Je offener die Zugänge zu Ratio und Fakten ist, desto geringer scheint deren Anziehungskraft zu werden. Die tatsächlichen Möglichkeiten, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, sind im letzten halben Jahrhundert immens gewachsen. Und, trotz berechtigter Kritik, auch die staatlichen Bildungsinstitutionen haben sich lange Zeit teilweise erfolgreich bemüht, den jungen Menschen Perspektiven zu zeigen, die auf Bildung und eigenem Willen beruhten. Dass ausgerechnet jetzt, in einer Zeit, in der Technologien vorliegen, die das alles noch weiter unterstützen könnten, der Bildungsgrad der großen Masse eher degeneriert und die einzelnen Individuen immer unsicherer werden, zwingt dazu, sich die Sache etwas näher anzuschauen.
Theorien über das Phänomen nachlassender Bildung bei gleichzeitig steigender Bedeutung derselben, existieren eine ganze Menge. Nicht weiter helfen dabei diejenigen, die auf eine Jugendschelte hinauslaufen und mit der Stimmung „früher war alles besser“ enden. Sie verweisen oft auf einen Bildungskanon, der mit Vorsicht zu genießen ist, weil er die Entwicklung ganzer Regionen der Welt rigoros ausspart und als so etwas wie ein Okzidentalismus bezeichnet werden muss. Der Verweis auf sich rückentwickelnde oder immer weniger ausgeprägte Kulturtechniken dringt dagegen sehr stark an den Kern vor. Vor allem die offensichtlichen Mängel im Lesen und Schreiben, die eigene Unfähigkeit, allgemein lesbare Texte zu fertigen, die dürftiger werdende Imagination der Bedeutung von Zahlen und das fehlende Bewusstsein über die Verantwortung des Individuums selbst sind eine Entwicklung, die als desaströs bezeichnet werden muss.
Eine Gesellschaft, die ihre Sprache verliert, hat sich quasi von der historischen Bühne verabschiedet. Es muss nicht erst bemängelt werden, dass aus dem eigenen Sprachkreis keine Nobelpreisträger für Literatur mehr hervorgehen, um festzustellen, wie finster es im kollektiven Bewusstsein der Gesellschaft aussieht und um ihre Artikulationsfähigkeit bestellt ist. Die beste Diagnose liefern Texte, die zur allgemeinen Verkehrsform einer Gesellschaft gehören. Da sind die offiziellen politischen Bulletins, die ihrerseits Besonderheiten der ständigen Abstraktion bei gleichzeitiger Sinnentleerung aufweisen. Und da sind die Texte der Verwaltungen, die geprägt sind von einer stark durch die Rechtssphäre formalisierenden Sprache, die an sich nicht anrüchig wären, strotzten sie nicht von Fehlern, die darauf verweisen, dass selbst Staatsdiener höheren Ranges der Deutschen Sprache nicht mehr mächtig sind. Geben Sie sich die Probe selbst, aber nur, wenn Sie in einem stabilen Gemütszustand sind!
Neben dem Verschwinden von Kulturtechniken ist immer häufiger eine fehlende Ordnung im Kopf zu beobachten, die sich aus vorhandenen Werten speist. Das, was alle Pädagogen vereint, ist die Erkenntnis, dass die große Masse junger Menschen mit der Inflation von Informationen, die durch das Internet verfügbar sind, hoffnungslos überfordert sind. Es ist nur noch schlimmer, denn den Erwachsenen geht es nicht anders. Dass die größten Nutzerzahlen auf Gebieten wie Pornographie, Gewalt, Glücksspiel und Nonsens zu finden sind, ist ein Indiz für die These eines allgemeinen Abwärtstrends.
Wie bereits gefordert, ist die Eigentumsfrage hinsichtlich der Massenkommunkationstechnologien eine existenzielle. Damit alleine ist es jedoch nicht getan. Dazu gehört eine Kampagne zur fundierten Verbreitung der vorhandenen Kulturtechniken und die Vermittlung von gesellschaftlichen Werten, die sich auf die Aufklärung beziehen und nicht durch das aktuelle Gerede der herrschenden Politik kontaminiert sind. Der Aufwand ist nicht zu unterschätzen, die Notwendigkeit dieses zu tun, kann nicht hoch genug veranschlagt werden.
