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Von den Vorzügen der Hitzewelle

Bei aller Quälerei bringt eine Hitzewelle, wie wir sie gerade erleben, auch Vorteile mit sich. Sofern die Eigendynamik der Tretmühle es nicht schon geschafft hat, den Verstand gänzlich zu eliminieren. Einige Grad über der erträglichen Marke reichen bereits aus, um alle grundlegenden Geschäftsprozesse signifikant zu verlangsamen. Das beginnt morgens bereits bei der Organisation des eigenen Tagesablaufs und zeigt sich auch bei den elaborierten Prozessen, die folgen. Es wird deutlich, dass der Physis Grenzen gesetzt sind. Wer das missachtet, ist schnell raus aus dem Spiel, wer dem Rechnung trägt, hat noch Chancen. Denn die Verlangsamung eröffnet auch Korridore, die bisher verstellt waren. 

Wenn die Gemeinsamkeit der physischen Überforderung dazu führt, nicht nur die täglichen Routinen auf ihre Sinnhaftigkeit zu hinterfragen, sondern auch zu analysieren, wie die Treibkräfte, die die Prozesse am Leben halten, beschaffen sind, dann ist es eine große Gnade, eine solche Hitzewelle erleben zu dürfen. Fragen wir einfach die Natur. Was machen Tiere, wenn es zu heißt ist? Sie schalten auf einen anderen Modus um. Alle Modi in der Tierwelt sind existenziell. Sind es alle Modi der Menschen?  Mitnichten! Es handelt sich um artifizielle Verhältnisse, die einen Teil der Gattung begünstigen und einen anderen Teil in die tausend unterschiedlichen Versionen des Ruins treiben. Daher die Bitte: Betrachten Sie einmal alles, was Sie in diesen Tagen tun, unter dem Aspekt der existenziellen Notwendigkeit. Es wird vieles in einem neuen, vielleicht sogar kalten Licht erscheinen lassen.

Nicht anders verhält es sich mit dem Verhältnis der Gattung zu dem Planeten, auf dem dieselbe nur noch ein lästiger Gast zu sein scheint. Sind die Betrachtungen, die momentan angestellt werden und die darauf aus sind, zu beunruhigen, ohne Lösungen aufzuzeigen, nicht ein Dokument der irrationalen Eigendynamik von Wachstum und Bereicherung? Was fehlt, ist die in solchen Situationen historisch immer wiederkehrende Schlussfolgerung, es gäbe zu viele Menschen und ein richtig knackiger Krieg könne alle Probleme lösen, weil er dazu geeignet ist, die Population zu dezimieren. 

Es hilft nur eines: Es ist erforderlich, der Logik, in der wir uns bewegen, auf den Leib zu rücken. Es ist nicht die eine oder andere Erscheinung, die verantwortlich ist für das zu beobachtende Desaster, es ist die Logik, die davon ausgeht, das oberste Prinzip der existenziellen Ratio sei die uneingeschränkte, stetig steigerbare Anhäufung von Reichtum. Ein Reichtum, der nicht den Sinn des allgemeinen Konsums, sondern einzig der Akkumulation von Macht und Ansehen weniger ausmacht. Dieser Reichtum und seine Produktionsprinzipien sind die Ursache der Zerstörung, derer wir in allen erdenklichen Dimensionen Zeugen werden.

Das Subversivste, das Sie momentan machen können, sind Debatten über den Sinn und Unsinn aller Aktionen zu führen, die momentan trotz der Hitzewelle von Ihnen gefordert werden. Da rücken Sie der frevelhaften, destruktiven, und schlicht dümmlichen Logik auf den Leib. Sie zu demontieren ist die kollektive Aufgabe, zu der die Hitzewelle ein Anlass sein möge. 

Gehen Sie schwimmen, setzen Sie sich in den Schatten, essen Sie fruchtiges Eis, trinken sie kühles Bier, davon allerdings nicht zu viel. Lassen Sie es sich gut gehen und üben Sie die Disziplin der vorurteilsfreien Betrachtung. Beschreiben Sie, ein wenig durch die Belastungen der Hitze entrückt, was Sie beobachten. Es lohnt sich. Noch ist nicht aller Tage Abend!

Die längste Nacht

Kurz bevor der Schrei der Entlastung aus dem Resonanzkörper eines völlig überreizten Kollektivs erschallt, treffen bereits die nächsten Appelle ein. Waren es über die letzten Wochen die Aufforderungen, alles, was Sinn und alles, was keinen Sinn macht auf jeden Fall noch erledigen zu müssen, so sind es jetzt die Mahnungen zum Einhalten und Verharren in Stille. Ja, wer soll denn mit einem derartigen Tohuwabohu der psychischen und physischen Anspannung und Entspannung überhaupt noch klar kommen? Es ist, so scheint es, als wäre die kulturelle Vorgabe durch ihre Paarung mit dem Konsumismus zu einer idiotensicheren Anleitung zum Irrewerden gediehen.

Erst wird die Leistung über das mögliche Maß gesteigert, dann wird eine Energiezufuhr in Form opulenter Essen organisiert, die geruhsam mit einer kontinuierlichen Überdosis beschrieben werden kann und dann wird eine Ruhe verordnet, die nicht nur nach der gewaltigen Anspannung, sondern auch gar nicht mehr eingehalten werden kann. Der homo sapiens des digitalen Zeitalters hat es generell nicht mehr mit der kontemplativen Ruhe. Er beherrscht sie schlichtweg nicht mehr. Wenn nichts piept, blinkt oder summt, dann fühlt er sich abgetrennt vom Weltgeschehen und laboriert an einem ganz anderen Trauma.

Ja, werden viele sagen, die Kritik an dem, was hierzulande unter Weihnachten figuriert ist so alt wie das Fest selbst und die Verfälschung der Botschaft durch die wirtschaftlichen Begleitumstände einer verfleißigten Gesellschaft mussten schon immer kritisch gesehen werden. Stimmt, aber darum geht es nicht. Vielleicht sollten wir die archaischen Botschaften, die zu diesem Feste anstehen noch einmal freilegen und die religiös darüber gezogene Legende beiseite lassen. Ganz im Sinne strukturalistischer Deutung könnten wir dann zu Sichtweisen kommen, die dazu geeignet sind, positiv weiterentwickelt zu werden.

Heute ist der kürzeste Tag des Jahres, oder anders herum, es ist die längste Nacht. Die Natur hat gemäß ihrer alles in den Schatten stellenden Dominanz wie jedes Jahr unter Beweis gestellt, dass sie bestimmten Regeln folgt. Der Mensch der Moderne in seiner psychopathologischen Selbstherrlichkeit macht daraus genau das Gegenteil. Statt sich in der Nische der Nacht Gedanken über die eigene Nichtigkeit in einem viel bedeutenderem Ganzen zu machen, bläht er sich und sein Geschehen auf, als sei das Schauspiel reversibel. Ist es aber nicht, und deshalb führt der Hype vor Weihnachten auch nie zu einer wie auch immer gearteten Befriedigung. Denn trotz aller Versuche, dieses eine Mal alles in den Griff zu bekommen und zu dominieren, muss er schon im Januar wieder feststellen, dass seine Welt so profan wie vorher weiter geht.

Alles bleibt so wie es ist und der Versuch, der Natur die Macht zu entreißen entpuppt sich als Illusion. Die Geschichte mit dem Christkind, die sich der Abendländer bei diesem dreisten Unterfangen auch noch selbst erzählt, macht die Sache nur noch erbärmlicher. Der Mensch mit seinem Denken wird nunmal nicht zum Gott, da kann er machen, was er will. Was bleibt, nach dem Putsch gegen den großen Plan, das sind schlechte Blutwerte, Übergewicht und wahrscheinlich auch noch eine Beziehungskrise. Wie heroisch! Wäre es da nicht angebrachter, in Demut die Besonderheit dieser Zeit zu genießen, die langen Nächte zu nutzen, um sich mit dem Sinn des Lebens auseinanderzusetzen anstatt unter artifizieller Beleuchtung und Beschallung durch schlechte Musik grelle Pakete durch die Nacht zu schleppen, um sie Menschen vor die Füße zu werfen, denen ein Händedruck oder eine Umarmung wesentlich lieber wäre? Dem Prothesengott geht es schlecht in diesen Tagen, er starrt verstörter denn je in die lange Nacht.