Während die Hofberichterstattung in Schnappatmung verfällt, während von einer politischen Krise in Deutschland gesprochen wird, während Schuldzuweisungen an alle kreisen, die da sondiert haben, wird deutlich, dass das Verständnis von Demokratie tatsächlich das ist, was am Boden liegt. Nach der Theorie und der aus dieser abgeleiteten Werte handelt es sich dabei um eine Staatsform, in der um politische Perspektiven gerungen wird. In der darüber debattiert wird, wohin die Reise des Gemeinwesens gehen soll und wo danach gesucht wird, wie Mehrheiten in Bezug auf einzelne Gesetze und Programme gewonnen werden.
Nach Jahrzehnten satter Koalitionen, bei denen die Mehrheiten in der Regel immer zu Beginn einer Legislaturperiode feststanden, nach großen Koalitionen, die die parlamentarische Opposition zu einer Edelkomparse degradiert hatten, ist es jetzt vorbei mit der bräsigen Herrlichkeit, die diese Kanzlerin so gerne als „alternativlos“ bezeichnete. Denn sie, die den Helmut Kohl so wunderbar nachgemacht und sein Handlungsarsenal um manches erweitert hat, und die von TIME als die mächtigste Frau der Welt gepriesene nun da wie eine Königin ohne Land. Im Grunde ist ihre Zeit vorbei. Denn das, was auf sie zukommt, wenn es an die Bildung einer Minderheitsregierung geht, das kann sie nicht. Sie kann nicht mehr verschiedene Vorschläge anhören und sich dann so entscheiden, wie sie es für richtig hält. Nein, sie würde Kompromisse mittragen müssen, die ihr nicht gefallen.
In anderen Demokratien ist das ein durchaus üblicher Zustand. Und Länder, über die hier im Land der monolithischen Mehrheiten so gerne gelacht wird, ist das seit Jahren die Praxis. Wenn es eine Zukunft für Frau Merkel geben sollte, dann müsste sie nach Italien oder die Niederlande fahren und sich ansehen, wie so etwas geht. Das wird sie nicht machen, und deshalb ist ihre Ära zu Ende.
Es wird sich zeigen, ob es gelingt, nach den verklausulierten Machtformeln der Vergangenheit zu einem Diskurs zu kommen, der den Namen verdient. In dem gestritten wird um Positionen, in dem nach Wegen gesucht wird, denen Mehrheiten werden folgen können. Das Personal, das in der Dominanz großer Koalitionen sozialisiert worden ist, wird dieses nicht mehr vollbringen können, selbst wenn es das wollte. Vieles spricht dafür, dass mit dem Scheitern der Sondierungen für diese unsägliche Jamaika-Koalition auch etwas Wunderbares entstanden ist, nämlich der Beginn eines neuen Spiels, in dem andere Regeln gelten als der Zynismus der Macht und das Kohl-Merkelsche-Marionettentheater.
Es kann aber auch sein, dass es nicht gelingt. Dass diejenigen, die mit vollem Munde immer von den demokratischen Werten sprechen, die sie auch selbst ganz gerne in die Welt tragen wollen, gar nicht in der Lage sind nach diesen neuen Regeln zu spielen. Vieles spricht sogar dafür, dass alles, was nicht monolithisch gesetzt ist, als schlimmes Chaos empfunden wird, in dem sich niemand mehr auskennt. Fest steht, dass wir uns hier nicht in einem Musterland der Demokratie befinden, sondern in einer unter der Ägide des Kalten Krieges gegründeten Anstalt, in der Demokratie immer noch geübt wird und wo, immer wenn etwas Außergewöhnliches passiert, der Reflex in den Rückfall autoritärer Muster so funktioniert wie nirgendwo sonst.
Die Arroganz der Macht ist dahin und die Blase von dem Musterland, an dem sich die Welt orientiert, ist laut geplatzt. Jetzt wird es richtig spannend, und wir werden uns in der nahen Zukunft noch sehr oft die Augen reiben.

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