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Der König geht, der König lebt

Ja, über ihn kann sehr viel geschrieben werden. Und ja, sein Leben gibt Geschichten her, die so schön die Klischees bedienen, dass sie umso lieber erzählt werden. Sein Name war ein Artefakt. B.B., der Blues Boy King, alles so falsch und nichtig wie die Identität der Sklavennachfahren im Delta des großen Mississippi. Da passte einfach alles. Der Underdog aus einer Sklaven- und Baumwollpflückerdynastie, der anfing, auf einer eher als Katastrophe denn als Gitarre durchgehenden Instrumentenkopie zu spielen. Der sich hoch kämpfte durch harte Arbeit und Disziplin, der verstand, wie das Geschäft funktionierte und der es mehr als ein halbes Jahrhundert beherrschte. Der Blues Boy, der den Blues neu erfand und spielte, war auch ein Geschäftsmann und Machtmensch. Kalt und knallhart. Das war ihm eigen wie allen, die von ganz unten kommen. Sie verzeihen weder sich selbst noch ihrem Umfeld Nachlässigkeiten.

Die meisten Nachrufe werden überschrieben sein mit den Titeln seiner großen Erfolge. Mehrheitlich mit The Thrill Is Gone und Lucille. Das reduziert einen Musiker, der unzählige Alben über die Jahrzehnte eingespielt hat. Aber es charakterisiert den Musiker B.B. King dennoch sehr gut. The Thrill Is Gone, ein Stück, das einer bestimmten Generation in den nicht löschbaren Gedächtnisspeicher eingebrannt ist, war der Ausdruck eines Lebensgefühls, das eintrat, als die große Periode der Illusionen seinem Ende zuging. Nein, es ging dem empathischen B.B. in diesem Song nicht nur um die Liebe, es ging um das Erwachsenwerden einer Generation, die zu lernen hatte, dass das Leben keine endlose Party war. Deshalb die Emotion, die sich Bahn bricht, sobald es ertönt.

Und dann Lucille! Der Name seiner Gitarre, die zum Weltlabel dank ihres mächtigsten Interpreten wurde. Der große, überschwere B.B. kokettierte mit der Vorstellung, dass er seine Gitarre behandelte wie eine Frau. Sie immer im Auge behaltend, mal streichelnd, mal hart anfassend, ihr immer wieder kleine Pausen gönnend und nur in den höchsten Tönen von ihr redend. Das war wahrscheinlich das Geheimnis des großen Statthalters des Blues. Seine Metaphern waren wie das echte Leben. Mit Lucille übertrug er die Botschaft, die sein ganzes Werk prägte: Was du nicht liebst, das kannst du nicht beherrschen und was du beherrschst, kannst du nicht lieben. Du musst es respektieren, dann lernst du es zu lieben. Das war seine zutiefst humane Metaphysik aus dem sumpfigen Delta.

Und dann, ja, und dann die Pausen. B.B. erkannte man daran, wie er die kleinen Pausen setzte, um seine Töne wirken zu lassen. Niemand außer ihm hat das so vermocht und niemand außer ihm hat dem Blues diese Note gegeben. Seine Pausen waren allesamt Blue Notes, er kreierte ganze Symphonien im Ruhezustand. Wenn die Leute sagen, sie erkennten den großen B.B. an der Art und Weise, wie er Gitarre spiele, dann trifft das nur die halbe Wahrheit. B.B. erkennt man vor allem daran, wie er die Pausen setzt. Das Sein und das Nichts. Wieder so eine metaphysische Botschaft aus dem Delta.

B.B., der großartige Bluesmusiker, der Geschäftsmann und Machtmensch, der alles so sanft in sich vereinte, die Muße, die Muse und die Disziplin, die Weisheit und die Berechnung, der Koloss, der immer wie ein lieber Junge daher kam, der unsere Biographien so sehr begleitet hat, der ist nun von uns gegangen. The Thrill Is Gone. Aber das wussten wir schon lange, dank B.B.!

Der Wolf aus dem Baumwollfeld

Howlin‘ Wolf. Message To The Young

Das Klischee über den Bluesmusiker, der irgendwo aus dem Mississippi-Delta kam und dann als Tramp mit der Gitarre eines Tages in Chicago landete, trifft tatsächlich auf viele der bekannten Größen dieses Genres zu. Einer aber übertrifft das Klischee mit seiner Biographie noch bei weitem: Chester Burnett, besser bekannt als Howlin´Wolf. Der Riese, der mit seinen Bühnenauftritten für ungeheure Spannung wie Entladung sorgte, wurde tatsächlich in dem Dorf West Point im Bundesstaat Mississippi geboren. Und er endete vorerst auf den Baumwollfeldern als Arbeiter. Blues sangen sie dort alle, und ein Zufall wollte es, dass der spätere Howlin´Wolf Charlie Patton kennenlernte, der ihm vieles auf der Gitarre beibrachte und ihn mit zu Auftritten nahm. Howlin´Wolf, der Riese, vor dem sich viele fürchteten, der Mann mit der unverwechselbar rauen Stimme, tourte im Süden, gelangte nach Memphis, wo er sich als Musiker etablierte, bevor er erst 1952 als Vierzigjähriger nach Chicago ging, um dort vielen einen gehörigen Schrecken einzujagen.

Bei dem Label Chess bekam er einen Vertrag. Seine größten Hits waren Smokestack Lightnin´und Spoonful, die zu den Klassikern des Blues gehören. Das Album Message To The Young, welches nun in überarbeiteter Form in einer guten Tonqualität vorliegt, wurde 1971, vier Jahre vor seinem Tod, bei Chess in Chicago eingespielt. Es umfasst schlicht acht Titel, die nicht den Howlin´Wolf vorstellen, den das nunmehr eigene Klischee einfordern würde. Es ist ein Bekenntnis des Veteranen zum Blues und seiner beständigen Fortentwicklung. Und darin liegt das Besondere dieses Albums: die Botschaft des Musikers an die Jüngeren besteht nicht in einem strikten Verweis auf die Tradition! Nein, indem Howlin´Wolf auf dem Album experimentiert, verweist er auf das Lebenselexier des Genres, das in der Weiterentwicklung besteht.

Natürlich ist da noch ein Klassiker, wie I Smell A Rat, der die derbe Konsequenz der Armut in seiner sinnlichen Form wiedergibt. If I Were A Bird ist insofern interessant, als das es auf der Gitarre eine Spielweise antizipiert, die später von Bands wie Led Zeppelin für das weiße Publikum kultiviert und zu einem Markenzeichen etabliert wurden. Message To The Young ist vom Blues-Schema der eigentliche Klassiker, was nicht sonderlich verwundern kann. She´s Looking Good ist ein prähistorischer, lupenreiner Funk, eingespielt mit einem Bläsersatz, den James Brown auch nicht abgelehnt hätte. Just As Long wiederum deutet an, dass Howlin´Wolf bis hin zu seiner musikalischen Reifung in Memphis nicht nur ähnliche Wurzeln wie B.B. King hatte, sondern die nur King zugeschriebene Spielweise der Gitarre genauso beherrschte, bei der der eindringlich klare Ton hervorsticht und die charakterisiert wird durch die atemberaubende Architektur der Pausen.

Message To The Young ist ein Album, das nicht die Klischees über Howlin´Wolf bestätigt, sondern eher seine Fähigkeit herausstreicht, sich und das Genre weiterzuentwickeln. Es empfiehlt sich, sich die einzelnen Stücke mehrmals anzuhören und auf sich wirken zu lassen, um die -man vergesse nicht das Aufnahmejahr 1971 – Entwicklungspotenziale und den Ideenreichtum identifizieren zu können. Der Wolf aus den Baumwollfeldern des Südens hatte wesentlich mehr zu bieten als seine sicherlich unvergessenen Hits. Bis zum Schluss hatte er einen Sinn für die Zukunft, und das macht ihn auch heute noch so hörenswert.

Lokaler Rassismus und zentralstaatlicher Durchgriff

Mississippi Burning. Regie: Sir Alan Parker

Das Jahr 1964 verweist in den Chroniken der USA auf fulminante Entwicklungen. Ein Jahr nach der Ermordung John F. Kennedys stellte sich der demokratische Interimspräsident Lyndon B. Johnson aus Texas in regulären Wahlen. Sein Gegenkandidat war der aus Arizona stammende Republikaner Barry Goldwater, der für alles zu stehen schien, was der demokratische Aufbruch hinter sich zu haben glaubte. Letztendlich gewann Johnson mit einem phänomenalen Ergebnis, Goldwater holte lediglich neben Arizona fünf weitere Staaten des tiefen Südens. Dort, vor allem im Bundesstaat Mississippi, herrschte erbitterter Widerstand gegen die Aufhebung der Rassentrennung und der para-faschistische Klu Klux Klan.

Vor diesem Hintergrund bewegen sich die Bilder des Films Mississippi Burning, der die Situation in vielen Facetten einfängt. Nach einem Mord an drei jungen Bürgerrechtlern, von denen einer schwarzer Hautfarbe war und einer lax und interessenlos geführten Untersuchung seitens der lokalen Behörden, wird eine Kommission des FBI aus Washington geschickt. Das untersuchende Duo sind ein junger, von den demokratischen Institutionen der USA überzeugter Ermittler, dargestellt durch Willem Dafoe und ein in Mississippi aufgewachsener Haudrauf und Skeptiker, exzellent mit Gene Hackman besetzt. Allein dieses Paar besticht schon durch die Rivalität der Vorgehensweisen: der Eine rigoros und nach dem Buchstaben des Gesetzes, der Andere mit dem interkulturellen Switch und der individuellen Interpretation des Rechts.

Die lokale Gesellschaft ist eine letzte Aufblendung des alten Südens, oder zumindest dessen, was davon übrig geblieben ist. Eine rechtsextreme, elitäre weiße Minderheit, die zwar von der Hautfarbe in der Majorität ist, aber in ihrem angelsächsich-protestantischen Bezug und ihrem Rassismus eine militante Sekte bildet. Zu sehen sind die Mitläufer, die in ihrem Stumpfsinn und ihrer ritualisierten Monotonie die Demütigung der schwarzen Bevölkerung als Gesellschaftsspiel und Affront gegen das Washington der amerikanischen Modernisierung betrachten. Und zu sehen sind die Weißen, die dieses Spieles überdrüssig sind, die die endlosen Schleifen der Gewalt nicht mehr ertragen und den Wandel zu einer demokratischeren Gesellschaft wollen.

In fulminanten Bildern, mit starken Charakteren und einer dramatischen Handlung gelingt es dem Film Mississippi Burning, sowohl die konkrete Handlung als auch den Konflikt zwischen dem Bundesstatt Mississippi und der Bundesbehörde sowie deren zentralstaatlichem Eingriff spannungsgeladen zu gestalten. Obwohl der Film bereits vor 23 Jahren gedreht wurde, hat er nichts von seiner zeitgemäßen Inszenierung eingebüßt. Ganz im Gegenteil: er weißt Züge auf, die eine andere Dimension der Kritik zulassen, als dieses heute oftmals üblich ist. Und er zeigt, wie wichtig zentralstaatlicher Durchgriff sein kann, wenn es in der Provinz basisdemokratisch völlig aus dem Ruder läuft!