Man sagt den Deutschen nach, sie seien konfliktscheu geworden. Bei der Betrachtung der Felder, auf denen es tatsächlich beobachtbar ist, auf denen der Kommunikation, könnte der Eindruck gewonnen werden. Die Zeiten, in denen Tacheles geredet wurde, scheinen lange vorbei zu sein. Vor allem die heutigen Politiker kommen einem vor wie Weichspüler, vergleicht man sie mit Urgesteinen wie Herbert Wehner, Franz Josef Strauß oder Helmut Schmidt. In deren Debatten flogen noch richtig die Funken und Journalisten, die aus Dummheit dazwischen gerieten, zitterten die Hände.
Es ist evident, dass diese Zeiten nicht mehr den unseren entsprechen. Und es liegt nahe, dass sehr schnell mit dem Hinweis argumentiert wird, das sei gut so und eine Folge der Zivilisierung der Gesellschaft durch den wachsenden Einfluss der Frauen. Das mag stimmen, denn tatsächlich haben sich die Verkehrsformen geändert. Ebenso evident sollte allerdings für jeden denkenden Menschen sein, dass durch einen Gender-Shift in der öffentlichen Kommunikation nicht die Konflikte aus der Welt sein können.
Doch, bei allem Wohlwollen, wo sind sie hin, die Konflikte? Die offene Konfrontation hat Vorteile, die auf der Hand liegen. Der Dissens wird benannt und offen, um nicht das heutige magische Wort der Transparenz zu bemühen, wird darüber gestritten, welche Argumente die besseren sind oder wo man eben nicht zusammenkommt. Das hat den Charme der Klarheit, aber es erfordert eine bestimmte emotionale Beschaffenheit der Interakteure. Sie müssen fähig sein, den Gegenwind eines Diskurses auszuhalten. Wer das nicht kann, geht unter im Disput.
Letzteres ist mit dem phantasmagorischen Idyll, welches durch die dominierenden politischen Strömungen seit den achtziger Jahren geschaffen wurde, dessen Paradigmen Frieden, Ökologie und Vielfalt geschaffen wurde, verdrängt worden. Nicht, dass die Treiber dieser Politik Weichspüler wären, das sind knallharte Jungs und Mädels, die sich schon morgens beim Aufstehen eine Linie Macht auf dem Spiegel der Eitelkeit reinziehen. Nein, aber deren Klientel hat sich das Idyll durch Weltfremdheit und einen katastrophalen Akt der Entmündigung erkauft. Sie sind degeneriert zu Objekten, die aufgrund der eigenen Diskursunfähigkeit ihr Mandat als gestaltende Subjekte abgetreten haben.
Die Akteure, die den öffentlichen Diskurs bestimmen, sind Ideologinnen und Ideologen der Seichtigkeit. Aus einem Geschwurmel von Friedensduselei, Naturverbundenheit, Gendergerechtigkeit und göttlicher Vielfalt leiten sie eine Rhetorik der knallharten Ausgrenzung ab, die den Entmündigten in aller Schärfe vorführt, was ihnen blüht, wenn sie sich vom Tugendpfad des Universalkonsenses abwenden und die Sünde begehen, selbst zu denken.
Gleich Inquisitoren kommen sie daher, und sobald gar eine Autorin oder ein Autor ein Buch verfasst, in dem der Mainstream als herrschaftliches Mittel der Unterdrückung entlarvt wird, starten sie multimedial einen Folterfeldzug, der sich nicht einmal zufrieden gibt, wenn die jeweils bürgerliche Existenz vernichtet ist. Es herrscht Krieg in diesem Land. Krieg gegen den eigenen Willen. Krieg gegen die eigene Sprache. Krieg gegen den eigenen Verstand. Was als Rebellion gegen die autoritären Väter begann, die sich aus den imperialistischen Feldzügen des organisierten Größenwahns gerettet hatten, endet hier und heute mit einer der perfidesten Formen der psychologischen Diktatur. Da ist nichts links, da ist nichts frei, da ist nichts tolerant. Jedem sei geraten, die Probe aufs Exempel zu machen und der Strömung die Stirn zu bieten. Die Reaktion des ach so demokratischen Mainstreams wird das beste Dokument seines autoritären Charakters sein. Doch wer die Angst einmal überwunden hat, der wird sich nie mehr fürchten. Es ist den Versuch wert.
