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Das dominante Muster

Seitdem die Globalisierung jeder Einzelexistenz spürbar auf die Pelle gerückt ist, reißen die Diskussionen nicht ab. Es geht um Identitäten und Identitätsverlust. Es geht um Ethnien und Religionen, um sexuelle Orientierung und Ernährungsweisen. Die angeführten Begründungszusammenhänge werden immer absurder, es scheint, als sei die Definition von Identität etwas Willkürliches geworden und es scheint, dass die Zugehörigkeit zu sozialen Kohorten, die sich eindeutig bestimmen lassen, nahezu unmöglich geworden ist, sieht man einmal ab von Arm und Reich, das ist weltweit so deutlich wie nie und spricht ebenfalls Bände. Doch die Diversität eines individuellen Musters, auf das die bürgerliche Gesellschaft so großen Wert legt, sorgt eher für Diffusion. Beispiele wie Bier trinkende und Schnitzel essende Muslime, nationalistisch orientierte Homosexuelle oder den Krieg befürwortende Veganer begegnen uns täglich und es gehört manchmal eine große Contenance dazu, mit dieser schönen bunten Welt entsprechend seriös umgehen zu können.

Die Tatsache, dass eine Vielfalt existiert, die es in früheren Stadien unserer Gesellschaft auch schon gab, die sich aber verstecken musste aus Angst vor der Sanktion, die aber viele Klischees aufbricht, sorgt für die Konfusion. Gerade diejenigen Mitglieder der Gesellschaft, die sich so sehr und so erfolgreich gegen das Klischee gewehrt haben, klagen heute oft darüber, dass diese Klischees so nicht mehr existieren. Das Ergebnis ist die beschriebene Existenzkrise. Es klingt absurd, aber es scheint den chronischen Widerspruch von Schein und Sein zu treffen. Der Kampf gegen die Klischees führt zu ihrer sukzessiven Auflösung. Die dadurch tatsächlich seltener werdende Existenz des realen Klischees führt zu einer Identitätskrise aller und der Suche nach neuen Klischees. Und die entstehen zuverlässig, wie zu beobachten ist.

Interessant in diesem Prozess ist vor allem die tatsächliche Funktion nationalstaatlicher Identitäten, die immer sehr hoch bewertet wurden, aber in der tatsächlichen Existenz vielleicht gar keine so große Rolle spielen. Einmal abgesehen von Sprache und den damit verbundenen Denkstrukturen und der geographischen Markierung ist bei der beklagten Durchmischung zwar die Ära einer einheitlichen Religion, einer gemeinsamen Vorstellung von Familie oder eines Konsenses über den Stellenwert der Nation dahin, aber es existieren andere, den Alltag bestimmende Muster, in die sich auch die neuen Bürgerinnen und Bürger blendend einfügen und die die vitale Stärke einer nationalen Identität ausmachen. Sie stehen in keinem Gesetzestext und sie sind nirgendwo kodifiziert, aber sie machen das Wesen einer sozialen Assoziation, die wir noch Nation, nennen, sehr deutlich.

Andere Nationen mögen die Frage für sich beantworten, auch wenn es spannend ist, zu vergleichen. Aber ist, um im deutschen Kontext zu bleiben, nicht das kohäsive Muster hierzulande die Organisation? Sie ist das Muster, in dem gedacht wird. Wie sind Prozesse zu organisieren, wer findet sich wo innerhalb der Organisation, was ist der Zweck und wo liegt der Nutzen von Organisation? Und, die wohl wichtigste und jeden Volkssport toppende Frage, welches ist die beste Organisation im Vergleich mit anderen Varianten?

Das war so, das ist so, und es sieht so aus, als sein es auch das Muster für die Zukunft, das selbst von der Globalisierungsvielfalt nicht eliminiert werden kann. Und es ist dieses Muster, das eine große Attraktivität besitzt, die weit größer ist als das Versprechen auf Schweinsbraten und Weißbier, Wacholderschnaps oder Labskaus. Wir sollten uns, mit erkenntnisleitenden Motiven, mehr der Frage der Organisation und ihrer möglichen integrierenden Kraft beschäftigen, als weiterhin in den Sackgassen von Ethnie und Religion herumzulaufen.

WM: Von Mythen und Mustern

Ohne Mythen lebt sich schlecht. Wenn das jemand weiß, dann die Deutschen. Nicht nur, dass sie sich zu jeder Herausforderung ihres Schicksals Mythen schufen, um besser mit dem Unabweichlichen umgehen zu können. Nein, sie lagen zumeist mit den Mythen so daneben, dass sie ein zweites Mal zum Opfer wurden. Diesmal das des eigens geschaffenen Mythos. Das war so mit der Dolchstoßlegende, das war so mit der Schlacht von Tannenberg und das war so mit dem russischen Winter. Der einzige Mythos, der richtig trifft, ist der um Siegfried, aber dessen Dechiffrierung tut so weh, dass ihn niemand mehr wissen will oder gar kennt.

Geblieben ist jedoch der Gestus. Kein Geschehnis ohne Mythos. Auch die WM in Brasilien hat die deutschen Mythensucher schon auf den Plan gerufen und der erste war schon geschaffen, bevor das Turnier begonnen hatte. Das schlimme Klima da drüben in den Tropenwäldern, das wird der größte Gegner sein, so hieß es. Selbst anderweitige Richtigstellungen aus berufenem Munde wie dem einstigen Fußball-Topmanager Rainer Calmund gehen unter in dem Geheule über die unmenschlichen Temperaturen und die hohe Luftfeuchtigkeit, beides Bedingungen, die nur den Latinos in die Hände beziehungsweise Füße spielen würden.

Der stellte nämlich schon vor der WM klar, dass in Südamerika momentan Winter herrscht und in Ländern wie Argentinien oder Chile Temperaturen die Runde machten, die unter denen des europäischen Sommers liegen. Was bleibt ist die Luftfeuchtigkeit, unter der wahrscheinlich alle gleich leiden. Bei dem Spiel der deutschen Mannschaft gegen Ghana kam dann noch der stumpfe Rasen hinzu, der Supertechnikern wie Philip Lahm das Leben so schwer gemacht hatte, dass der gleich den Gegner mit Vorlagen zum eigenen Rückstand bediente. Je mehr der Bestand der deutschen Mannschaft im Turnier gefährdet ist, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, das noch Mythen hinzukommen, die das eigene Misslingen zu erklären suchen. Erwachsen ist das nicht.

Wiederum im Kontext zum Ghana-Spiel ließ sich eine mediale Rezeption beobachten, die zumindest eine intendierte Darstellung eines Prototypen gelungener Integration beinhaltet: Die Berichterstattung um die ungleichen Brüder Jerome und Kevin Prince Boateng. Kaum ein Medium, das im Vorfeld das heikle Duell der Immigrantenbrüder aus dem Berliner Wedding nicht aufgegriffen hätte. Und wie mit einem unsichtbaren Drehbuch arrangiert, hatten sie alle den gleichen Tenor. Auf der einen Seite der liebe Jerome, der immer artig war, sich assimilierte und dann beim vermeintlichen Musterverein Bayern München landete und nun für Deutschland spielt und auf der anderen Seite der Bad Boy Kevin Prince, der Weltenbummler und Ballack-Zerstörer, der es immer wieder krachen lässt, in England und Italien wichtige Jahre vergammelte, jetzt beim Proletenklub Schalke 04 seine lästerlichen Runden dreht und zudem undankbarerweise für Ghana spielt..

Einmal abgesehen davon, das anzuzweifeln ist, ob die tatsächlichen Biographien der beiden, die sich jenseits der Sport Publicity abspielten, mit dieser Schwarz-Weiß-Zeichnung tatsächlich harmonieren, offenbaren sie dennoch eine verräterische Intention. Sie dokumentieren, dass unter Integration in Wahrheit Assimilation verstanden wird. Da schwebt das Theorem des Inzest an ganz prominenter Stelle über den Arenen, obwohl dort unten in den feuchten Kesseln genau das Gegenteil bezeugt wird. Der Gewinn von Integration ist die Erweiterung der eigenen Kultur um das Andere, Neue, und nicht die Anpassung das Anderen an das Vorhandene. So ist auch die WM voller Mythen und stark geprägt von Politik.