Es existieren Wirkungszusammenhänge. Nicht nur bei Individuen, sondern auch bei Gesellschaften. Es muss nicht unbedingt die Bedürfnispyramide Maslows bemüht werden, um zu begreifen, dass die Bedürfnisse im Leben einer bestimmten Priorisierung folgen. Gesellschaften, die in Kriege verwickelt sind, können sich um andere Anliegen, durch die sie geprägt werden, nicht mehr kümmern. Es geht ums Überleben. Gesellschaften, in denen die nackte Armut herrscht, haben vor allem dieses Problem. Es bestimmt den Grad der Toleranz gegenüber Minderheiten. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral. Und wer um seine bloße Existenz zu kämpfen hat, den interessiert keine Nachhaltigkeit in puncto Natur. Gesellschaften, die in Frieden leben und deren existenzielle Grundlage gesichert ist, können sich mit der gebotenen Intensität um Fragen von Toleranz und Ökologie kümmern.
Die logische Folge dieser Zusammenhänge sollte Anlass dazu geben, die politische Agenda, nach der eine Gesellschaft sich selbst und ihr Umfeld gestaltet, zu überdenken. Um es sehr deutlich zu formulieren: Erst Frieden, dann soziale Sicherung, dann Toleranz und dann die Umwelt. Wird diese logische Kausalität missachtet, dann entstehen existenzielle Gefahren. Belege dafür bietet die Geschichte genug. Aktuell wird es in der Ukraine keine positive wirtschaftliche Entwicklung geben, solange der Frieden im Land nicht gesichert ist. Und in Griechenland wird die zu beklagende wachsende Feindlichkeit gegenüber Migranten est dann wirkungsvoll eingedämmt werden können, wenn die Armut erfolgreich bekämpft wird.
Die gegenwärtige politische Gemengelage in der Bundesrepublik Deutschland deutet auf einen hohen Grad von Verwirrung hin. Die sicherlich scheußlichen Ereignisse um die Pegida-Bewegung hat in vielen Städten zu sehr eindrucksvollen Mobilisierungen für das Prinzip der Toleranz geführt. Das ist gut, das ist löblich. Als Koinzidenz zum Ukraine-Krieg, denn von Konflikt kann nicht mehr gesprochen werden, ist diese Bewegung irritierend. Denn der Mobilitätsgrad gegen die Intoleranz steht in keiner Relation zu dem gegen den Krieg. Erklären, aber nicht entschuldigen kann den Umstand nur die Illusion, dass es in der wachsenden Konfrontation mit Russland schon nicht so weit kommen wird. Die Fakten sprechen jedoch dagegen. Russland wird von den eigenen Sicherheits- und Machtansprüchen nicht zurückweichen. Die NATO rückt Russland jedoch konsequent auf den Leib. Folgt man dieser Logik, dann ist eine Befriedung nur mit einer militärischen Niederlage Russlands oder einem Putsch innerhalb Russlands zu befrieden. Eine Illusion, genau wie die Vorstellung, die mehr als zwanzig Millionen Russen, die nicht in Russland leben, gäben sich protest- und kampflos einem solchen Szenario hin.
Einmal abgesehen von logischen Brüchen, die erklären soll, wer will, die aber niemanden mit etwas analytischem Denken befriedigen, seien folgende Fragen erlaubt: Wie glaubwürdig ist das Reklamieren von Toleranz, wenn das offene, gesprochene und gedruckte Ressentiment gegen Russen oder Griechen auch von denen hingenommen wird, die die Toleranz für sich reklamieren? Und wie logisch ist das Eintreten für eine nachhaltige Ökologie, wenn zu den schweren sozialen Ungerechtigkeiten im eigenen Wirkungskreis ebenso nachhaltig geschwiegen wird? Die Prinzipien, die die Prioritäten gesellschaftlicher Bedürfnisbefriedigung beschreiben, sind unteilbar. Frieden ist unteilbar, Wohlstand ist unteilbar, Toleranz ist unteilbar und die Bewahrung und Unversehrtheit der Natur ist unteilbar. Wer das leugnet, betreibt das Handwerk der Mystifikation.
Die politischen Schlussfolgerungen aus der gegenwärtigen Lage sind einfach und bestechend. Es wird darum gehen, einen Frieden herzustellen, der allen Völkern gerecht wird, es wird darum gehen, den Menschen in Europa ein einträgliches Leben zu ermöglichen. Alles andere ist Schmu. Im Krieg ist die Toleranz dahin.
