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Fragen, was ist!

Es ist ja nicht so, dass das Wissen über die Art und Weise, wie man der Sache auf den Grund geht, nicht vorhanden wäre. Fragen Sie einmal die Guten, die, die sich mit Organisationen und Menschen auskennen. Die, denen es genügt, mit dem Pförtner oder einer Reinigungsfrau zu sprechen, um einen ziemlich treffsicheren Eindruck über den Zustand des zu untersuchenden Komplexes zu bekommen. Ein, zwei Fragen genügen, um zu wissen, wie das Betriebsklima ist, wie sich die Arbeitsbelastung gestaltet, wie clever der Laden organisiert und wie hoch die Identifikationsrate derer ist, die dort beschäftigt oder engagiert sind. Ließe man diese Leute, deren Profession es ist, auf diesem Gebiet gut zu sein, auf die verschiedenen Organisationen und Institutionen los und gäbe ihnen die Marschroute, schnörkellos das auf den Tisch zu bringen, was ist, dann wäre schon viel erreicht.

Da auch diese Fachleute leben müssen, unterliegen sie den Gesetzen des Marktes. Sie brauchen Aufträge, um sich und ihre Aufwände zu finanzieren. Dass aus den Chef- und Vorstandsetagen Aufträge resultierten, die radikal an der Wahrheit interessiert wären, ist  eher unwahrscheinlich. Geld, Geld fließt dann, wenn so genannte Narrative zustande kommen, die die Verhältnisse zementieren und nicht solche, die vieles in Frage stellen und radikale Änderungen empfehlen. Sich deshalb über die Branche derer, die immer wieder in Organisationen aufschlagen, lustig zu machen, ist zu kurz gegriffen. Auch sie unterliegen den Gesetzen von Macht und Geld. Wenn Sie es können, gehen Sie mit solchen Leuten einmal ein Bier trinken. Zumindest erfahren Sie dann Dinge, die in keinem Fachjournal und in keiner Zeitung stehen.

Um allerdings ganz bodenständige Fragen zu stellen, dazu braucht es kein Fachpersonal, sondern einfach nur die Courage, nach Präzision zu fragen und zu konfrontieren. In Bezug auf gesellschaftliche Kontexte war das einmal dem Journalismus zugedacht. Letzterer ist allerdings durch die Monopolisierung, die Verflechtung von Macht und Geld, dermaßen domestiziert worden, dass er nicht mehr in der Lage ist, dieses in großem Umfang zu leisten. Ein Kabarettist, übrigens die letzte Spezies, von der, trotz einer auch dort immer mehr um sich greifenden mentalen Verelendung, noch ab und zu eine Enthüllung oder Erhellung zu erwarten ist, brachte es auf den Punkt: Wenn eine Frage nicht beantwortet wird, dieses noch einmal zusammenzufassen und das Interview dann abzubrechen. So einfach ist es. Und so schnell wäre allerdings auch die Karriere beendet.

Der Widerspruch, das Verlangen nach Konkretisierung, die Aufforderung, zu priorisieren, das Nachhaken, die Aufforderung, Adressaten zu benennen und der Hinweis auf weitreichende Konsequenzen sind das Besteck, um der Sache auf den Grund zu gehen. Nichts von dem ist in den renommierten Journalen noch zu finden. Man gefällt sich darin, Märchen, Mythen und Mystifikationen von einander abzuschreiben oder mit überzeugter oder betroffener Miene vor Kameras und Mikrophonen in den Äther zu hauchen. Was bleibt, ist ein Nebel, der den Eindruck vermittelt, dass er sich nie wieder auflösen wird.

Ein gutes Hausmittel gegen die Verwahrlosung der Instrumente, die den Weg zu etwas weisen könnten, was den Anspruch von Wahrheit vermittelt, ist sich selbst auf den Weg zu machen und direkt und ohne Umschweife alles zu fragen, was einem auf den Nägeln brennt. Und die Adressaten so lange zu quälen, bis sie mit der Wahrheit herausrücken oder sich durch Flucht blamieren.  

Fragen, was ist!

WM: Von Mythen und Mustern

Ohne Mythen lebt sich schlecht. Wenn das jemand weiß, dann die Deutschen. Nicht nur, dass sie sich zu jeder Herausforderung ihres Schicksals Mythen schufen, um besser mit dem Unabweichlichen umgehen zu können. Nein, sie lagen zumeist mit den Mythen so daneben, dass sie ein zweites Mal zum Opfer wurden. Diesmal das des eigens geschaffenen Mythos. Das war so mit der Dolchstoßlegende, das war so mit der Schlacht von Tannenberg und das war so mit dem russischen Winter. Der einzige Mythos, der richtig trifft, ist der um Siegfried, aber dessen Dechiffrierung tut so weh, dass ihn niemand mehr wissen will oder gar kennt.

Geblieben ist jedoch der Gestus. Kein Geschehnis ohne Mythos. Auch die WM in Brasilien hat die deutschen Mythensucher schon auf den Plan gerufen und der erste war schon geschaffen, bevor das Turnier begonnen hatte. Das schlimme Klima da drüben in den Tropenwäldern, das wird der größte Gegner sein, so hieß es. Selbst anderweitige Richtigstellungen aus berufenem Munde wie dem einstigen Fußball-Topmanager Rainer Calmund gehen unter in dem Geheule über die unmenschlichen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit, beides Bedingungen, die nur den Latinos in die Hände beziehungsweise Füße spielen würden.

Der stellte nämlich schon vor der WM klar, dass in Südamerika momentan Winter herrscht und in Ländern wie Argentinien oder Chile Temperaturen die Runde machten, die unter denen des europäischen Sommers liegen. Was bleibt ist die Luftfeuchtigkeit, unter der wahrscheinlich alle gleich leiden. Bei dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Ghana kam dann noch der stumpfe Rasen hinzu, der Supertechnikern wie Philip Lahm das Leben so schwer gemacht hatte, dass der gleich den Gegner mit Vorlagen zum eigenen Rückstand bediente. Je mehr der Bestand der deutschen Mannschaft im Turnier gefährdet ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, das noch Mythen hinzukommen, die das eigene Misslingen zu erklären suchen. Erwachsen ist das nicht.

Wiederum im Kontext zum Ghana-Spiel ließ sich eine mediale Rezeption beobachten, die zumindest eine intendierte Darstellung eines Prototypen gelungener Integration beinhaltet: Die Berichterstattung um die ungleichen Brüder Jerome und Kevin Prince Boateng. Kaum ein Medium, das im Vorfeld das heikle Duell der Immigrantenbrüder aus dem Berliner Wedding nicht aufgegriffen hätte. Und wie mit einem unsichtbaren Drehbuch arrangiert, hatten sie alle den gleichen Tenor. Auf der einen Seite der liebe Jerome, der immer artig war, sich assimilierte und dann beim vermeintlichen Musterverein Bayern München landete und nun für Deutschland spielt und auf der anderen Seite der Bad Boy Kevin Prince, der Weltenbummler und Ballack-Zerstörer, der es immer wieder krachen lässt, in England und Italien wichtige Jahre vergammelte, jetzt beim Proletenklub Schalke 04 seine lästerlichen Runden dreht und zudem undankbarerweise für Ghana spielt..

Einmal abgesehen davon, das anzuzweifeln ist, ob die tatsächlichen Biographien der beiden, die sich jenseits der Sport Publicity abspielten, mit dieser Schwarz-Weiß-Zeichnung tatsächlich harmonieren, offenbaren sie dennoch eine verräterische Intention. Sie dokumentieren, dass unter Integration in Wahrheit Assimilation verstanden wird. Da schwebt das Theorem des Inzest an ganz prominenter Stelle über den Arenen, obwohl dort unten in den feuchten Kesseln genau das Gegenteil bezeugt wird. Der Gewinn von Integration ist die Erweiterung der eigenen Kultur um das Andere, Neue, und nicht die Anpassung das Anderen an das Vorhandene. So ist auch die WM voller Mythen und stark geprägt von Politik.