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Eine Infantilisierung der Politik?

Gerade diejenigen, die sich noch vor kurzem so schön über die kalte Vermittlung politischer Nachrichten als einer Methode a la Radio Pjöngjang mokiert hatten, trugen während des Wahlkampfes in den öffentlich rechtlichen Sendeanstalten zu etwas bei, das durchaus als eine neue Qualität der politischen Berichterstattung bezeichnet werden muss. Wie auf einem Kindergeburtstag wurden Inhalte präsentiert, von deren politischer Gestaltung das Schicksal von Millionen Menschen abhängt. Ob in Bezug auf die so genannte Euro-Rettung, die Frage nach einem Mindestlohn, den Umgang mit Steuerflucht, die Transition der Energieversorgung, den Export von waffenfähigem Material, die Entscheidungsstruktur in Bildungsfragen oder die Transparenz bei der Rechtsprechung, es ging zu wie bei einem drittklassigen Quiz.

Entweder durfte das Publikum raten, oder die Kandidatinnen und Kandidaten der politischen Dateien mussten analog zu geplanten Bündnissen knifflige Aufgaben lösen. Mal stand das allseits beliebte Gesellschaftsspiel Tabu Pate, mal wurden absurde Satzanfänge vorgegeben, die die Kandidaten zu Ende führen mussten. Was sie dabei unter Beweis stellen mussten, war nicht die Fähigkeit bestimmten politischen Vorstellungen Gestalt zu geben, sondern ob sie geeignet sind, bei einer jener ätzenden Casting-Shows zu bestehen. Mit der Hinterfragung politischer Qualität hatte das nichts zu tun. Und wenn dieser Firlefanz irgend etwas unter Beweis gestellt hat, dann die Leidensfähigkeit derer, die bereit waren, sich dem politischen Wettbewerb zu stellen. Und es dokumentierte den Horizont derer, die glauben, sie stammten aus dem Genre des politischen Journalismus.

Die systematische Infantilisierung von Politik ist ein beredtes Indiz für das mediale Absinken in eine nie zuvor in dieser Dimension praktizierten Konzeption der Entmündigung aller Akteure: Der Wählerinnen und Wähler wie der Politikerinnen und Politiker. Letztere machten mit, weil sie der Magie positivistischer Wirkung auf die demoskopischen Erhebungen unterliegen, erstere, weil sie schlichtweg ausgesucht und instruiert wurden, um nach Potemkinscher Art der Zuschauerschaft eine Vorstellung von Partizipation zu suggerieren, die in Wahrheit keine ist.

Die große Illusion, dass alles, was öffentlich ist, auch für Transparenz sorgt,wurde genutzt zu einem Konstrukt des vermeintlich schönen Scheins. Wie anno dazumal mit der Einführung des Radios und dann mit dem Fernsehen, so wurde auch jetzt dort unter Zuhilfenahme der Social Media und aller damit verbundenen Plattformen versucht, die Fata Morgana einer breiten Öffentlichkeit aufleuchten zu lassen, die die Gewährung eines öffentlichen Diskurses um die essenziellen Fragen der Sache des Gemeinwesens simulierte.

Wer es ernst meint mit Demokratie, der kann sich einer solchen Inszenierung nicht ohne Widerspruch ausliefern. Das durchaus Interessante bei diesem Prozess, an dessen Ende die Wahlen standen, ist die Tatsache, dass die Bevölkerung, deren Entmündigungsreife man gehörig überschätzt hatte, ihrerseits jenseits der so oft wiederholten und gewünschten Prognosen der tatsächlich dargebotenen Politik eine Einschätzung entgegengesetzt hat, mit der die medialen Regisseure nicht gerechnet hatten. Das Wahlverhalten war alles andere als infantil und die Resonanz auf die über das Votum erzeugten Ergebnisse reichen von Konsternierung bis zu großer Verunsicherung.

Die Ansatzpunkte, die der Versuch einer Entpolitisierung der politischen Entscheidung durch Teile der Politik und nahezu die gesamte Riege der öffentlich rechtlichen politischen Berichterstattung gezeitigt wurden sind ungemein wichtig für den weiteren politischen Diskurs. Nicht umsonst kursiert ein Begriff in allen Netzwerken und Blog-Publikationen, der ansonsten nur für totalitäre Regimes reserviert war: der der Propaganda. Denn die Infantilisierung der Politik ist ein infames Mittel medialer Manipulationsstrategien.

Radio Pjöngjang

Ausgerechnet Klaus Kleber, der Jurist, der sich zu einem durchaus respektablen Journalisten gemausert hat und den wir alle aus dem Heute Journal kennen, ausgerechnet Klaus Kleber verglich die Tagesthemen der ARD mit den Nachrichtensendungen Nordkoreas, in denen mit kalter Miene vom Blatt abgelesen werde. In seiner eigenen Sendung, in der er selbst erscheint wie das letzte Relikt aus einer Ära, als man noch eine Vorstellung vom Gehalt einer Nachrichtensendung hatte, dominiert nicht die Regie aus Pjöngjang, sondern die aus Bollywood. Was die Moderatorinnen in diesen Format an den Tag legen, ist lauer Zeitgeist, eine Mischung aus lapidarer Sprache und anti-autoritärem Trotz und weit entfernt von dem, was es zu reklamieren sucht.

Unerwarteter und erstaunlicher Weise waren die Kommentare derer, die Klebers Auslassungen in spiegel online gelesen hatten, durchweg kritisch. Sie teilten nicht die Auffassung, dass eine Nachrichtensendung locker und unterhaltsam sein müsse, um als qualitativ wertvoll bezeichnet werden zu können. Nahezu einhellig dokumentierte die Leserschaft ihren Willen zu Konzentration und Seriosität. Das beruhigt, ist aber wohl eher ein Zufallsergebnis.

Der scheinbar an Unterhaltungskriterien entwickelte Diskurs kaschiert allerdings eine sehr verbreitete und seit längerer Zeit ebenfalls in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten durchaus etablierte Form der Meinungsbildung und gezielten Manipulation. Vor allem die Kolleginnen von Herrn Kleber sind für alle, die eine Nachrichtensendung anschalten, um Nachrichten zu erhalten, ein ständiges Ärgernis. Wie Modelle aus der anti-autoritären Kinderladenbewegung werfen sie ihr infantiles Politikverständnis mit einem rotzigen Ton und sprachlich restringiert in die längst ausgeschlagene Waagschale, um ihre persönliche Meinung zu einem Maßstab für die Zuschauerinnen und Zuschauer zu machen. Dabei ist das Politikverständnis bemitleidenswert eng gefasst, der sprachliche Duktus allenfalls ausreichend für eine Casting-Show und der Emotionsexhibitionismus eher ein Fall für das Dschungel Camp oder Big Brother.

Die Entwicklung des Heute Journals korrespondiert mit dem vermeintlichen nachlassenden Vermögen der Zielgruppen, aus einer kalten Information, die als ein Faktum für sich steht und die aus einem bestimmten Kontext zu deuten ist, sich eine eigene Meinung zu bilden. Es ist nicht nur seltsam, dass es immer noch viele Menschen gibt, die diese Art und Weise des Informationserwerbs bevorzugen, sondern auch in der Lage sind, den manipulativen Charakter der immer mehr um sich greifenden Nachrichtendeformation zu entlarven.

Das Problem liegt also nur zum Teil an den massiv betriebenen und auf allen Kanälen forcierten Entmündigungsversuchen, sondern in der Unfähigkeit, eine wirksame Opposition zu organisieren. Das Phänomen, das sich nolens volens hinter dem Vergleich mit Pjöngjang verbirgt, ist der Zusammenhang von Unterdrückung und Bevormundung und dem Maß notwendiger Gewalt. Während Regimes wie das in Nordkorea noch mit einer sehr eindimensionalen Vorstellung von Steuerung und Bevormundung agieren und notfalls mit dem Einsatz von Uniformierten daher kommen müssen, sind unter hiesigen Verhältnissen die bunt gekleideten und nett anzusehenden Mickey Mäuse aus dem Heute Journal in der Lage, zersetzende Herrschaftsideologie unters Volk zu bringen. Dort, wo sich Menschen organisiert gegen die modernen Raubzüge gegen den Humanismus zur Wehr setzen, rügen sie mit Liebesentzug und dort, wo die Illusion einer nie zu realisierenden Versöhnung gepflegt wird, reagieren sie mit einem verheißungsvollen Augenaufschlag. Und sie suggerieren schelmisch den bedingungslosen Individualismus als das höchste Gut. Das ist die schöne neue Welt, oder, wenn man so will, das moderne Radio Pjöngjang.