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Als sähe man einen Film über die Moskauer Prozesse…

Der Entwicklung sei Dank, dass es seit mehreren Jahrzehnten die Möglichkeit des Zappens gibt. Die Fernbedienung hat dazu beigetragen, sich sehr schnell von Programmen trennen zu können, die nicht interessierten, die zu trivial erschienen oder die dass Zeug dazu hatten, den Betrachter in den Wahnsinn zu treiben. Mir ging es so vor zwei Tagen, als ich beim Zappen in einem so genannten Polit-Talk landete, in dem sich ein sehr angefasster Ministerpräsident gegen den Vorwurf einer jungen grünen Politikerin emotional aufgeladen dagegen wehrte, für die Invasion Russlands in die Ukraine mitverantwortlich zu sein. Ich wartete, bis die Frau anfing zu reden, hörte einen Satz und zappte nicht weg, sondern schaltete aus. Sie müssen wissen, dass allzu große Aufregung zumindest meiner Gesundheit erheblichen Schaden zufügt.

In ruhigeren Zeiten, die vielleicht noch die Überschrift der Zivilisation getragen hätten, wäre zu erwarten gewesen, dass die Kritik aus der Gegenwart auf eine gescheiterte Politik dahingehend hätte sein müssen, zu wenig oder das Falsche getan zu haben, um einen heißen Krieg zu verhindern. Im konkreten Fall gäbe es auch sehr viel dazu zu sagen: ein von außen forcierter Regime Change, die Missachtung einer kulturellen und ethnischen Grenze in einem Land, die Beibehaltung von korruptem Regierungspersonal, die systematische Verfolgung einer ethnischen Minderheit und eine kolossale Aufrüstung. Doch jenseits dieser Fakten ist das, was die Grünen derzeit formulieren, zu verorten.

Was diese Partei tatsächlich fertig bringt und denen, die in den letzten Jahrzehnten Regierungsverantwortung trugen, von Brandt bis Merkel, mit Ausnahme der kurzen glorreichen Beteiligung am Balkankrieg aufgrund grüner Befürwortung, vorwirft, ist die viel zu spät oder gar nicht gezogene Karte des heißen Krieges. So richtig bewusst ist das vielen von den plappernden Sprechmaschinen sowohl in der besagten Partei als auch in den monopolisierten Gazetten nicht. Aber, Hand aufs Herz, was ist denn die Option, wenn man nicht bereit ist zu verhandeln und das Gegenüber sowieso als ein Monster betrachtet? Genau, das, wofür sie heute stehen und in der Vergangenheit auch standen: Krieg. 

Also, wenn wir der Argumentation konsequent folgen, dann ist die bisherige Politik deshalb gescheitert, weil man nicht schon früher auf Krieg gesetzt hat. Einmal abgesehen von dem weltfremden Wahnwitz, der da aus den berufenen Mündern der Öko-Walhalla ertönt, und da sollte sich niemand etwas vormachen, Sekten gehen eher kollektiv ins Verderben, als dass sie sich der Ratio öffneten, was zumindest mich verwundert und gleichzeitig beschämt, ist das Verhalten derer, die da auf die Anklagebank gesetzt werden.

Als sähe man einen Film über die legendären Moskauer Prozesse der dreißiger Jahre im letzten Jahrhundert, auf der so manch prominenter wie intelligenter Mitbegründer des neuen Staates saß und zum Tode verurteilt wurde, so sitzen auch die Politiker einer auf Frieden ausgerichteten Ostpolitik auf der imaginären Bank und stammeln Schuldbekenntnisse über ihr eigenes Versagen, fühlen sich beschmutzt durch ihre vermeintliche Nähe zum Kreml und sind wehrlos gegenüber den grünen und medialen Richtern. 

Im Gegensatz zu dem gezogenen historischen Vergleich droht den momentan Angeklagten nicht der Tod. Was ihnen droht, und jeden Tag, an dem sie sich nicht hinstellen und den besoffenen Bellizisten die Stirn bieten, ihnen alles nimmt, was einen Menschen ausmacht, nämlich die Selbstachtung, ist ein schmachvolles wie unnötiges Ende in der Politik. Ihnen sei geraten, zu jedem Versuch, den sie gemacht haben, um einen Krieg zu vermeiden, zu stehen und sich weiter um Initiativen zu kümmern, die geeignet sind, den Krieg zu beenden. Vielleicht hilft es ja, ihnen zu versichern, dass sich der Wind längst gedreht hat. Wer sich jetzt erhebt gegen den Irrsinn, wird noch eine politische Zukunft haben. Die anderen nicht. 

Sonnenfinsternis

In seinem Roman Sonnenfinsternis setzte sich der im Exil lebende, ehemalige Kommunist Arthur Koestler mit seinen Erfahrungen als solcher im spanischen Bürgerkrieg auseinander und mit dem, was als die Moskauer Prozesse der 1930iger Jahre in die Geschichtsschreibung eingegangen ist. Der Roman Sonnenfinsternis, der 1940 erstmals im Exil erschien, war Koestlers Bruch mit dem Kommunismus. In dem Buch beschreibt er die erschütternde Geschichte der russischen Revolutionäre, die in den Moskauer Prozessen des Verrats an der Sowjetunion angeklagt waren und die in öffentlichen Sitzungen gestanden hatten, dass sie tatsächlich Verrat begangen hatten und im Sinne der gerechten Sache eine drastische Strafe verdient hätten. Die meisten von ihnen wurden hingerichtet, unter ihnen befanden sich auch Karls Radek und Nikolai Bucharin, beides Intellektuelle und Revolutionäre der ersten Stunde, letzterer wenige Jahre zuvor noch als „Liebling der Partei“ verehrt.

Sonnenfinsternis ist kein reißerisches Buch, sondern eine sehr subtile Studie dessen, was in Kopf und Psyche dessen vonstatten geht, der in der Gefängniszelle auf die nächsten Verhöre und den Prozess wartet. Das, was Koestler vor allem gelingt, ist die Beschreibung des allmählichen Prozesses der Entrückung aus dem faktischen Rahmen, in dem sich das Individuum befindet. Durch das Appellieren der Ankläger an den Glaubensgrundsatz des Angeklagten, für eine Utopie, eine Vision oder ein besseres Leben eingetreten zu sein und die damit verbundene Demut gegenüber dem großen Ziel, wird das Individuum dazu verleitet, die Demütigung auszublenden und in ihrem letzten Stadium sogar das Selbst zu verleugnen und schließlich zu verachten. Bis zur Forderung der eigenen Auslöschung als unwürdiger Existenz war es dann kein unlogischer Schritt mehr. Die reale Wirkung dessen, was Koestler fiktiv in seinem Roman beschrieben hatte, wurde in der absurden Berichterstattung über die Moskauer Prozesse durch zahlreiche renommierte internationale Beobachter unterstrichen, die nicht begriffen, was dort passierte.

Wer glaubte, dass die Pervertierung dessen, was ein freier Wille sein könnte und dem Akt einer öffentlichen Selbstverleugnung im 21. Jahrhundert im Kontext internationaler Bündnisse, an denen die Bundesrepublik Deutschland beteiligt ist, nicht mehr möglich ist, wurde in dieser Woche eines Besseren belehrt. Genau das, was Arthur Koestler mit der Metapher der Sonnenfinsternis so erschütternd treffend beschrieben hatte, spielte sich ab bei dem Rücktritt des türkischen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu. Davutoglu, der sich an die Vereinbarungen mit der EU soweit sie bestanden halten wollte, wurde von Erdogan zum Gehen gezwungen. In einem beispiellosen Akt der Selbstverleugnung dokumentierte Davotoglu den Prozess, der zur Sonnenfinsternis führt: Demut gegenüber dem Ziel, Akzeptanz der Demütigung, Selbstverleugnung und, als letztes Stadium, die Forderung nach Strafe.

Die Türkei des Jahre 2016 ist nicht mit der Sowjetunion der 1930iger Jahre zu vergleichen. Zwischen beiden Systemen liegen nicht nur achtzig Jahre, sondern auch Welten in der Staatsform. Die Bevölkerung der Türkei ist nicht so eingeschüchtert, als dass sie nicht mehr in der Lage wäre, sich eine eigene Meinung zu bilden. Was allerdings bedrückt und erschüttert, ist der öffentliche Akt der Entmenschlichung auf offizieller Bühne, der in dem System Erdogan möglich ist und der den Rückschluss dringend macht, mit dieser Variante der sich immer stärker etablierenden Tyrannei nicht mehr gemeinsame Sache machen zu wollen. Bitte, keine moralische Empörung mehr über Regimes, gegen die mit der NATO mobilisiert werden soll, wenn derartige Auswüchse der Menschenverachtung das offizielle Protokoll eines Bündnispartners bestimmen.