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Die USA und die Arroganz aus der Provinz

Es ist ein Debakel. Während in den USA noch ausgezählt wird, senden die Musterschüler der Demokratie aus dem fernen Deutschland Ratschläge in alle Welt. Das tut der Seele gut, hat aber mit den Geschehnissen jenseits des Atlantiks wenig zu tun. Was noch fehlt, und in bestimmten Publikationen bereits kolportiert wird, ist, dass die hiesigen Welterklärer mit Sanktionen drohen. Da ist etwas gewaltig schief gelaufen mit der Selbsteinschätzung. Dass die amerikanischen Verhältnisse unübersichtlich sind, hängt nicht mit den dortigen Wahlgesetzen zusammen, sondern mit der tiefen Spaltung des Landes und der Vorstellung neokonservativer Kreise, im Notfall auch putschen zu können. Diese Rechnung haben sie jedoch ohne den Wirt gemacht. Und dieser Wirt sitzt in den USA selbst, dazu braucht es keine Belehrungen aus einem Land, das selbst bis dato nur einen Hauch von der Spaltung verspürt, die auch hier noch mit ganz anderer Wucht durchschlagen wird. 

Woher kommt der Übermut? Durch eine gute Regierungsführung? Durch intelligente Lösungen? Durch reflektierte Überlegung ob der eigenen Position? Oder ist es das alte, nahezu archaische Missverständnis, dass Welterklärung auch ohne Kenntnis der kritisierten Verhältnisse geht? Eine Konstante scheint es zu geben im hiesigen Charakter. Es ist die Selbstüberschätzung, die, wenn es heikel wird, in einem ausgewachsenen Minderwertigkeitskomplex endet. Wie wäre es, so die Frage, wenn einmal das geschähe, was ein früherer Bundeskanzler so volkstümlich aber treffend als das Machen der eigenen Hausaufgaben charakterisierte?

In den letzten Tagen waren immer wieder und überall Bemerkungen zu hören, die darauf abzielten,  die amerikanischen Wahlgesetze zu kritisieren, den dortigen Mangel einer freien Presse zu bemängeln, den dortigen Verlust demokratischer Werte zu reklamieren und die Unwissenheit der Bevölkerung festzustellen. Wie kann es sein, dass der Spiegel, aus dem diese Schriften zu entziffern sind, nicht als das Abbild eigener Defizite erkannt wird? Wie heißt es noch in einer der Urschriften des Okzidents? Wer ohne Fehler ist, werfe den ersten Stein.

Letzteres, übrigens eine Erkenntnis, die als Grundlage jeder Zivilisation Geltung hat, scheint in dem gewaltigen, rigorosen und alle Traumata überlagernden Verdrängungsprozess aus dem Bewusstsein gepresst worden zu sein. Da sind die Verhältnisse außer Rand und Band geraten. Um dies festzustellen, muss die eigene Geschichte des XX. Jahrhunderts erst gar nicht bemüht zu werden. Da reicht es, auf das Hier und Jetzt zu schauen, um festzustellen, dass es dringend von Nöten ist, die eigenen Verhältnisse in Ordnung zu bringen. 

Die hiesige Regierungsführung spaltet das Land mehr und mehr, statt an intelligenten Lösungen zu arbeiten, werden die tradierten Muster konserviert, die eigene Position unterliegt einer maßlosen Selbstüberschätzung und von einer freien Presse berichtet allenfalls die Funke-Medien-Gruppe. Welche Arroganz macht sich da breit, denen, die sich in den USA in einem ungeheuren Strukturwandel befinden, Ratschläge zu geben? 

Es handelt sich um Manöver, die von der eigenen Ideenlosigkeit ablenken, die ein gutes Gefühl vermitteln sollen, um nur nicht auf den Gedanken verfallen zu müssen, aus der eigenen Komfortzone heraus zu müssen, um die eigenen Verhältnisse so zu gestalten, dass die Probleme, vor denen wir stehen, gelöst werden. Der allerletzte Ratgeber, den eine Welt braucht, um Wege in eine neue Ordnung zu finden, ist die Arroganz aus der Provinz. 

Die Broker auf dem Platz

Nun hatten sie ihren Auftritt in Brasilien. Die zentraleuropäischen Achsenmächte Frankreich und Deutschland. Die jeweiligen Gegner waren jedoch ungleich. Während Frankreich trotz Sieges gegen ein indigen aufgestelltes Honduras lange Zeit Mühe hatte, schlugen die Deutschen gegen ein eher unglücklich agierendes Portugal in der Anfangsphase gnadenlos zu und entschieden die Sache frühzeitig für sich. Der Schiedsrichter vom Balkan empfahl seine Kohorte für mehr: Mit der engen Regelauslegung und Akkuratesse sollte der Balkan die europäische Bankenaufsicht übernehmen.

Die französische Nationalmannschaft spiegelt einen Schlingerkurs, den die gesamte Nation nun seit eineinhalb Jahrzehnten beschreitet. Nach dem grandiosen Gewinn der Weltmeisterschaft im Jahr 1998, die errungen wurde durch ein multikulturelles Ensemble um den Ausnahmefussballer Zinedine Zidane gedachte man zunächst so weiter zu machen. Die immer wieder notwendige Erneuerung blieb aus. Als das nicht mehr funktionierte, wurden Gründe gesucht. Das war die Stunde der Nationalisten, die die Immigranten auch aus der Nationalmannschaft los werden wollten. Als auch das nicht von Erfolg gekrönt war, holte man sie wieder herein. Die Mischung aus einer großen Variation von Fähigkeiten, Raum für das Experimentelle und der Spirit blieben aus. Frankreich wird sich bei der WM ein stückweit behaupten, der große Streich kann nicht gelingen, weil das Land stagniert.

Ohne es gelesen zu haben, werden die ausländischen Pressestimmen heute von der gnadenlosen Effizienz und prächtigen Organisiertheit der Deutschen berichten. Damit haben sie natürlich auch nicht Unrecht. Aber zunächst standen sich die Portugiesen selbst im Weg und es wurden Fouls mit einer Burschikosität geahndet, die das Spiel frühzeitig entschieden. Der großartige portugiesische Verteidiger Pepe hatte noch Müllers Theatralik während der Spiele zwischen Madrid und München im Kopf, als er diesem die Meinung blasen wollte. Da hatte ihm das Gedächtnis einen Streich gespielt, denn diesmal konzentrierte sich der Bayer aufs Stürmen und reüssierte zu einer Hoffnung der WM. Dann spielte Deutschland wie man das bei Italien immer kritisiert: sehr dosiert und effizient.

Interessanter, fast wie immer, die Reaktion der medialen Öffentlichkeit. Ein gelungener Pass, und schon ist man Weltmeister. Angela Merkel, der Kühlschrank, sprach von nur sechs Spielen bis zum Finale und in vielen Kneipen gab es allenfalls noch Streit über den Wunschgegner im Endspiel. Das wird anhalten bis zur ersten Niederlage. Dann wird die Euphorie einer Abrechnung weichen, die es in sich hat. Dann wird alles von Anfang an als ein einziges Desaster diskriminiert werden und weder Trainer noch Spieler wird noch die Fähigkeit zugesprochen, überhaupt auf einem solchen Turnier etwas zu suchen zu haben. Das Schwanken zwischen Größenwahn und Minderwertigkeitskomplex ist genau das, was Außenstehende so befremdet und die Skepsis fördert. Daran ändert auch der Fußball nichts.

Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass die klaren Siege der Achse Paris – Berlin nicht so zum Träumen inspirieren wie das hoch emotionale Brasilien, die dosierte Genialität Italiens oder der Lauf der niederländischen Himmelsstürmer. Die zentraleuropäischen Mächte wirken eher wie die Broker des Fußballs, immer ein Kalkül im Kopf, so kalt wie eine Natter. Das sollte auch, liebe Leserinnen und Leser, bei aller Begeisterung für das Spiel, das so vieles zu symbolisieren imstande ist, zur Wachsamkeit raten: In der Vergangenheit wurden die Turniere seitens der Regierenden immer wieder genutzt, um Rechte zu beschneiden und Zugriffe auf das Volk zu sichern. Böse Dinge, die der Michel im Rausch des Spieles nicht bemerkte um sich dann, wie so oft, hinterher die Augen zu reiben wie nach einem bösen Traum.