Schlagwort-Archive: militärische Vorherrschaft Deutschlands

The Past Is But Prologue

Am Eingang zu den National Archives der USA, in der Pennsylvania Avenue in Washington, ist zu lesen: The Past Is But Prologue. Ein Satz, der an Weisheit kaum zu überbieten ist. Dass er an einem Nationalarchiv angebracht ist, scheint zunächst einmal folgerichtig. Was sonst sollten die Motive sein, alles aufzuheben, was in den verschiedenen Zeiten eines Landes veröffentlicht oder in Dokumenten festgehalten wird. In den USA geht man soweit, selbst die Veröffentlichungen auf Twitter aufzubewahren. Einmal abgesehen von den immensen Speicherkapazitäten, die erforderlich sind, um das kollektive Gedächtnis zu pflegen: wert ist der Aufwand allemal. Die Summe dessen, was als Kommunikation und Wissen produziert wird, ergibt ein Bild über die Befindlichkeit und den Zivilisationsgrad einer Epoche.

Dass die Vergangenheit nicht nur ein Studienobjekt, sondern als ein Prolog der Gegenwart anzusehen ist, zeugt von einer Weitsicht, die in Zeiten der Aufklärung und der kritischen Geschichtswissenschaft als gegeben anzusehen war. Und dass dieser kluge Satz in der heute von uns erlebten Gegenwart kaum zur Geltung kommt, zeugt wiederum von einer zivilisatorischen Regression. Ja, wer die Vergangenheit meint ausblenden zu können, ist auf dem besten Weg zurück in die zivilisatorischen Frühzeiten, böse Zungen sprechen auch von der Barbarei. Unsere politische Klasse, vorneweg der Bundeskanzler und alle, die meinen, in der politischen Nomenklatura etwas zu sagen zu haben, wischen die Vergangenheit weg wie einen übel riechenden, halb verwesten Essensrest. Deshalb konnte es auch zu solchen Peinlichkeiten kommen, dass der neue chilenische Präsident den Bundeskanzler, der darum warb, dass Chile Munition für den Krieg in der Ukraine liefere, unumwunden fragte, ob die Deutschen denn gar nichts aus der Geschichte gelernt hätten? 

Der wiederum, unterstützt von einem Parteivorsitzenden, der wie anno dazumal von einer militärischen Vorherrschaft Deutschlands träumt, dokumentiert mit jeder Äußerung, dass ihm die eine oder andere Geschichtslektüre oder der eine oder andere Besuch in die deutschen Archive durchaus gut getan hätte. Stattdessen glaubt er mit Sätzen zu brillieren, dass ihn nicht interessiere, was vor 200 Jahren passiert sei. Die Anspielung bezog sich auf die Kriege Russlands um die Krim, die, könnte er lediglich rechnen, länger zurückliegen als die Existenz der glorreichen Vereinigten Staaten von Amerika. Zumindest dieses Detail sollte genug Vorwand sein, um einmal kurz nachzudenken.

Aber, und das sei eingestanden, wir haben es bei dem furchtbaren Debakel, das die westliche Expansionspolitik Richtung Osten angerichtet hat, nicht mit einem kognitiven Prozess zu tun. Dahinter steckt die pure Gier und die Arroganz von Revolverhelden, die im Jahr 1990 glaubten, mit dem Niedergang der Sowjetunion besäßen sie die Carte Blanche, um sich einzuverleiben, wonach ihnen beliebte. Dabei war die Lage nicht einfach, sondern kompliziert. Einerseits Länder, die unter der russischen Knute gelitten hatten und andererseits Russen, die plötzlich in fremden Ländern aufwachten. Es hätte eines Blickes in die Archive bedurft, um sich ein Bild davon zu machen, was passiert, wenn Sieger den Frieden diktieren und sich einen Dreck darum scherten, was aus den Verlierern wird.

Die Geschichte, von der behauptet wird, man solle sie nicht versuchen zu verstehen, sonst verliere man den Verstand, bietet unzählige Beispiele über derartige Situationen. Aus einer, die in den heute so genannten Pariser Vorstadt-Verträgen nachzulesen ist, entstand der deutsche Revisionismus, der Faschismus und der II. Weltkrieg. 

Jelernt, meine Damen und Herren, jelernt ham se nix. The Past Is But Prologue. Der Satz bleibt gültig.