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Unstetige logische Entrees

Wer von falschen Annahmen ausgeht, der kommt nicht zu den richtigen Ergebnissen. Dieser Satz aus der Logik trifft meistens zu, nicht immer. In der Geschichte der Entdeckungen war das so eine Sache. Da wurde oft von Hypothesen ausgegangen, die absurd waren, aber dennoch zu großartigen Ergebnissen führten. Der Entdecker Magellan steht da für viele. Aber was in den wilden Zeiten der Welteroberung galt, sollte in der Analyse von Politik eher vermieden werden, soll das nicht alles in ein Abenteuer führen, dass vielleicht auch besser als Katastrophe beschrieben werden müsste.

Die Hypothesen, von denen die hiesige Berichterstattung ausgeht, haben den Charakter eines unstetigen logischen Entrees. Egal, womit sich vor allem der Staatssender ZDF in seinen Nachrichtenmagazinen wie dem Heute Journal beschäftigt, es sind wagemutige, realitätsferne Annahmen, die den Weg der journalistischen Arbeit eröffnen. Aktuell sind vor allem der Konflikt zwischen Hamas und Israel sowie der um die Ukraine und die Verurteilung Russlands als Ursache für diesen die prominentesten Themen.

Im Falle der Berichte über Gaza/Israel wird seitens dieser Sendungen darüber berichtet, als handele es sich um einen Konflikt zwischen dem Staat Israel und dem in Gaza lebenden palästinensischen Volk. Diese Grundannahme hätte die Legitimation zu der moralischen, allerdings oft sektenhaften Haltung, mit der die Berichte präsentiert werden. Aber sie ist falsch. Es handelt sich um eine Auseinandersetzung zwischen der Terrororganisation Hamas, die in Gaza das palästinensische Volk unterdrückt, schikaniert und als Geisel nimmt und vom Territorium Gaza den Staat Israel alle zehn Minuten mit einem Raketenbeschuss angreift. Letzteres bereits seit Wochen, ohne dass darüber berichtet würde. Die Gleichsetzung einer Terrororganisation mit einem Volk ist propagandistisch wohl der kolossalste Bock, den je ein aus Steuergeldern finanziertes Medium in der Republik geschossen hat.

Im Falle der Ukraine wird von der Annahme ausgegangen, Russland hätte den Demokratisierungsprozess in dem Land von außen torpediert und versuche nun das Land aus machtpolitischem Kalkül zu spalten. Auch diese Annahme ist falsch. Sicher ist, dass der momentane Konflikt in der Ukraine und um die Ukraine hervorgegangen ist aus einem Machtkampf. An diesem waren alle möglichen Kräfte beteiligt, von demokratischen Kräften dabei zu sprechen, scheint angesichts der jetzigen politischen Äußerungen gerade in der West-Ukraine ein Euphemismus gewesen zu sein. Internationalisiert wurde der Konflikt durch das Angebot des Westens an eine neue Regierung, nicht nur Mitglied der EU, sondern auch der NATO werden zu sollen. Das war ein aggressiver Akt, der selbst innerhalb der Ukraine keine Mehrheit hatte. Im Falle der Reklamierung der Krim als völkerrechtlich zur Ukraine zugehörig gesellte man sich zu der Auffassung, dass ein Land, das in einer Wodkalaune von einem Herrscher innerhalb seines Imperiums verschenkt wurde, diesen Status als historisch legitim zu akzeptieren habe.

Seit dem inneren Konflikt, der durch das Angebot des Westens ein internationaler wurde, wird der russische Präsident Putin als der Kriegstreiber par excellence dargestellt. Was sich im Vorgehen der Propagandaabteilung aus Mainz zeigt, ist nicht nur die fatale Konsequenz falscher Hypothesen, sondern auch die wissentliche Ausblendung jeglicher Ursachenforschung, um Konflikte besser begreifen und daraus vernünftige, das Problem lösende Konsequenzen ziehen zu können. Das beginnt in den Köpfen der Menschen und darum geht es, wenn von kritischem Journalismus gesprochen wird. Stattdessen wird Stimmung gemacht, unterfüttert von einem Moralismus, der aggressiv und verlogen ist und zu nichts führt als zu Antisemitismus, Kriegsgeschrei und Ressentiment.

Der Demagogenadel stellt sich zur Wahl

Während sich die einen im Entrüstungsmainstream aalen, bereitet der neue Demagogenadel die nächsten Coups vor. Unabhängig von den Themen, um die es geht, die meisten Protagonisten der inszenierten Empörung sind schlimme Finger. Die bevorstehenden Bundestagswahlen sind ihr Motiv, das der Wählerinnen und Wähler und der vielen Menschen, die gar nicht mehr von diesem Recht Gebrauch machen, sollte sein, den Moralistenchor doch noch einmal an ihre erstrebten Aufgaben und Ämter zu erinnern und den einen oder anderen Blick in die eigene Vergangenheit zu werfen.

Auch die Parteien, die die heutige Opposition stellen, waren zu einem großen Teil bis zur personellen Identität vor gar nicht allzu langer Zeit selbst in der Regierungsverantwortung. Das betrifft Politiker der Grünen in erster Linie, genauso wie einige der Sozialdemokratie, die dem Irrglauben aufsitzen, mit dem Doppelpack ihr dickes Fell retten zu können. Sie alle wussten um die Brisanz der Atomenergie, sie alle hatten Verantwortung für den Geheimdienst und dessen Operationen und sie alle erließen Gesetze, die staatlich garantierte Renditen für alternative Energieanlagen garantierten und deren Anteile sie zum Teil selbst kauften. Sie verantworteten Bombenangriffe auf die Belgrader Zivilbevölkerung und die Begründungen, die damals für diese kriminellen Handlungen herhalten mussten, erwiesen sich im Nachhinein als ein Ausbund an Mystifikation. Sie kämpften, wenn man sie sich anhört, schon immer für die Frauenrechte, aber an einem Tag, an dem die mutigen Frauen von Kairo mit wessen Hilfe auch immer über den fundamentalistischst möglichen Versuch, sie wieder unter die Knute zu bringen, triumphieren, faseln sie von einem Putsch.

Und es vergeht keine Diskussion, in der nicht gleich ab der Eröffnung die Eieruhr liefe, um die Zeit zu erfassen, die diese an den Ufern der Hysterie geborene Klasse dazu braucht, um mit moralischen Kategorien wie Würde, Anstand und Ehrlichkeit zu argumentieren. Sie, die im Lotterbett der Kolportage gezeugt wurden, die keine Vorstellung davon haben, was eine eigene Meinung ist und was es bedeutet, sich für sie einzusetzen und zu streiten. Ihr streng riechender Moralismus hat die Atmosphäre in dieser Gesellschaft vergiftet. Immer weniger Menschen trauen sich noch, eine vom Mainstream abweichende Haltung zu dokumentieren, denn kaum ist das getan, fällt über diese eine penetrante Meute her, die sie des Totalitarismus, der Frauenfeindschaft, der Ökologiekontamination oder als eines Feindes der Nachhaltigkeit bezichtigen. Was immer das auch sein soll, was sich hinter diesen unheimlichen Hieroglyphen verbirgt, es müssen schlimme Dinge sein, denn die Delinquenten fühlen sich sogleich im vor-höllischen Feuer.

Mit der Lebenspraxis dieser Vertreter des schlechten Geschmacks hat das in der Regel ebenso wenig zu tun wie mit dem Anforderungsprofil an ein Amt der Regierungsverantwortung. Trüge das, was diese Politikerinnen und Politiker in diesen Zeiten absondern, zu einer künftigen Regierungsmaxime bei, dann wären wir schnell im ranzigen Milieu einer Bananenrepublik zu Hause. Intellektuell sind wir das schon lange, die Frage stellt sich, ob die Kohorten, die noch zur Wahl gehen, mit einem Votum für diese historisch qualitativ dürftigste Mischpoke dem masochistischen Reflex nachgeben und der Republik einen tödlichen Stoß versetzen. Denn einer Steigerung der bestehenden Moralisierung und Hysterisierung der Politik hielte kein Gemeinwesen lange stand. Noch hier und da ein Fünkchen, und der ausgedörrte Rasen der Duldsamkeit steht in lodernden Flammen. Wie so oft, wenn sich Demagogen zu sicher fühlen, neigen sie zur schlimmsten Übertreibung meistens dann, wenn das Grollen des Roll-Backs bereits laut und deutlich zu vernehmen ist.

Oberschichtenkriminalität

Nun haben wir wieder eine schöne, emotional aufgeladene Symboldiskussion. Es geht nicht um klare Gedanken und Sachverhalte, sondern um emotionale Zonen und intellektuelles Niemandsland. Der „Fall“ des Bayernpräsidenten ist nur insofern interessant, als dass er in beeindruckendem Maße das vorexerziert, was die meisten hierzulande eben nicht zu Staatsbürgern im modernen Sinne macht.

Dadurch, dass eine Person des öffentlichen Lebens, die sich nicht nur gerne mit dem Erfolg, sondern auch mit einem hohen moralischen Anspruch geschmückt hat, nun als krimineller Vergehen schuldig herauszustellen droht, hat eine Debatte entfacht, die mit dem Sachverhalt nur noch wenig zu tun hat. Da werden plötzlich Sympathien und Antipathien für oder gegen einen Fußballverein mobilisiert, da werden Kritiker des kriminellen Verhaltens als Hasser und Schlammwerfer diskriminiert, aber die staatsbürgerliche Räson, die bleibt auf der Strecke.

Letztere muss in erster Linie muss nur betonen, dass vor dem Gesetz alle gleich sind. Und sie muss klären, ob es Sinn macht, sich einer unterschiedlichen, inkonsistenten Logik hinsichtlich verschiedener Strafdelikte zu verschreiben, weil der Staat Geld braucht. Keine Diebin und kein Dieb, keine Räuberin und kein Räuber und keine Mörderin und kein Mörder können sich mit einer Selbstanzeige exkulpieren. Es wäre auch ein Skandal für jedes Rechtsempfinden. Die Ausnahme für den Steuerbetrug, die aus dem 19. Jahrhundert stammt, muss schlichtweg revidiert werden.

Was aus der Perspektive der Staatsräson so einfach aussieht, wird aus der der Emotion zu einem Gemisch aus Ressentiment und intellektuellem Desaster. Der Schlüssel zu dieser sanguinischen Aufladung liegt an der moralisierenden, moralistischen Chiffrierung von Hoeneß´ Handlungsweisen. Wer moralisiert und fällt, fällt bekanntlich tief. So gesehen, sind wir momentan Beobachter des Falles Wulff, Teil II.

Und das wäre alles gar nicht so tragisch, wenn es nicht etwas andeutete, was die Republik noch schwer wird erschüttern können. Hinsichtlich der Eliten und ihres Verhaltens beginnen wir es mit einem Massenphänomen zu tun zu bekommen. Es geht nicht nur um Sonderinteressen in der Schulpolitik, um die Privilegierung des eigenen Stadtteils oder die Steuermillionen, die in Form des Kulturetats den Oberschichten nahezu exklusiv zugutekommen, sondern es geht um eine Massenflucht der Elite aus dem Solidarpakt der gesamten Gesellschaft. Es hat sich ein Egoismus etabliert, der durch keine Form der punktuellen Wohltätigkeit kompensiert werden kann.

Das einzige Mittel, das die Gesellschaft hat, um der Tendenz der Entsolidarisierung Grenzen zu setzen, ist das Gesetz. Dieses in dem historischen Kontext, in dem wir uns befinden, relativieren zu wollen, ist nicht nur unverantwortlich, sondern auch lebensgefährlich. Gleiches für Gleiches und die Gleichheit vor dem Gesetz ist das Mindeste, was zu fordern ist.

Das Recht allein und seine Anwendung jedoch werden nicht ausreichen, die moralische Erosion der als Moralisten durch die Welt krakeelenden Elite aufzuhalten. Ihre gesellschaftliche Ächtung wird wohl kommen, aber nur, wenn sich auch diejenigen, die rechtskonform und vorbildlich handeln, endlich die Courage aufbringen, die Luftikusse aus dem eigenen Lager zu kritisieren. Ein anderes Kapitel sind die Moralisierer per se. Von ihnen wimmelt es in der gegenwärtigen Politik. Werden sie ähnlich entlarvt wie gegenwärtig der Bayernpräsident, dann rauscht das gesamte politische System in eine Existenzkrise.