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Schlimmer als der Kalte Krieg

Um gleich eine Einschätzung abzugeben: Die Münchner Sicherheitskonferenz wird nicht dazu beitragen, die Sicherheit in der Welt zu erhöhen. Es stellt sich die Frage, warum sich die Eliten aus Ost und West dort überhaupt treffen, wenn sie sich sicher sind, dass die Konfrontation immer größer wird. Das, was dort zum Teil abgeliefert wurde, ist schlimmer als der Kalte Krieg. Der hatte unter dem Szenario der gegenseitigen atomaren Bedrohung noch keinen Vorgänger. Und so war vieles der Umgang von Novizen mit der suizidalen Bedrohung. Diejenigen, die sich heute dort treffen, wissen sowohl um die Zerstörungspotenziale wie um ihre Grenzen. Und sie wissen, wie man Weltkriege auf Sparflamme hält, wie seit sieben Jahren in Syrien. Mit Verlaub, was dort in München ans Pult geht, hat bis auf wenige Ausnahmen nichts als Impertinenz, Zynismus und intellektuelle Einschränkung zu bieten.

Da blitzte gleich zu Beginn der ganze Charme der gegenwärtigen deutschen Verteidigungsministerin auf, die politisch nichts, aber auch gar nichts hinterfragte, dafür aber die Aufrüstung pries. Das war ihr einziges Anliegen und damit zeigte sie, dass sie für Kriege zu gebrauchen ist, für die Verteidigung und den Frieden jedoch nicht. Und sie bewies, dass sie weder Scham noch Hemmungen kennt, aber wer vermisst das schon?

Ihr Pendant, der Noch-Außenminister, trat eher als ein Mahner auf. Mit dem Satz, dass es keine Beispiele in der Geschichte dafür gebe, dass sich Feinde so mir nichts dir nichts in Partner verwandeln, griff er auf die Rhetorik von Sozialdemokraten zurück, die einst dem Kalten Krieg ein Ende bereiten konnten. In diesem Kontext empfahl er den Abbau gegenseitiger Sanktionen als ersten Schritt. Leider verzichtete er darauf, die Falken, die die Mehrheit des Münchner Publikums ausmachen, direkt zu adressieren.

Die mit Abstand abgeschmackteste Vorstellung lieferte allerdings der ehemalige Obama-Vize Joe Biden. Mit seinem Auftritt zeigte er, wie verkommen die demokratische Nomenklatura der USA immer noch ist und dass es jenseits des Atlantiks immer noch gute Gründe gibt, diese nicht zu wählen, auch wenn die Alternative zum Himmel stinkt. Biden attackierte in Kalter-Kriegs-Manier Russland und machte es für die allgemeine Verschlechterung des Verhältnisses zwischen Ost und West verantwortlich. So hört sich protestantische Bigotterie auf dem höchsten Niveau an. Bei der Destabilisierung der Ukraine war sowohl Joe Biden als auch sein Sohn kräftig dabei. Und der Filius war bereits im Vorstand einer amerikanischen Fracking-Firma, die in der Ost-Ukraine aktiv werden wollte.

Dass der US-Sicherheitsberater McMaster vor Revisionismus warnte, mutet in dem Gesamtkontext an wie die Eröffnung der Kabarett-Saison. Bis heute hat es das gesamte westliche Verteidigungskonglomerat nicht geschafft, die eigene Geschichte der NATO-Osterweiterung kritisch zu evaluieren und in Beziehung zu den Zusicherungen zu setzen, die der Westen Russland zu Beginn der neunziger Jahre des letzten Jahrhunderts gegeben hat. Die US-Strategie war schlichtweg falsch für Europa. Und die Eigenständigkeit Europas wird erst an dem Tag beginnen, an dem europäische Politiker den Vertretern der kriegstreibenden USA laut und deutlich ins Gesicht sagen, dass ihre Interessen anders liegen. Solange sie wie Chiwawas auf deren Schoß sitzen, kann das nichts werden. Von der zukünftigen Bundesregierung ist in dieser Richtung auch nichts zu erwarten, die Kanzlerin im Amt fuhr erst gar nicht nach München.

Doch die Zeit drängt, die Zeit des systematischen Drückens muss endlich vorbei sein.

München: Ein Beitrag zur kriegerischen Mobilmachung

Das Phänomen ist bekannt und weit verbreitet. Sigmund Freud gab ihm den Namen Projektion. Dabei handelt es sich um ein Muster, das wie folgt funktioniert: eine Person hat einen bestimmten Plan,einen Wunsch oder eine bestimmte Ansicht, bezichtigt aber eine andere Person genau dieses vorzuhaben, zu hegen oder zu vertreten, weil sie sich selbst nicht traut, es zuzugeben. In der politischen Diplomatie unserer Tage handelt es sich längst nicht mehr um Hemmungen innerhalb einer vorhandenen Psychostruktur, sondern um ganz bewusst eingesetztes Besteck, um seine eigenen Absichten zu verbergen und in der öffentlichen Kommunikation Verwirrung zu stiften. Zum Teil, wenn es ganz perfide werden soll, wird dieses Spiel dann noch mit vertauschten Rollen gespielt.

Die jüngste Münchner Sicherheitskonferenz hätte unter diesem Aspekt sicherlich auch eine wunderbare Folie für Untersuchungen der psychoanalytischen Gesellschaften abgegeben. Sie hätten sich mit der Frage beschäftigen können, wie viele Projektionen und Fehlhandlungen aus dem Portfolio Freudscher Diagnostik mittlerweile Eingang gefunden haben in die internationale Politik. Und es ist an der Zeit, dass sich viele Berufsgruppen in den immer pathologischer werdenden Diskurs um die politische Zukunft einmischen, es kann nur eine Bereicherung sein!

Der Vertreter Polens übrigens begann mit der Projektion. Er sprach von einem Generalangriff Russlands auf die freien osteuropäischen Gesellschaften. Wen er damit außer Polen meinte, ob die Ukraine oder Ungarn, er ließ es offen. Nur die Drohung gegen Russland blieb, notfalls von polnischem Territorium aus Russland anzugreifen. In dieses Horn stieß auch NATO-Sprecher Stoltenberg, der nach dem gleichen pathologischen Grundmuster Russland davor warnte, Nuklearwaffen in konventionellen Konflikten einzusetzen, denn die NATO sei in der Lage von den Anrainerstaaten Russlands aus das Gleiche zu tun. Da war die Katze dann wohl aus dem Sack und Freud hätte wahrscheinlich an seiner Zigarre gesaugt und geschmunzelt. Wenn es nicht darum ginge, dass momentan irrsinnige Kriegstreiber dabei sind, Europa auf Kurs zu bringen, könnte tatsächlich das Amüsement dominieren, aber dem ist nicht so.

Denn in der Syrien-Frage kam nun der immer unberechenbarer werdende türkische Großmachtphilosoph Erdogan auf die Idee, zusammen mit saudischen Bodentruppen direkt in Syrien einzumarschieren. Dass auf dieser Konferenz zu München niemand von unseren eigenen lupenreinen Demokraten kräftig auf den Tisch gehauen hat, zeigt, dass schon der Kuckuck droht. Die immer wieder in die Diskussion geworfene moralische Verpflichtung, den gegenwärtigen Präsidenten Assad zu stürzen, weil er so unverantwortlich mit der syrischen Bevölkerung umgehe, gewinnt ungeheure Glaubwürdigkeit mit diesen beiden sunnitischen Scharfmachern. Während Erdogan die kurdische Zivilbevölkerung im eigenen Land bombardieren lässt wurden 2015 in Saudi Arabien mehr Menschen hingerichtet als vom verteufelten IS.

Dass die russischen Vertreter, allen voran Medwedew, davon sprachen, sich in einem neuen kalten Krieg zu fühlen, wurde in den hiesigen Medien wie eine befremdliche, nicht nachvollziehbare Gefühlsregung kolportiert. Die Art und Weise, wie die Kommunikation der Aussage gestaltet wurde, ist wiederum eine Angelegenheit für den Bereich der Diagnostik, mit dem Ergebnis, dass von kritischer Berichterstattung keine Regung mehr zu spüren ist. Denn wenn man der russischen Delegation etwas vorwerfen könnte, dann ist es die Verharmlosung. Die beschriebenen Konflikte wie die destruktiven Potenziale haben alles, und noch viel mehr, um von einem bereits begonnen heißen Krieg zu sprechen. Diejenigen, die die Münchner Konferenz durchführen, haben allerdings gezeigt, dass sie und ihr Handeln als eine der wesentlichen Kriegsursachen selbst gesehen werden muss. Die Münchner Konferenz hat zum Frieden nichts beigetragen. Zur kriegerischen Mobilmachung eine ganze Menge.

Hasard am Tisch der Sicherheit

Die Münchner Sicherheitskonferenz hat eine lange Tradition. Sie stammt aus Zeiten, als man befürchten musste, dass überall auf der Welt ein Funken hätte reichen können, um einen globalen Brand zu entfachen. Es war die Phase, als sich zwei unangefochtene Supermächte gegenüber standen und eine bipolare Welt nicht nur Gefahr, sondern auch eine große Übersichtlichkeit schuf. Mit der Bewegung der Blockfreien, in der Länder wie China und Indien, aber auch wie Jugoslawien präsent waren, wurde die Situation erstmals aufgebrochen und heute, nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion vor einem Vierteljahrhundert, wird die Welt neu geordnet. Die USA reklamieren die globale Herrschaft, wogegen sich immer mehr von den USA so genannte Regionalmächte wehren, weil sie gelernt haben, ihre eigenen Interessen zu identifizieren.

Die ehemalige Sowjetunion, einst Hauptkonkurrent der USA, verlor beträchtliche Anteile an Land und Bevölkerung. Die Abtrennung ehemals föderierter Republiken und ihre Deklaration als souveräne Staaten war eine logische Folge nach Jahrzehnten der Bevormundung. Ihre Hinwendung zum Westen vielleicht ebenso. Ihre nahezu komplette, in unterschiedlichen Formen vollzogene Assoziierung mit der NATO, dem Militärbündnis des Westens unter Führung der USA, hat dazu geführt, dass das nach den ruinösen Jahren einer libertäten Wirtschaftspolitik unter Jelzin und des IWF wieder erstarkte Russland darin eine Form der Einkreisung sah, die nichts Gutes verhieß.

Die Ukraine bedeutete für eine derartige Analyse den casus belli. Während Russland zum ersten Mal Njet sagte, expandierte die NATO mit schwerem Geschütz bis vor dessen Haustür. Die Doktrin von der Sicherheitslinie, die vom Baltikum bis zu Georgien am Schwarzen Meer reicht, ist nahezu zu einer realen Existenz geworden. So trennt die NATO militärisch Russland vom Rest Europas. Mehr Bedrohung lässt sich nicht inszenieren. Während Russland darauf reagiert hat, liegt die Europäische Union, die von Anfang an den Einkreisungsprozess eskortiert hat, derweilen mit eigenen Problemen auf Kniehöhe.

Nichtsdestotrotz ist der Auftritt der Bundesverteidigungsministerin beachtlich. Sie macht nicht nur für die Ukraine, sondern auch für die Syrien-Krise immer wieder Russland verantwortlich. In Syrien geht es um Öl und den damit assoziierten Konflikt zwischen Saudi Arabien und dem Iran, und natürlich, wie immer, um die Interessen der USA. In einem solchen Kontext eine Brandrede gegen Russland zu halten, das verantwortlich für das Elend in Syrien sei, ist abenteuerlich. Die Einschätzung des Generals a.d., Harald Kujat, die Möglichkeit eines Waffenstillstandes sei einzig und allein auf die Intervention Russlands zurückzuführen, steht dem diametral entgegen.

Wie schon so oft in der Vergangenheit lässt sich aus den bisherigen Statements in München eine Auseinandersetzung innerhalb des westlichen Lagers vermuten, die zum einen eine Deeskalation mit Russland zum Ziel hat und eine andere der Befeuerung des Unüberbrückbaren. Das Lager ist gespalten und die deutschen Vertreter ebenso, bis in die Regierung. Während von der Leyen immer wieder auf den Eskalationsknopf drückt, versucht Steinmeier ein Rest an diplomatischer Friedensarchitektur zu retten, allerdings, während Gabriel weitere Waffenlieferungen genehmigt. Das sieht eher nach einem gewissen Chaos als nach einer fein abgestimmten und spitzfindigen Rollenverteilung aus.

Abgesehen von den deutschen Irrläufern in diesem Prozess wird deutlich, dass die USA den Konflikt nutzen wollen, um Russland wieder zu schwächen. Angesichts der momentanen Konstellationen ist das allerdings nicht so einfach möglich. Es sei denn, man schickte saudische Truppen direkt nach Syrien, dann ist eine Kettenreaktion gewiss. Wer über so etwas räsoniert, der will mehr als einen Regionalkrieg.