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Kriegsrat in München

Nichts verdeutlicht mehr das Auseinanderklaffen zwischen dargestellter Welt und den real existierenden Konstellationen in der Welt wie die unter dem Vorsitz eines beträchtlich schlingernden Mannes stattfindende Münchner Sicherheitskonferenz. Es beginnt bereits mit dem Namen: Es handelt sich um das Treffen der Staaten, für die Russland und das ferne China als Feinde feststehen und es geht nicht um Sicherheit, sondern um Krieg. Die, die dort versammelt sind, favorisieren die militärische Lösung eines Konflikts, der im Westen, genauer gesagt in den USA designed und administriert worden ist. Russland, das Heartland auf dem eurasischen Kontinent, sollte durch die gewaltsame Trennung von der Ukraine entbeint und als europäische Macht entseelt werden. Dazu wurden Milliarden Dollars an Bestechung für bestimmte Oligarchen locker gemacht und mächtig Kriegsgerät an die russische Grenze geschleppt. In Lettland, in Estland, in Litauen, in Polen, in Rumänien. Alles, soviel stand immer fest, um die Freiheit der in diesen Ländern lebenden Völker zu verteidigen, versteht sich.

Dass Russland dieses Unterfangen, was unter dem Namen der NATO-Osterweiterung bekannt wurde, als Bedrohung aufgenommen hat, ist aufgrund der eigenen leidvollen Geschichte und aufgrund einer schlichten geographischen Perspektive einfach nachzuvollziehen. Und dass gerade eben, während der Kriegsrat in München tagt, ein Dokument entdeckt wurde, das die Zusagen des westlichen Bündnisses nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion an die russische Adresse bestätigt, die NATO nicht nach Osten zu erweitern, dokumentiert den Zustand der Öffentlichkeit in der reklamierten offenen Gesellschaft. Wer 1990/91 nicht in einem Siegesrauschdauerzustand war, hat das natürlich gewusst. Von etwas anderem war damals nie die Rede.

Aber was interessiert eigentlich ein Bündnis, in dem die bewusste Irreführung der eigenen Bevölkerungen zum Regelfall geworden ist, was als historisch verbrieft gilt? Wie formulierte es kürzlich noch einer der dort Versammelten? Ihn interessiere nicht, was vor 200 Jahren einmal gewesen ist? Wer sich mit einem derartigen Bewusstsein in einen Boxkampf begibt, ist sicherlich gut aufgestellt. Wer sich damit in die internationale Politik begibt, will die Regeln der Diplomatie durch die des Boxkampfes ersetzen. Und wer das goutiert, sollte sehr gut einstecken können und niemals über Schmerzen klagen!

Die bisher einzig abweichende Stimme im Münchner Kriegsgeheul war die des Bundeskanzlers. Alle anderen, von der Außenministerin, die wieder einmal wirkte wie eine überforderte Komparse,  bis hin zu der EU-Kommissionspräsidentin, die die komplette EU in die Hände der US-Fracking-Lobby treiben will, von der überschätzen US-Vizepräsidentin, die aus dem Märchenbuch der CIA vorlas bis hin zur Cheer Group der Atlantiker trugen sie nicht mit einem Wort zu einer möglichen friedlichen Lösung bei. Ihr Auftrag endet mit der Drohung. 

Angesichts der sich im Lager der NATO offenbarenden Konstellation scheinen der Bundeskanzler und der französische Präsident Macron die einzigen zu sein, die ernsthaft auf Diplomatie setzen. Alle anderen scheinen sich mit einer Schachfigurenexistenz auf dem Brett des Imperiums arrangiert zu haben. Vor allem Olaf Scholz lebt im Moment sehr gefährlich, wenn er an seinem Kurs festhält. Es bleibt abzuwarten, was jenseits einer Presse, die fest in der Hand der Atlantiker ist, noch alles mobilisiert wird, um die Stimme der Diplomatie zu diskreditieren. 

Es bleibt aber auch abzuwarten, was sich im Herzen des Imperiums abspielen wird. In der Regel sind dort auch Kräfte am Werk, die jenseits der Geld- und Machgier noch einen anderen Blickwinkel besitzen. Denn die sehen sehr deutlich, dass eine Auseinandersetzung mit Russland quasi als Kettenreaktion einen militärischen Konflikt mit China in der Taiwanfrage nach sich zöge. Deshalb, das sehen auch die einäugigen Kriegstreiber, wäre es ideal, wenn sich exklusiv die West- und Zentraleuropäer mit Russland herumschlügen. In München wird für dieses Konzept geworben, und dort treiben sich viele herum, die allzu gerne in die Falle springen.

München: Architekten ohne Architektur

Nun haben sie sich wieder getroffen, wenn auch nur virtuell. Auf der als Münchner Sicherheitskonferenz titulierten Veranstaltung, die immer die Aura einer internationalen Institution verströmt, aber bei der es sich bei genauerem Hinsehen um eine private Veranstaltung handelt. Aber das nur als Randbemerkung. Das, was in diesem Jahr besonders war, kann als ein hoch bejubeltes Reset bezeichnet werden. Die große Sorge Deutschlands und der EU, die seit dem Amtsantritt Donald Trumps 2016 darin bestanden hatte, dass die alte Front des Westens, vornehmlich gegen Russland, bröckelt, ist Geschichte. Mit souveränem Strahlen verkündete der neue Präsident Joe Biden: America is back! Das erlöste vor allem die deutschen Vertreter, denn schließlich waren und sind es die USA, die nach wie vor militärisch das Potenzial haben, um das Weltgeschehen zu dominieren. 

Laut Stockholm International Peace Institut (SIPRI) führen die USA mit jährlichen Militärausgaben von 792 Milliarden Dollar einsam in der Tabelle, gefolgt von China mit 261. Ist man durch die hiesige Lektüre informiert, erstaunen die Zahlen schon, denn der drittgrößte Investor in Kriegsmaterial ist Indien mit 71,1 und erst dann Russland mit 65,1. Frankreich (50,1), Deutschland (49,3) und Großbritannien (48,7) liegen dahinter, markieren allerdings als Westeuropäer alleine mehr als das Doppelte der russischen Ausgaben. Das Zahlenwerk, nüchtern betrachtet, vermittelt einen anderen Eindruck als den, den die hiesige Berichterstattung permanent zu vermitteln sucht. Orientierte man sich an dem und dem Tenor auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dann müsste Russland die Tabelle anführen, gefolgt von China, die USA wären die einzigen, die annähernd an die gewaltige Macht herankämen und die westlich orientierten Europäer hätten nahezu nichts zu bieten. 

Die Realität sieht anders aus und allein das illustriert, wer hier wessen Interessen protegiert. Analysen dazu liegen seit langem vor, es geht den USA um die Heartland-Dokrin, nach der Weltherrschaft nur durch die ressourcenreiche russische Landmasse zu erlangen und zu halten ist, es geht um gute Geschäfte der Waffenlobbies und es geht und andere Aspekte der Geostrategie. Dass die mittlerweile offen als Feinde eingestuften Kontrahenten Russland und China ebenfalls ihre Interessen, auch mit militärischer Gewalt, durchzusetzen bereit sind, sollte bei aller Kritik nicht außer Acht gelassen werden. Da stehen sich Vertreter einer Politikauffassung gegenüber, die das Scherzen und den Small Talk lange hinter sich gelassen haben. 

Was jedoch, um noch einmal auf das Münchner Mobilmachungsszenario zurückzukommen, angesichts der global existierenden Herausforderungen einfach nur Betrübnis verursacht, ist das Abfeiern zur Rückkehr eines antiquierten Konfrontationskurses, der bei Betrachtung der angeführten Zahlen einmal fälschlicherweise als Wettrüsten bezeichnet wurde. Nichts dazugelernt, aber auch nicht beabsichtigt. Sollte man das, was sich dort abspielt, beurteilen und nimmt man einmal alte Grundsätze der Diplomatie zur Hilfe, so hat das in München versammelte Ensemble kein Konzept für eine mit ihrer Beteiligung herzustellende Sicherheit entwickelt, es sei denn, man verstünde unter einer steten Militarisierung der Welt sei das Ziel erreicht.

Angesichts der Pandemie, angesichts der klimatischen Veränderungen, angesichts wachsender Ressourcenknappheit bei Beibehaltung der tradierten Produktionsmethoden, angesichts des weiteren Steigens der Weltbevölkerungszahl stünden eigentlich andere Themen auf der Tagesordnung einer Konferenz, die sich mit Sicherheit befasst. Und vielleicht vermittelten diese Themen auch die Möglichkeit, trotz unterschiedlicher politischer System zu Offerten der Kooperation zu kommen, was wiederum das Interesse an der Deeskalation von Konflikten zur Folge haben könnte. Außenpolitik und internationales Agieren erfordert eine Architektur. In München trafen sich einmal wieder Architekten, die mit einer derartigen Architektur nichts am Hut haben.

Die Lage spitzt sich zu

Die Münchner Sicherheitskonferenz ist, seitdem sie 1963 ins Leben gerufen wurde, in erster Linie eine Gelegenheit, sich seitens dessen, was sich heute noch das westliche Bündnis nennt, über die Gegensätze Strategie und Taktik zu vergewissern. Dennoch waren immer auch, selbstverständlich neben der Rüstungsindustrie, die Vertreterinnen und Vertreter der Mächte geladen, gegen die man eigentlich agieren wollte. Quasi als Vergewisserung, wie weit man gehen konnte oder welche taktischen Zwischenschritte notwendig waren. Seit der Inauguration Präsident Trumps in den USA hat sich jedoch vieles verändert. Die alte Rollenverteilung ist in Frage gestellt.

Vorbei die Zeit, als sich die USA als Schutzmacht für das fleißige Deutschland verstanden, das ohne eigene nennenswerte Streitkräfte seine Produktivkräfte entwickeln und die Weltmärkte versorgen konnte. Ähnliches trifft übrigens auf das Verhältnis zwischen den USA und Japan zu. Seit der Weltfinanzkrise 2008, die zum Ausdruck brachte, wie sehr sich die USA verzockt hatten, stehen die Werkstätten zweier Industriegiganten ohne den alten Schutzpatron da, der nicht mehr die Mittel hat, mit seinem Militär weltweit die Kapitalverwertung abzusichern und gleichzeitig noch genügend Wohlstand für die eigene Gesellschaft zu produzieren. Jetzt geht es ans Eingemachte! Also ab in den Keller und die Regale gestürmt!

Auf der Münchner Sicherheitskonferenz dieser Tage kamen also nicht die großen Widersprüche zwischen unterschiedlichen Zivilisationen auf den Tisch, sondern die Differenzen zwischen den alten Vasallen und dem ehemaligen Schutzpatron. Wenn es soweit kommt, wird es meistens schmutzig. Und das war es tatsächlich.

Während die Verteidigungsministerin der Bundesrepublik Deutschland in schnarrendem Ton die Kriegslinien des alten Meisters repetierte und gleichzeitig auf Knien winselnd beteuerte, alles tun zu wollen, was der Herr von ihr verlange, moderierte der Außenminister des gleichen Landes etwas Unüberbrückbares. Er verwies auf die Treue gegenüber der alten Schutzmacht bei der jüngsten Verletzung des Völkerrechts im Falle Venezuelas, bat aber im Gegenzug darum, doch trotzdem den Dialog mit Russland nicht zu beenden. Dass das erste Verhalten das gewünschte zweite ausschloss, weil die Glaubwürdigkeit dahin ist, fiel ihm nicht so auf, oder es bedrückte ihn nicht.

Die Kanzlerin dagegen unternahm den Versuch, für das alte, im Westen längst begrabene Konzept der Diplomatie zu werben. Vehement sprach sie sich – und diese Freiheit ist wahrscheinlich nur das Privileg derer, die ihren Abschied bekannt gegeben haben – dafür aus, alle Mächte an einen Tisch zu holen und sich in die Interessenlage aller Seiten hineinzuversetzen. Im Falle Russlands wäre das in den letzten 25 Jahren ganz hilfreich gewesen, doch darauf ging sie nicht ein. 

Die Antwort des Vertreters der USA war eindeutig. Das Imperium duldet nur einen Plan, und das ist der eigene. By the way drohte er noch, die Sicherheit einzelner Mitgliedssaaten der NATO könne nicht mehr garantiert werden, wenn sich diese in eine einseitige Abhängigkeit vom Osten begäben. Konkret hieß das an die Adresse Deutschlands: Versenkt die Pipeline North Stream II, die russisches Gas durch die Ostsee nach Deutschland transportieren soll im Meer und kauft amerikanisches, gefracktes Flüssiggas. Gleichzeitig lobte er Macron, der innerhalb der EU gegen das Projekt mobilisiert hatte. Trabanten haben zu folgen und das jüngste, so gelobte Aachener Vertragswerk zwischen Frankreich und Deutschland hat sich bereits als Makulatur erwiesen. Was  wiederum davon bleiben dürfte, sind gemeinsame Rüstungsprojekte und der völkerverständigende Austausch von Kegelklubs.

Die Münchner Sicherheitskonferenz hatte mit vielem zu tun, die Welt ist ja auch kompliziert. Von Sicherheit war allerdings kaum etwas zu hören.