Obwohl momentan immer wieder einmal Historiker aus der Schatulle gezaubert werden, die ihrerseits die gegenwärtige Politik als strategisch angemessen erklären, fehlt es gewaltig an einem historischen Bewusstsein, das weiterhelfen würde. Man muss nicht unbedingt diejenigen bemühen, die eine andere politische Kraft mit ihren Thesen unterstützen. Es reicht, bei denen zu verharren, die sich wissenschaftlicher Faktizität verpflichtet haben und es dabei belassen.
Und, auch das sei angefügt, Geschichte wiederholt sich nicht. Aber es existieren Tendenzen, die vergleichbar sind und deren Auswirkungen durchaus das Attribut der Analogie verdienen. Zwei Historiker, die aus einer unterschiedlichen Fragestellung zur selben Analogie kommen, seien hier erwähnt. Sowohl der Brite Neill Ferguson als auch der Franzose Emmanuel Todd vergleichen die wirtschaftlich-soziale, die militär-strategische wie die mentale Lage der USA mit dem Spätherbst der Sowjetunion. Die Indikatoren, auf die sie sich beziehen, haben etwas zu tun mit der Ausgabenpolitik, aber auch mit Daten zur Lebenserwartung, Säuglingssterblichkeit, Alphabetisierung, Obdachlosigkeit etc.etc..
Angesichts der Virulenzen in dem Gefüge USA/EU und dem Entschluss von Ländern wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien deutet sich eine weitere Analogie an, die auch an die Zeit des Niedergangs der UdSSR erinnert. Es ist die Umschichtung der Staatshaushalte aus den Bereichen Bildung, Gesundheit und Soziales hin zur Investition in Rüstung und Militarisierung. Allein die bereits heute vorliegenden Größenordnungen deuten darauf hin, dass ein wesentlicher Zusammenhang, der zum Zusammenbruch der Sowjetunion führte, in diesen Staaten und der EU zu ähnlichen Verwerfungen führen wird.
Bevor der tumbe, in Endlosschleifen wiederholte Vorwurf russischer Propaganda hervorgeholt wird, sollte man sich mit den oben zitierten Historikern auseinandersetzen und sich selbst noch einmal die Strategie von USA und NATO im Zusammenhang mit der Hochrüstungspolitik der achtziger Jahre des letzten Jahrhunderts befassen. Dort galt es als dezidiertes Ziel, mit den ständigen Investitionen in neue, kostspielige Waffensysteme die UdSSR dazu zwingen zu wollen, gleichzuziehen und damit gesellschaftlich und sozial so zu schwächen, dass ihr als politischem System die Luft ausgeht. Die damalige Strategie hatte zum Ziel, mit dem Mittel der Rüstungsspirale und der durch sie erforderlichen Kosten die Sowjetunion zu besiegen und dadurch den Krieg zu vermeiden. Und die Rechnung ist, wie alle Welt heute weiß, aufgegangen.
Angesichts dieser historischen Lehrstunde sollte es dem einen oder anderen Vertreter aus den heute dominierenden Lagern vielleicht auffallen, dass sich vor allem die EU als ökonomischem Arm der NATO, zu dem sie sich entwickelt hat, in die Rolle der damaligen Sowjetunion begibt. Nicht nur, es wäre das Thema einer weiteren Betrachtung, dass sich auch hier eine von allen gesellschaftlichen Realitäten abgehobene Bürokratie etabliert hat, sondern vor allem in Bezug auf den Proporz von Investitionen in Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur hier und Militär dort. Der Moloch der Militarisierung, von dem viele Kleingeister glauben, es handele sich dabei um einen ökonomischen Booster, mausert sich zunehmend zu dem Momentum eines nachhaltigen Niedergangs. Und in diesem Kontext ist der Begriff der Nachhaltigkeit einmal richtig gebraucht.
Ich will hier nicht die so oft wiederholten Worte von Karl Marx anführen, wonach in der Geschichte alles zweimal passiere, einmal als Tragödie und einmal als Farce. Aber ehrlich gesagt, den Schalk im Nacken hat sie doch, die Geschichte.
