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Sprachverwirrung: Kontext oder Bedeutung?

Wichtig ist, sich von der Illusion zu befreien, irgendwie würde alles schlechter. Der Gedanke, der häufig in den Diskussionen um die Gegenwart und die Gestaltung der Zukunft auftaucht, beinhaltet eine Unterstellung, die so nicht zu halten ist. Sie spielt mit der These, früher sei alles besser gewesen. Dass dem nicht so ist, wissen alle, denn sonst hätte es keine Triebfeder für die Veränderung gegeben. Richtig scheint vielleicht eine weniger optimistische, dem gegenwärtigen Verlauf aber vielleicht gerechter werdende These zu sein, die besagt, dass es zwar nicht besser, aber anders werde. Und ich möchte an dieser Stelle nicht auf die Geschichte an sich eingehen, denn das wäre vermessen, und auch nicht auf die politischen Entwicklungen auf unseren Breitengraden, denn da träfe die These nicht zu, weil es momentan schlechter wird, aber vielleicht auf das Phänomen der Kommunikation. Keine Angst, es geht um nichts Abstraktes, sondern die Sprache.

Es fällt auf, dass die benutzte Sprache mit der Interaktionsgeschwindigkeit, die die Digitalisierung mit sich bringt, eine Veränderung in ihrer Nutzung wie Formung erfährt und erfahren hat. Das zu benutzende Wort wird in großer Geschwindigkeit aus dem Vokabular entnommen und in den Äther geschleudert. Dort wird es wie eine flüchtige Erscheinung aufgenommen und es erfährt eine Erwiderung, die ebenso schnell und sphärisch ist. Das, was dabei verloren geht, ist die Bedachtheit wie die Bedächtigkeit. Beides hat bei der Auswahl und Wahl von Sprache eine immense Bedeutung. Sprache verliert so an Macht, und, bei den Nutzern, in vielerlei Hinsicht auch an Bedeutung. Das Resultat ist, dass der Sinn eines Wortes und einer Aussage nicht mehr in der eigenen Bedeutung, sondern in dem am häufigsten benutzten Kontext rekonstruiert wird. Das hat Folgen.

Prekär kann es werden, wenn sich Menschen, die die Sprache aus diesen unterschiedlichen Kulturen entnehmen, sich unterhalten wollen. Das geht eigentlich kaum noch, weil die Bedeutung der Worte nicht mehr gleich ist und ein semantischer Austausch mehr zur Verwirrung als zur Klärung führt. Um die These zu untermauern, hier ein aktuelles Beispiel:

In einem Text auf dieser Seite war die von mir wiederholt vertretene These zu lesen, dass der Erfolg die Mutter der Motivation sei. Ich bin bei der Formulierung dem gefolgt, was in der Etymologie, der Geschichte der Wortbedeutung, das Adäquate ist. Erfolg kommt von erfolgen, d.h. bei einem Erfolg handelt es sich um ein Ergebnis von irgend etwas. Und in dem Substantiv Motivation steckt die Urform Motiv. Lapidar und dennoch treffend ausgedrückt bedeutet Motivation schlichtweg, über ein Motiv zu verfügen. Ein Mensch, und so ist die These gemeint, der etwas probiert und dabei ein Ergebnis erzielt, hat ein Motiv, in seiner Aktivität fortzufahren. Wenn die Aktivität in eine Übung mündet, handelt es sich dabei sogar um den Prozess des Erlernens.

Die Kritiker der These, dass ein positives Ergebnis das Motiv zum Weitermachen liefert, beriefen sich bei den entscheidenden Begriffen auf den allgemein üblichen Kontext der Nutzung dieser Wörter. Erfolg deuteten sie als Glanz und Glitter, sowie monetären Reichtum. Und Motivation war ein Synonym für den eher therapeutischen Versuch, Menschen zu bestimmten Aktivitäten zu ermutigen. Beide Begriffsnutzungen korrelieren nicht miteinander, deshalb führte der Diskurs zu einer Irritation. Es lohnt, sich die Ursachen klar zu machen. Aber die unterschiedliche Nutzung von Sprache sollte bewusster wahrgenommen und thematisiert werden.

Die Tabuisierung von Leistung

Es gehört zu den Kuriosa unserer Zeit. Während erneut ein Streit aufflammt über den Kapitalismus und seine destruktiven Kräfte, scheint das, was ihn groß und mächtig gemacht hat, auch von Seiten seiner Befürworter gar nicht mehr geschätzt zu werden. Die Entfesselung der Produktivkräfte hatte Karl Marx, der scharfsinnigste und schärfste Kritiker dieses Wirtschaftssystems das genannt, was der aufkommende Kapitalismus zustande brachte. Keine Ökonomie vor ihm hatte vermocht, die Produktivität der Menschen so zu mobilisieren und diese auch noch in einem nie gekannten Maß zu organisieren und zu konzentrieren. Dem zugrunde lag und liegt der Gedanke von Leistung und Wertschöpfung. Beides Attribute, die man sich angesichts der zeitgenössischen Entwicklungen näher ansehen sollte.

Kapital, so skizzierte Marx in seinem gleichnamigen, voluminösen Werk, ist ein Prozess. Nicht Wert an sich, oder gar zu verwechseln mit Geld, dem allgemeinen Äquivalent, wie er es nannte. Nein, Kapital ist der Prozess der Wertschöpfung, d.h. der Synergie von Rohstoffen, Ideen und menschlicher Leistung unter Zuhilfenahme von Technik und Instrumenten. In diesem Prozess entstehen neue Werte, die sich von der Summe der verausgabten substanziell unterscheiden.

Die menschliche Leistung ist das Zentrale, um das es gehen sollte, aber genau sie ist es, die zunehmend tabuisiert oder verballhornt wird. Die niederländischen Protestanten wussten es schon immer: Es gibt keinen edleren Treibstoff für die menschliche Motivation als den Erfolg. Grundlage des Erfolges ist vor allem, nehmen wir einmal die Lotterie und die Finanzspekulation aus, die eigene Leistung. Und genau da wird dem Kapitalismus als produktivem System von zwei Seiten der Kampf angesagt. Zum einen von einer Ideologie der Passivität, einer korporierten Vorstellung davon, dass Menschen, die sich in einer Wertschöpfungskette befinden, per se schon bemitleidenswert wären. Dieser Ideologie geht es schon lange nicht mehr um Bedingungen, die es ermöglichen, Leistung gemäß eigener Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erbringen. Ihr ist das Faktum, dass Leistung aufgrund abgeschlossener Vertragsbedingungen zu erbringen ist, bereits ein Dorn im Auge.

Die andere Unterhöhlung der Leistung wird aus den vermeintlichen Hochburgen des Kapitalismus selbst betrieben. Die Börse, einst ein Markt für die Suche nach Investitionen mit guter Prognose, ist zu einem zunehmend wachsenden Anteil zu einem Forum geworden, dass wohl am treffendsten mit dem Begriff des Casino-Kapitalismus beschrieben worden ist. Um im Jargon zu bleiben: Die größten Assets des Kapitalismus, Leistung und Investition in Leistung sind genau dort, wo sie organisiert und gehandelt werden sollen, zu einem Tabu geworden. Es geht immer wieder so weit, dass intakte Wertschöpfungsprozesse von dort aus vernichtet und das luzide Beispiel von Leistung und ihrer Macht zerstört wird. Der Kapitalismus schändet sich an der Börse quasi in der eigenen Kirche.

Das profane Alltagsleben ist wie immer ein Spiegel dessen, was in den Konstruktionsbüros von Wirtschaft und Staat ersonnen wird. Insofern ist es kein Zufall, dass genau in der Zeit, in der die Grundlagen der Leistung multipel unterminiert werden, auch dort zunehmend von Achtsamkeit und Wertschätzung gesprochen wird. Es drückt ein tiefes Verlangen aus für etwas, dass nicht mehr stattfindet. Der beste Schutz sind allerdings nicht salbungsvolle Rituale und Gesten, sondern die Möglichkeiten zu erstreiten, auch dort, in der eigenen Tagespraxis, Leistungen erbringen zu können, die für das sie erbringende Individuum selbst und für andere von Wert sind. Das ist qualitativ eine andere Geschichte. Und sie zu realisieren, erfordert oft radikale Schritte.