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Oberbürgermeister, Strategien und Prinzipien

Städte sind das Ur-Gen demokratischer Theorie. Im Laufe ihrer Geschichte dokumentierten sie den Weg der urbanen Zivilisation mit allen Irrungen und Verwerfungen. Heutige Metropolen brillieren durch ihre Komplexität. Sie schillern in Richtung Zukunft und sie werfen düstere Schatten auf Perspektiven, die weit in die Vergangenheit zurückweisen. Angesichts ihres nie da gewesenen Zuwachses und der damit verbundenen multiplen Entwicklungsmöglichkeiten stehen die Städte von heute an einer Sollbruchstelle. So weitermachen wie bisher wird nicht ausreichen, um eine erstrebenswerte Perspektive für das Zusammenleben zu entwerfen. Dazu bedarf es mehr. Beispiele existieren.

Städte mit Entwicklungspotenzial haben in der Regel Traditionen, die von Bestand sind, weil sie den Zusammenhalt der Bürgerschaft herstellen können. Mannheim, eine in deutschem Maßstab mit gerade 400 Jahren junge Stadt, verdient seine Existenz einem Fürsten der Aufklärung: Er ließ die Stadt nach geometrischen Aspekten am Reißbrett errichten. Zur Realisierung dieses pionierhaften Projektes lud er Spezialisten aus allen Teilen Europas ein, die mit ihrer kulturellen und ethnischen Vielfalt quasi on the job das Prinzip der Toleranz konstituierten. Das Tor war geöffnet für Wellen politisch und religiös Verfolgter, es begann mit Schiller und den Hugenotten und ging über Südamerikaner aus den Bananendiktaturen bis hin zu den Syrern unserer Tage. Nicht, dass andere Städte eine derartige Tradition nicht auch in dem einen oder anderen Falle aufzuweisen hätten. Hier aber ist das Prinzip der Toleranz das wesentliche Konstitutionsprinzip.

Der heutige Oberbürgermeister war nicht nur der erste in Deutschland, der die Kommunalverwaltung dahin umgestaltete, dass sie in der Lage sein wird, die Ergebnisse ihres Handelns zu evaluieren und somit der Politik die entscheidende Rückmeldung zu geben, was mit ihren Investitionen bewirkt wurde. Das macht in Deutschland keine Kommune, kein Bundesland und auch nicht der Bund. International sind es Staaten wie Brasilien, Südafrika und Indien, die damit begonnen haben.

Des Weiteren sorgte dieser Oberbürgermeister dafür, dass die Stadt, basierend auf ihrer aufklärerischen Tradition, eine Strategie entwickelt hat, die sehr klar umreißt, wohin die Reise gehen soll. Dieser rote Faden ermöglicht es, die verschiedenen Interessengruppen zu moderieren. Projekte der Teilhabe schießen überall aus dem Boden, weil die Bürgerschaft dazu aufgefordert ist, sich einzumischen. Doch keine Rosen ohne Dornen: neben vielen kreativen und intelligenten Ansätzen existieren auch hier die Versuche, primitives Partikularinteresse zu camouflieren. Die Herausforderung an den leitenden und moderierenden Oberbürgermeister wie an die Bürgerschaft ist ein Lernprozess, der als ein konsens- und identitätsbildendes Erlebnis begriffen wird, um das Gemeinwesen nach vorne zu treiben. Die Ziele, Toleranz, Urbanität, Kreativität, Bildung und kulturelle Interaktion, sie sind die Richtschnur für die jeweiligen Programme, die Weise wird bestimmt von dem Ziel und dem Prinzip der Toleranz. Das geht alles nicht ohne Konflikte, aber es schafft eine Mentalität, die durchaus in die Zukunft weisen kann.

Demokratie in einer Bürgerkommune geht neue Wege, ohne die Legitimität der alten zu leugnen, sie registriert den Irrtum als Notwendigkeit, um die Chance der Innovation nicht zu verstellen. Und sie sieht in allen Teilen der Bevölkerung ein Potenzial, das im Sinne seiner Kernkompetenz genutzt werden kann, zum Wohle aller. Oder, wie heißt es Urkunde zu den Stadtprivilegien Mannheims aus dem Jahre 1652….“und alle ehrliche Leut von allen Nationen zu berufen und einzuladen“…das Wohl und Gedeih der Stadt zu erschaffen. Manchmal muss man nur die klugen Sätze der Vergangenheit in die Zukunft transponieren.

Soviel Weisheit, soviel Feuer

Don Carlos in Mannheim

Unter dem Motto Macht Geschichte wurden am 2. Juni die jährlichen Schillertage in Mannheim eröffnet. In der Stadt, in der die Räuber uraufgeführt wurden und der deutsche Idealismus seine erste Sternstunde feierte, pflegt man diese Tradition, auch in Zeiten, in denen die Ideale des bürgerlichen Hochgefühls längst verschwommen sind. Mit der Neuinszenierung des Don Carlos wurde in diesem Jahr ein Thema gewählt, mit dem der Autor Friedrich Schiller vom Sturm und Drang zur Klassik reüssierte.

Die zeitgenössischen Gepflogenheiten bei der Inszenierung klassischer Sujets sind mit relativ wenigen Ausnahmen schnell auf den Punkt gebracht: Man versuche das Opulente des historischen Interieurs zu reduzieren auf das Feng Shui der modernen Büros und arbeite ein wenig mit phonetischen Arrangements und Lichteffekten, man transportiere etwas Hochtechnologie in die Veranstaltung und die so genannt moderne Inszenierung hat ihr Signet. Insofern hat der Mannheimer Don Carlos keine neuen Maßstäbe gesetzt. Was hingegen glänzt ist ein lakonischer Stil, der in der Intonation des klassischen Textes genau das leistet, was die optischen Inszenierungsversuche nicht mehr vollbringen: er transportiert den Text in einer Klarheit, die verblüfft.

Schillers Text aus dem Jahre 1787 ist die wohl rasanteste Referenz an die universale Konfliktlinie von individueller Emotion und dem Handeln der Macht, beides antagonistisch verschärft in dem Unterschied der Generationen und der Aporie in der Beurteilung von Gut und Böse, verursacht durch die fluoreszierende Linie unterschiedlichster Motive. Und gerade diese textliche Qualität kommt zum wuchtigen Vorschein durch die lakonische, nicht wie sonst euphorische Proklamation des idealistischen Textes. Die Reduktion des Interieurs auf das profane Erscheinungsbild des XXI. Jahrhunderts, die Stereotypie der Boss Anzüge und die quälende Präsenz von Laptops konfigurierten die Aufführung zu einem Deutungsangebot für die Welt der Broker und Berater wie für die Blaupausenwerkstätten politischer Entscheidungen.

Was die flandrische Unabhängigkeitsbewegung mit der Liebe des spanischen Thronfolgers zu seiner französischen Stiefmutter, der Königsgattin Elisabeth von Valois
zu tun hat oder die Heilige Inquisition mit der Prinzessin von Eboli auf dem Bettlaken des spanischen Königs Philipp II. sind die Schlüsselverstrickungen, die aus Don Carlos eine Folie machen, die das Nachdenken über die Motivationslagen im Lager der Mächtigen so anreichert. Der Irrglaube, das nachfolgende Zeitalter der Vernunft hätte das Spiel der Macht der Emotion und der individuellen Begehrlichkeit entledigt, entpuppt sich als Illusion erster Klasse.

Schillers Don Carlos ist nicht nur einer der Schlüsseltexte des deutschen Idealismus, die Inszenierung anlässlich der Mannheimer Schillertage trägt dazu bei, den Urtext als Quelle zu einem besseren Verständnis der Verstrickungen von Macht in der Moderne wirken lassen zu können.