existierenden Kriegswirtschaft der Unmut wachsen wird, Wahlen anders als kalkuliert ausgehen und Konfrontationen am Horizont lauern, die, weil ohne politische Führung, zu Gewaltausbrüchen führen werden. 

Wer daran zweifelt, schaue sich den Charakter des konzipierten Bundeshaushalts an, der eindeutig auf Kriegswirtschaft ausgerichtet ist. Da von einem Pakt der Modernisierung zu sprechen, zeugt von einer kaum noch zu therapierenden Verblendung. Die Frage, um die es konkret in Deutschland geht, ist die ob Krieg oder zivile Entwicklung. Bei der de facto bereits existierenden und weiter beabsichtigten Entwicklung stehen alle Zeichen auf Krieg. Das zu erwartende Resultat hat die Kontur eines Staatswesens, das prädestiniert ist für eine autokratische Führung: rückständig und waffenstarrend. 

Bei der Formierung einer neuen Weltordnung, die nicht so aussehen wird, dass die eine Seite exklusiv als Sieger und die andere als besiegt dastehen wird, sollte man den Blick für realistische Prognosen nicht verlieren. Die strukturelle Schwäche der anderen Seite ist mitnichten die eigene Stärke. Ein ohne den Faktor Krieg vonstatten gehende Veränderung der Verhältnisse auf der Welt kann nur durch eine eigene realistische Strategie und dem starken Willen gelingen, globale Gemeinsamkeiten in den Fokus zu stellen. Davon gäbe es genug: Ökologie, Bekämpfung des Hungers, Bildung, Infrastruktur etc. etc.. Es müsste ein großer und guter Plan sein und zu seiner Verwirklichung müssten alle eingeladen werden. 

Hand aufs Herz, wo sind die Länder und Politiker zu sehen, die zu so etwas fähig wären? Oder anders betrachtet, wollen wir tatsächlich einen Zustand zusteuern, der als waffenstarrend und rückständig beschrieben werden kann?

Weltlage: Onkel Joe und Captain Silver

Man muss schon sehr angestrengt aus dem Fenster der Abwendung schauen, um zu ignorieren, wie sich die Kräfte in der Welt neu formieren. Die alte Dominanz der von den USA beherrschten Bünde hat sich auf den einen oder anderen Vasallenstaat und einen europäischen Torso reduziert. Und Bündnisse wie BRICS 11, die Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SOZ) und die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) wachsen stetig. Dass bei BRICS nun auch Saudi Arabien zu finden ist und damit eine Abwendung vom Petrodollar absehbar wird, ist vor allem für die westliche Führungsmacht verheerend. Sollte der Dollar als internationale Leitwährung seine Dominanz verlieren, ist es aus mit der Finanzierbarkeit des gigantischen Militärapparates der USA. Dann kann kein Geld mehr bis ultimo gedruckt werden.

Die Strategie der USA lautet nach wie vor Full Spectrum Dominance. Es ist ihnen gelungen, die EU für ihre Einkreisungspolitik Russlands zu gewinnen. Die europäischen, vor allem die deutschen Kollateralschäden sind dabei immens. Man möge damit aufhören, Russland das Vorgehen in der Ukraine als eine neue Qualität vorzuwerfen, wenn es in diesem Falle exakt das gemacht hat, was die USA seit sieben Jahrzehnten immer wieder praktizieren. Die ultimative Ratio des militärischen Handelns wurde von den USA seit 1945 immer wieder kultiviert und es gehört zum wesentlichen Attribut ihrer globalen Vorherrschaft. Und wer das weiß und immer noch aus dem Fenster schaut, der soll das mit sich ausmachen, einen Anspruch auf eine Diskussion einer eigenständigen Strategie hat er nicht. 

Die Administration um den Heilsbringer Joe Biden, der tatsächlich in den hiesigen Medien als der große Zivilisator nach den vier Jahren Donald Trumps gefeiert wird, hat sich dafür entschieden, eine Verhandlungslösung im Russland-Ukraine-Konflikt auszuschließen und die europäischen Kontrahenten sich gegenseitig ausbluten zu lassen, während man sich selbst für den Showdown mit China präpariert. Dass sich bei dem Präludium für diesen Konflikt nun auch Deutschland mit zwei Fregatten vor der chinesischen Küste beteiligt, zeigt lediglich, wie verloren die deutsche Politik in einer Zeit großer Veränderungen geworden ist. Und wenn jetzt ein Kanzler wie einst Captain Silver mit einer Augenklappe herumläuft, zeigt das vielleicht, welche Nummer dort bereits vor dem Spiegel der Verblendung geübt wird. Ernst könnte man das alles nicht mehr nehmen, wenn es nicht so tragisch wäre. Das von Frankreich immer wieder angemahnte europäische Selbstbewusstsein ist der Geste der kompletten Unterwerfung gewichen. In der Psychologie weiß man, dass von den Mächtigen die Devoten am meisten verachtet werden. Nur das haben die Sensibelchen in der Verantwortung noch nicht gemerkt. 

Die normale Reaktion auf eigenen gravierenden Irrtum ist eine konsequente Kurskorrektur. Die Ausführungen der völlig überforderten Außenministerin hinsichtlich der Unwirksamkeit der eigenen Sanktionen bei der Schädigung Russlands und den negativen Auswirkungen auf die deutsche Wirtschaft dokumentiert, dass mit einem Strategiewechsel nicht zu rechnen ist. Wer mit Trotz und Jähzorn auf die Erkenntnis einer eigenen Fehleinschätzung reagiert, dem können in der Regel nur noch Therapien helfen. Mit Verstand, der die Grundlage einer politischen Räson darstellt, hat das alles nichts mehr zu tun. Die zunehmend von den Verantwortlichen beklagte Kriegsmüdigkeit hat etwas mit der allgemeinen Erkenntnis zu tun, dass der eingeschlagene Weg der falsche ist. Aber wem sagt man das?  

Wahrnehmung: 2000 Light Years from Home

Einer der Effekte, die entstehen, wenn der Fokus exklusiv auf ein Ereignis gerichtet ist, kann mit der Ausblendung alles anderen beschrieben werden. So trivial es klingt, wer sich auf eine Sache konzentriert, bekommt von anderen Begebenheiten weniger, wenn nicht gar nichts mehr mit. Böse Stimmen behaupten, das sei sogar so geplant, wenn wir die Publizistik beobachten. Die gebärdet sich seit Beginn 2020 monothematisch. Zuerst Corona und seit 2022 der Russland-Ukraine-Krieg. Nicht, dass beides nicht eine große Aufmerksamkeit verdiente. Doch für eine Gesellschaft, die sowieso seit jeher dazu tendiert, sich als den repräsentativen Mittelpunkt des Weltgeschehens zu betrachten, ist diese Steigerung fatal. Denn, und diese Erkenntnis ist unumstösslich, der Blick auf das reale Weltgeschehen in seinen tatsächlich messbaren Proportionen ist – wenn er je existierte – komplett verloren gegangen. Das betrifft den Westen allgemein wie die Bundesrepublik Deutschland besonders. 

Es reicht, nur die eine oder andere kleine Meldung aus den Nachrichtentickern zu fischen oder, noch besser, Kontakte in andere Teile der Welt zu haben und zu pflegen, um Perspektiven kennenzulernen und Informationen zu erhalten, die alles, was sich hier im großen Nachrichtensturm über die lokale Wahrnehmung ausbreitet, als ziemlich verzerrte, die Dinge auf den Kopf stellende Rezeption zu verorten. Die immer wieder reklamierte freie Welt, von der suggeriert wird, sie dominiere den Planeten, entpuppt sich bei genauerem Hinschauen als eine Minderheit. Das betrifft sowohl die Resolutionen gegen die russische Invasion in der Ukraine wie die Beteiligung an den Sanktionen gegen Russland. Bei letzteren beteiligen sich Staaten, die ein Achtel der Weltbevölkerung repräsentieren. Die sind ökonomisch sehr stark, aber von der Repräsentanz her eine Minderheit. 

Genau diese Tatsache wird systematisch ausgeblendet, um ein Gefühl der Überlegenheit zu erzeugen, aus dem heraus andere Schlüsse gezogen werden als aus dem der Unterlegenheit. Es ist die Wahrnehmung, die das Agieren des Westens seit dem Ende des Kalten Krieges auszeichnet. Triumphalismus statt realistischem Blick, Militanz statt Kooperation. Kaum erforderlich zu erwähnen, dass die Reaktion auf ein mit Sicherheit prognostizierbares unfriedliches Ende als Argument dafür genommen wird, lange Zeit zu friedliebend und leichtgläubig gewesen zu sein, so ganz nach dem Motto: hätte ich viel früher geklaut, wäre ich heute erheblich reicher. 

Ein Hinweis auf die Psychologie möge auch denen helfen, die sich noch auf ihre eigene Urteilskraft verlassen. Wenn man einem Unterlegenen über Jahrzehnte nach dessen Niederlage immer wieder signalisiert, seine Sichtweise und seine Bedürfnisse seien unerheblich, er solle sich den Gegebenheiten, so wie sie der Sieger bestimmt, gefälligst fügen, welche Reaktion ist die wahrscheinlichste, wenn dieser die Wunden geleckt und wieder zu Kräften gekommen ist? 

Um zum Ausgangspunkt der Überlegung zurückzukommen: ist es ein Zufall, dass genau das Achtel der Weltbevölkerung, das unserem politisch-kulturellen Weltbild nahe kommt, im Großen und Ganzen dem Ensemble des Kolonialismus und Imperialismus entspricht, das mit Ausnahme Russlands, selbst immer zur imperialistischen Welt gehörend, den Rest der Welt auf die eine oder andere Weise vereinnahmt, ausgeplündert, entmündigt hat? Unter diesem Aspekt wird es besonders interessant, zu sehen, was China, Indien, Indonesien, aber auch die Länder Südamerikas denken, wenn sie den Konflikt im Herzen Europas betrachten. Anteilnahme ist nicht zu erwarten, ebensowenig eine aktive Parteiergreifung. Und, liest man die Journale in diesen Teilen der Welt, so mehren sich die Stimmen, die von der Notwendigkeit eine neuen Weltordnung sprechen, in der die imperialistischen Hähne möglichst wenig Schaden anrichten können. Eine Realität, die von unserer täglichen Wahrnehmung jene berühmten 2000 Light Years from Home liegt!