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Revanchismus ist Landesverrat

Vor einigen Tagen schrieb eine von mir sehr geschätzte Frau, sie verstehe nicht, warum sich so wenig Menschen gegen eine Radikalisierung der Gesellschaft von rechts wehren. Ihre Sorge ist zu teilen, wiewohl es Gründe gibt, die erklären, dass die allseitige Katastrophe, die mit dem Phänomen des Faschismus beschrieben werden kann, zu keinen positiven Schlussfolgerungen geführt hat. Der Grund liegt in der Geschichte. Wer nicht begreift, dass historisches Unrecht verarbeitet werden muss, der kann weder in der Gegenwart noch in der Zukunft Positionen entwickeln, die eine historische Wiederholung ausschließen. Das hat nichts mit dem ewigen Tragen eines Büßerhemdes zu tun, sondern mit einem klugen Kopf. Nur wenige derer, die als zur meinungsbildenden Elite gezählt werden müssen, haben angezeigt, dass sie die eigene Geschichte begriffen haben. 

Bis auf den Bundespräsidenten, der, so erstaunlich das für einige klingen mag, anlässlich des 80. Jahrestages des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die damalige Sowjetunion die richtigen Worte gefunden hat, hat nahezu die gesamte politische wie mediale Nomenklatura die heutige, von einer neuen Dimension des Kalten Krieges geprägte Position gegen Russland dazu benutzt, um den Überfall und seine Folgen zu relativieren und die Opfer in einer Milchmädchenrechnung aufzurechnen. Da kamen Gedanken zum Vorschein, die auch im Obersalzberg hätten formuliert werden können. Hitler, so hieß es da, sei mit dem Überfall auf die Sowjetunion seinem Pendant Stalin nur zuvorgekommen. Wer so etwas fabriziert, insinuiert hinsichtlich des Russlandfeldzuges ein gehöriges Maß an Erleichterung. Und da sind Sportreporter, die anlässlich eines Fußballspiels, an dem die russische Nationalmannschaft beteiligt ist, Ressentiments zum besten geben, die alte Zeiten wieder beleben. Und da ist ein Bundestagspräsident, der die Früchte einer weit vorausblickenden, aus einem tiefen Geschichtsverständnis befruchtete Ostpolitik mit einem marktliberalistischen Anschluss Ostdeutschlands auf den Kompost geworfen hat, der wie selbstverständlich den Bundestag für eine Stunde der Besinnung als nicht zuständig bezeichnet hat.

So geht, man verzeihe den alten Terminus, so geht Revanchismus. Und Revanchismus in Bezug auf die für Deutschland desaströsen Ergebnisse des Faschismus ist nur eine Variante der alten Denkweise. Das befreiende an dem Desaster, das von den so genannten Eliten geboten wird, ist die Kenntnis darüber, dass dieser nicht zu entschuldigende Unsinn von der Mehrheit der Bevölkerung nicht geteilt wird. Noch, so könnte spekuliert werden, noch sind die Kommentare auf die Flut von unsinnigen, relativierenden und verharmlosenden Reden und Artikel freigeschaltet. Dort bildet sich ein anderes Bild, das nicht dadurch getrübt werden kann, dass die neuen Kalten Krieger jeden, der es wagt, ihre Ressentiments zu kritisieren, mit denn Hexenhammer des AFD-Signums zu diskreditieren suchen. So, nur ganz nebenbei, treibt man Menschen, die noch einen Funken historischen Bewusstseins und Respekt in sich tragen, in andere politische Lager, als sie eigentlich gehören. Aber, herrscht einmal die Eindimensionalität in geschlossenen Kreisen, ist sie nicht mehr zu bändigen. 

So wird die Geschichte ihren Lauf nehmen. Bleibt es bei dem Ensemble von politischen Entscheidungsträgern, wie sie sich heute repräsentieren, dann wird das Lehrstück, das die Geschichte mit seiner ganzen Katastrophe geliefert hat, ein schmerzhaftes Beispiel ohne Nutzen. Es ist die Stunde, sich gegen den Verfall der politischen Klugheit und Moral mit allen Mitteln zur Wehr zu setzen. Wer glaubt, mit einem Revival des Kalten Krieges auf der richtigen Seite zu sein, gefährdet das Land in seiner Existenz. Revanchismus ist Landesverrat. 

Von weiser Voraussicht und verlorenem Verstand

Was unter dem Namen der Neuen Deutschen Ostpolitik figurierte, war der letztendlich erfolgreiche Versuch, aus einer nahezu aussichtslosen Situation eine Wende im Denken herbeizuführen. Willy Brandt, der Visionär, und Egon Bahr, der Konstrukteur, machten sich daran, eine Straße zu bauen, die aus der immer am Rande eines heißen stehenden Kalten Krieges herausführen sollte. NATO und Warschauer Pakt standen sich waffenbehangen gegenüber und die Nahtstelle war die Grenze von BRD und DDR. Die Sowjetunion, die den Osten dominierte, war ein Monolith nach innen wie nach außen. Verglichen mit den damaligen Bedingungen, ist die heute russische Gesellschaft offen und liberal. Dennoch fanden die beiden Sozialdemokraten, übrigens mit den Freien Demokraten in einer Regierungskoalition, einen Weg, um erste Schritte aus der eisigen Kälte gehen zu können. Es war die Ökonomie.

Die Neue Deutsche Ostpolitik kombinierte Geschäftsbeziehungen mit politischen Zielen. Es ging darum, den stets skeptischen Verhandlungspartnern die Einsicht zu vermitteln, dass wirtschaftliche Kooperation der eigenen Seite gut taten und dass eine Verbesserung des politischen Klimas dazu führte, dass die Geschäfte immer besser liefen. Wandel durch Annäherung nannten das die Architekten dieser neuen Politik. Trotz mancher Rückschläge ließen sie sich nicht von diesem Kurs abbringen, der letztendlich zum Ende des Kalten Krieges führte und der dazu beitrug, dass Deutschland wiedervereinigt wurde.

Die Umstände, die dazu führten, sollten sich alle vergegenwärtigen, die nun allzu gerne nach Sanktionen gegen Russland schreien und wie die letzten Goebbels-Propagandisten vom Putin-Land sprechen, wenn sie Russland meinen. Die Gespräche, die zur Wiedervereinigung führten, waren dadurch gekennzeichnet, dass die USA wie die Bundesrepublik versicherten, dass es bei Abruf der sowjetischen Truppen zu keinem Nachrücken der NATO-Verbände nach Osten kommen sollte. 

Bereits ein Jahr Jahr später zerfiel die Sowjetunion in ihre Einzelteile und der Wolf roch den Braten. Russland, das vom britischen Imperial-Geologen Mackinder bis zum amerikanischen Hegemonie-Theoretiker Brzezínski als das Stück Land ausgemacht wurde, dass man besitzen müsse, um die Welt zu beherrschen, zeigte Schwäche. Und schon wurden Rezepte ausgetauscht, wie der Braten zuzubereiten sei. Der Moment der Staatslosigkeit wurde von Oligarchen genutzt, um sich mit Hilfe von Privatarmeen anzueignen, was anzueignen war. Es herrschte die Anarchie der nackten Gewalt, das Volk hungerte und die Grundversorgung mit allem Notwendigen setzte aus, während andere ungeheure Werte ins Ausland verschleppten. Die mit dem Namen Boris Jelzin verbundene Phase dieses Raubs galt im vereinigten Westen als willkommenes Tauwetter. Währenddessen rückte die NATO Schritt für Schritt ostwärts, von Nord nach Süd, vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer.

Dann erschien Wladimir Putin auf der Bühne und setzte diesem Treiben ein Ende. Der Verschluss russischer Ressourcen und Märkte für aus dem Westen geplante Raubzüge und die Verfolgung der Oligarchenbanden hat ihm der Westen nie verziehen. Soviel nur zur Metapher der Wertegemeinschaft. Seitdem hat Putin sich zum Staatsfeind Nummer Eins etabliert. Egal, was im internationalen Kontext passiert und dem Westen nicht schmeckt, dahinter steckt Putin. Wenn es einen Beleg für die Gleichschaltung von Presse und Medien gibt, dann ist es die Berichterstattung über Russland. Und wenn es eines Nachweises bedarf, wie tief im populistischen Sumpf, der durch die Medien bereitet wurde, die offizielle Politik bereits versunken ist, dann höre man sich den Außenminister an. Interessengeleitete Politik mit einer Strategie, die die diplomatischen Gepflogenheiten wahren, die übrigens das Resultat des Dreißigjährigen Krieges sind, von all dem hat dieser Populist noch nichts gehört. Beim Vergleich der Neuen Deutschen Ostpolitik und der heutigen Russlandpolitik der Bundesregierung, dann handelt es sich um eine Mutation von weiser Voraussicht zu verlorenem Verstand. Wären sie da, die Architekten der Neuen Deutschen Ostpolitik, so fiele es nicht schwer, sich ihre Reaktion vorzustellen: Der eine verließe resigniert das Zimmer, der andere versetzte ihm eine eine schallende Maulschelle.  

Vision und Pragmatismus, Diplomatie und Charisma

Egon Bahr. „Das musst du erzählen!“ Erinnerungen an Willy Brandt

Egon Bahr, geboren 1922, hat es nicht lassen können und die Gelegenheit genutzt, der Nachwelt doch noch etwas zu erzählen von jenen bewegten und bewegenden Jahren, die die Geschichte zwischen den beiden deutschen Staaten dramatisch verändern sollte, die die Weichen stellte für eine neue europäische Konstellation und letztendlich auch als ein Sargnägel für die Zweiteilung der Welt werden sollte. Egon Bahr erzählt in dem vorliegenden Buch vor allem von seinem Aufeinandertreffen mit Willy Brandt Anfang der Sechziger Jahre, als dieser Regierender Bürgermeister in Berlin war, über den Wechsel nach Bonn als Außenminister der Größen Koalition bis zum Bundeskanzler der sozial-liberalen Koalition und seinem Rücktritt 1974 nach der Guillaume-Affäre.

Bei der Lektüre eines in einem rar gewordenen, exzellenten Deutsch geschriebenen Buches drängten sich zumindest dem Rezensenten immer wieder zwei Begrifflichkeiten auf, die das Wesen des Verhältnisses zwischen Willy Brandt und Egon Bahr zu beschreiben in der Lage sind. Zum Einen ein immer mehr in die Vergessenheit geratender Begriff wie der des Weggefährten, der ausdrückt, dass die festzustellenden Gemeinsamkeiten aus einer gleichen Zielsetzung wie der Übereinkunft über den einzuschlagenden Weg hin zu diesem Ziel resultieren. Und bei dem anderen Terminus handelt es sich um den der Kongenialität, der ausdrückt, dass verschiedene außergewöhnliche Begabungen zusammenkommen und zusammen etwas positiv bewirken. Um all das, was Egon Bahr an situativem Handeln beschreibt und anhand eigener charakterologischen Studien ausführt zusammenzufassen, könnte man aus gutem Grund zu der Quintessenz kommen, bei Egon Bahr und Willy Brandt handelte es sich um kongeniale Weggefährten.

Neben dem Menschlichen, das bei den Aufzeichnungen zutage tritt und in mancher Hinsicht auch neu ist, und welches nie die Grenze des Respektes und der Diskretion überschreitet, liefert das Buch noch einmal im Zeitraffer das Projekt der neuen deutschen Ostpolitik. Das, was wohl ohne Wenn und Aber das große historische Verdienst des Kanzlers Willy Brandt bleiben wird, die Befähigung zu einer friedvollen Deutschland- und Europapolitik aus dem machtpolitischen Chaos, das dem II. Weltkrieg erwuchs, wird noch einmal deutlich gemacht. Die Leserinnen und Leser erfahren, wie schwierig es war, sowohl Deutsche aus Ost und West als auch die Siegermächte um die Lager USA und UdSSR wieder sprechfähig zum Thema Deutschland zu machen. Dazu bedurfte es einer politischen Vision und eines sehr elaborierten Verständnisses von Politik, wie es zu diesem Zeitpunkt wohl nur Willy Brandt mitbrachte und einer diplomatischen und kommunikativen Brillanz, die Egon Bahr zu dem unverzichtbaren Partner des Politik-Architekten Brandt machte. Die Kongenialität der beiden materialisierte sich in einer Kombination aus Vision und Pragmatismus sowie aus Diplomatie und Charisma.

Die Erinnerungen Egon Bahrs sind in vielerlei Hinsicht eine sehr wertvolle Ergänzung zu den bereits vorliegenden Werken der Historiographie. Da erzählt einer, der tatsächlich den später so oft bemühten Hauch der Geschichte verspürt hat, wie es war, als man mit den Russen im Kalten Krieg klandestin verhandelt hat, wie es sich anfühlte, wenn die Kränkungen Willy Brandts durch die Revanchisten zu persönlichen Krisen führten oder wie irritierend es sein konnte, wenn die Amerikaner die beiden Sozialdemokraten in einem Hotel in Washington abhörten, harsche Kritik der beiden vernahmen und dennoch die Unterstützung nicht versagten. Bahr beschreibt sehr authentisch die Empathie und Verletzlichkeit seines Freundes Willy Brandt. Und er fasst das mit gestaltete Kapitel deutscher Geschichte mit einer Prägnanz zusammen, das heutige Journalisten erblassen lassen muss. Da bleibt nur die höchste Empfehlung.