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Das Absurde im Wahren

Das schöne an der Realität ist manchmal ihre Fähigkeit, sich selbst zu karikieren. Das sieht dann so aus, als sei es gar nicht mehr die Realität, sondern eine bewusste Überzeichnung dessen, was sie eigentlich ist. Dazu bedarf es dann keines Satirikers oder Karikaturisten. Nein, die beteiligten Menschen handeln so, wie es eigentlich gar nicht sein dürfte und machen den ganzen Akt dann zu einem Kunstwerk, das auf einer Theaterbühne präsentiert werden könnte, handelte es sich nicht doch eben um die ganz normale, schnöde Realität, die zu diesem Anlass jedoch ganz anders daher kommt. Der amerikanische Sänger Tom Waits hat das Phänomen einmal Beautiful Maladies genannt, am besten vielleicht übersetzt mit so etwas wie dem zauberhaften Debakel, im Deutschen könnte es vielleicht auch als das Absurde im Wahren betitelt werden.

Nun, vor wenigen Tagen, als ein emotional Überdrehter im bayrischen Grafing auf einem Bahnhof mit einem Messer auf Passanten losgegangen war und dabei einen Mann getötet hatte, keimte gleich die Frage auf, ob es sich dabei um eine terroristisch motivierte Tat handelte, da, so gaben manche Zeugen an, der Täter immer wieder Allah ist groß gerufen habe. Die örtliche Polizei schloss diese These allerdings nach Festnahme des Täters gleich aus, nachdem sie die Identität wie die Verwirrung des Mannes festgestellt hatte.

Kurz darauf, als handele es sich um eine Variante von Handlung I in Grafing, spielte sich einige hundert Kilometer nördlich in Müncheberg in Märkisch Oberland (MOL) auf einem Bahnhof ein anderes Szenario ab: Da hörten Mitreisende in dem im Bahnhof stehenden Zug einen Passagier, wie er laut und deutlich kurze Sätze wie Allah in Müncheberg, Allah ist gut und Allah Tschüss in sein Smartphone rief. Zumindest glaubten sie das zu hören, und sie hatten richtig gehört, nur nicht gesehen oder gewusst, wie der Mann seine Worte geschrieben hätte, wenn sie ihn dazu aufgefordert hätten. Jedenfalls flüchteten die Mitreisenden panikartig über die Gleise und anliegenden Gebäude, brachten sich in Sicherheit und alarmierten die Polizei.

Nach Angaben des Polizeidirektors Maik Kowalski, und auch hier sind wir wieder bei der Karikatur im Realen, ließ sich der Verdächtigte ohne jeden Widerstand festnehmen. Der Mann war zwar überrascht, aber ruhig und außerdem unbewaffnet. Nach seinen Parolen gefragt, die als islamistischer Hintergrund und eine potenziell zu erwartende Tat hätten Interpretiert werden können, brach dieser dann in Gelächter aus. Er hatte nämlich mit seinem Bruder in Mannheim telefoniert und seine bevorstehende Ankunft durchgeben wollen. Dabei hatte er sich sprachlich des Mannheimerischen bedient und das dort oft verwendete Alla, übrigens abgeleitet aus dem französischen Allez, welches eine treibende Rolle in der sprachlichen Handlung einnimmt, gebraucht. Der Irrtum der panikierenden Mitreisenden, wie es treffender im Luxemburgischen ausgedrückt würde, bestand in einer antizipierten Schreibweise, die es so im Mannheimerischen gar nicht gibt, die aber den Schluss nahelegte, es handele sich um den arabischen Begriff für Gott. Der Mann konnte danach seine Heimreise nach Mannheim fortsetzen und, sofern vorhanden, seinem wie auch immer lokalen Gott dafür danken, so glimpflich einer provinziellen Fehlinterpretation entgangen zu sein.

Was das alles aussagt über die Befindlichkeit der Bevölkerung, die natürlich auch darauf reagiert, wie die Realität, in der wir uns bewegen, medial kommuniziert wird, sei jetzt einfach nicht hinterfragt. Die Absurde im Wahren, die Beautiful Maladies, sie wirken stärker aus sich selbst heraus.

Nomaden in der Kommune

Gegenwärtig tagt in Mannheim ein Urban Thinkers Campus. Dabei handelt s sich um eine von mehreren weltweit stattfindenden Vorbereitungskonferenzen für die in Quito, Peru, geplante Sitzung von UN-Habitat, der World Urban Campaign des UN-Siedlungsprogramms. Es geht dabei darum, die wesentlichen Probleme weltweiter urbaner Entwicklung zu fokussieren und Lösungskonzepte zu entwickeln.

Die in diesem Rahmen bisher stattgefundenen Beratungen haben bekannte wie relevante Themen zum Gegenstand, von der Versorgung mit Trinkwasser über die Frage des Lebensraums von Arbeit und Wohnen bis hin zur Digitalisierung. Ausgeblendet wird kaum etwas, Klischees werden ebenso wenig bedient. Die vorbereitenden Urban Thinker Campuses sind zu betrachten als Stoffsammlung für eine entscheidungsrelevante UN-Programmatik. Dass eine solche nicht mit der realpolitischen Faktizität korrespondiert, versteht sich leider nahezu von selbst.

Bemerkenswert bei der Mannheimer Tagung sind dennoch einige Aspekte. In seiner thematischen Einlassung sprach der amerikanische Politologe Benjamin Barber, seinerseits Initiator des City Counsel of Mayors und Autor des bemerkenswerten Buches What if Mayors ruled the World? . In seinen Ausführungen machte er deutlich, dass die Kommune der Ort sei, an dem alle politischen Probleme von praktischer Relevanz gelöst werden müssen. Bürgermeistern, so seine These; kann der Rechtsstatus eines Immigranten egal sein, für sie ist die Tatsache der physischen Existenz entscheidend. In der Kommune, so sein Schluss, werden alle Fragen von Politik gelöst und er führte weiter aus, dass in den Kommunen 70 Prozent der Wertschöpfung stattfinde, wovon aber maximal 30 Prozent blieben. Der Rest würde von den Zentralstaaten konsumiert. Die Krisenappelle der Metropolen, die zudem zumeist von deren Bürgermeistern nahezu einstimmig, über Parteigrenzen hinweg, formuliert würden, verwiesen immer auf die zu knappen Mittel.

Das Alleinstellungsmerkmal des Mannheimer UTC war der Aspekt der Immigration, mit dem Titel Urban Citizenship in a Nomadic World wurde nicht nur ein aktuell politisch brisanter, sondern auch ein perspektivisch an Bedeutung noch zunehmender Aspekt in den Fokus gerückt. Mannheims Oberbürgermeister Peter Kurz verwies auf die derzeit weltweit 60 Millionen Flüchtlinge, die in die Metropolen drängten. Neben dem, was derzeit hinsichtlich direkter Maßnahmen diskutiert wird, ist der Umgang der verschiedenen Weltmetropolen mit dem Dauerphänomen zahlenmäßig großer Immigration von großem Interesse. Es handelt sich in den Metropolen nicht nur um die immer wieder von konservativer Seite angeprangerten rechtsfreien Räume, sondern oft, meisten sogar simultan, auch um Labors von Innovation, hinsichtlich sozialer Beziehungen, produktiver Verfahren und von Dienstleistungen. Längst sind, wenn die Integration gelingt, diese metropolitanen Frischluftzonen die Innovationsstraße für ganze Volkswirtschaften geworden. Auch hier ist die Ambivalenz von Chance und Gefahr offenkundig und nur eine holistische Sichtweise vermag dazu führen, eine vernünftige Programmatik zu entwickeln.

Seit der Pariser Commune im Jahre 1871, die gerade einmal 100 Tage überlebte, flammt die Idee der lokalen Kommune als Staatsidee oder, besser formuliert, als politisches Modell immer wieder auf. Im Kontext rasender Internationalisierung erhält dieses Modell gegenwärtig eine neue Chance. Sehr beeindruckend ist dabei auch ein Prototyp des Politikers, der sich mittlerweile bei Bürgermeistern großer Städte zeigt: Sie müssen über politische Horizonte internationaler Dimension verfügen, sie müssen die Interaktion polykultureller Akteure moderieren und sie müssen ganz praktische Probleme lösen. Da reift etwas heran, das sich gravierend von den Apparatschiks zementierter Bürokratien unterscheidet.

Ein Modell bleibt dann Illusion, wenn deutlich wird, dass die Akteure, es mit Leben zu füllen, nicht gefunden werden können. Die Kommune der Zukunft hat allerdings schon erste Charaktere gefunden, die dazu in der Lage sind, eine Rolle zu spielen.

 

 

Herbie, the Big Boss of the Black Market

Zu Ende des Krieges nahmen sie die Stadt. Die Bevölkerung empfing sie als Befreier. Schon oben aus der Luft hatten sie sich entschieden, nach Heidelberg sollten die Headquarters, das blieb verschont, Mannheim mit seinen Industrieanlagen musste daran glauben. Trotzdem waren die meisten froh, als ihre Panzer durch die Straßen rollten. Mit vierzigtausend Mann schlugen sie ihre Quartiere auf. Und sie blieben Jahrzehnte. Mit ihnen kamen nicht nur Konsumgüter und Aufbauhilfen, sondern auch der Blues und der Jazz. Eine Stadt, die schon immer eine Identitäten in der Musik gefunden hatte, konnte da nicht ruhig bleiben. Clubs entstanden und es wurde heiß in den Quadraten. Da die unteren Dienstgrade mehrheitlich mit Schwarzen belegt waren, kamen die Rhythmen aus Louisiana, Alabama und Tennessee schnell in die Quadrate. Rotlichtbezirke entstanden, die bald jegliche Proportionen der Stadt außer Kraft setzten.

Die Zahlkraft der GIs war immens und es krachte aus allen Fugen. Viele junge Deutsche, die aus dem Kapitel der vergangenen Geschichte entfliehen wollten, wurden von dem Lebensgefühl angesteckt und es dauerte nicht lange, bis einige respektable lokale Musikerinnen und Musiker zusammen mit den amerikanischen Bands auf den Bühnen standen und das Publikum entflammten. Und dann kamen die Großen. Louis Armstrong gastierte in der Stadt, er brachte es sogar auf eine Suite im ersten Hotel am Platz, später folgten Miles Davis und jüngere Jazzer.

Die Coleman Barracks waren legendär, dort, im Mannheimer Norden, residierte der Süden der USA. Steigt man heute noch in ein Taxi, in dem ein älterer Fahrer sitzt und schreit beim Einsteigen, Hey Man, bring me to the chicken house, dann lacht er und schwärmt von den alten Zeiten, die leider vorbei sind. Der Prozess ging über Jahrzehnte. Als Deutschland das vollzog, was so gerne das Wirtschaftswunder genannt wird, drehten sich die Verhältnisse. Die Deutschen hatten plötzlich das Geld in der Tasche und die GIs waren klamm bei Kasse. Vorbei die Zeiten, in denen sie mit Straßenkreuzern durch die engen Gassen geschlichen waren und faszinierte Blicke auf sich gezogen hatten. Nun fuhren sie in Kleinwagen herum und verschwanden immer mehr aus dem öffentlichen Bild.

In diesen Jahren suchten die GIs ihre Einkommen ein bisschen aufzubessern, indem sie vor allem Bourbon und Zigaretten aus den PX-Läden unter der Zivilbevölkerung zu verhökern suchten. Dafür brauchten sie Kontaktmänner, die sie zumeist in den vielen kleinen deutschen Bands fanden. Herbie war so einer, er spielte in einer Rock ´n´ Roll Band und kannte eine Menge Leute. So konnte es passieren, dass man am Wochenende auf einer Privatfete saß und es irgendwann gegen Mitternacht an der Tür klingelte und Herbie die Wohnung betrat, eskortiert von zwei mächtigen GIs. Herbie zu verstehen war nicht so einfach, er kam aus einem kleinen Ort in der Pfalz mit einem unaussprechlichen Namen und kauderweschlte ein Englisch, das nahezu nicht dechiffrierbar war.

Natürlich wussten wir, wenn Herbie mit diesen gewaltigen Gestalten auftauchte, was Sache war. Wir boten den Herrschaften dann Bier oder Wein an und es dauerte nicht lange, bis die Herren dann selber die Verhandlungen führten, die eigentlich keine waren. Eine halbe Gallone Jim Beam ging für 25 Mark über den Tisch, eine Stange Zigaretten kostete 15 Mark. Hatten alle ihre Wünsche geäußert, dann ging einer der beiden Adjutanten unten zum Wagen und brachte die Ware. War der Deal gelaufen, schüttelten wir uns alle die Hände und Herbie war dann an der Reihe, das Ritual zu beenden, Hey Guys, who is the big boss of the black market? Worauf hin seine Begleiter dann skandierten You, Herbie, it´s You und dabei so tief und amüsiert lachten, dass nichts blieb als gute Stimmung. Soviel ich weiß, lebt Herbie wieder in der Pfalz und die sympathischen Jungs haben hoffentlich einen netten Club in Baton Rouge oder Memphis.