Schlagwort-Archive: Mäuse

Struktur und Strategie

Eines der antiquiertesten und am wenig aussichtsreichen Unterfangen im Bereich der organisatorischen oder strukturellen Entwicklung ist das Streben nach einem vorgegebenen Muster. Eine bestimmte Struktur für die beste Lösung zu halten, unabhängig von den Bedürfnissen und Bewegungen des Gesamtsystems, ist eine alte Betrachtungsweise, die sich historisch immer wieder als Streit von so genannten Schulen artikuliert hat. Bei der Organisationsentwicklung ist es in der Regel der Streit zwischen Zentralismus und dezentral gewährten Autonomien. Beide Betrachtungen können etwas für sich haben, wenn sie in dem Kontext der konkreten historischen Situation untersucht werden. Und beide Betrachtungen sind so alt wie die Menschheit selbst.

Der strukturelle Zentralismus basiert auf der Analyse, dass die Menschen innerhalb der Organisation, aber vom Zentrum aus gesehen in der Peripherie, nicht über die notwendige Reife und Qualität verfügen, um der Räson und Rationalität der Gesamtorganisation zu entsprechen. Deshalb soll im Zentrum eine Funktionselite alle Prozesse kontrollieren und die wesentlichen Entscheidungen treffen. Die Konzepte der relativen Dezentralität wiederum berufen sich auf den höheren fachlichen Sachverstand vor Ort und verlangen daher nach der Entscheidungsdominanz an der Peripherie, während sie dem Zentrum eher eine Servicefunktion zuweisen. Kurioserweise dominiert die zentralistische Perspektive zumeist in Zeiten knapper Ressourcen und die dezentrale in denen relativen Wohlstandes. Welche von beiden tatsächlich wirtschaftlicher ist, wurde de facto nie ernsthaft beantwortet. Klar scheint zu sein, dass in frugalen Zeiten der Wunsch nach mehr Kontrolle und weniger Vertrauen dominiert.

Der berühmte Satz des chinesischen Reformers Deng Hsiao Ping, ihm sei es egal, ob eine Katze schwarz oder weiß sei, Hauptsache, sie finge Mäuse, kann bei der Strukturfrage in vielerlei Hinsicht helfen. Denn entscheidend sind keine Schulen oder Muster, sondern entscheidend ist das Funktionieren. Solange diese Frage nicht gestellt und positiv beantwortet ist, solange handelt es sich um eine fruchtlose Übung. Die Lösung des Problems liegt in der sehr schlichten und einfachen Frage, was die Organisation bezwecken soll.

Erst der Zweck oder das Ziel kann einer Betrachtung über die Struktur Sinn verleihen. Denn eine Organisation an sich existiert nicht. Eine Organisation ist der Zusammenschluss vieler Strukturen, Werkzeuge und Menschen, um einen bestimmten Zweck zu erreichen. Je größer eine Organisation ist, desto mehr unterliegt sie auch so etwas wie einer Eigendynamik, die allen Organisatoren gemein ist.

Es handelt sich dabei um den Drang eines jeden Systems, sich selbst zu erhalten, sich auszudifferenzieren, Komplexität zu reduzieren und die letztendliche Verflechtung zu erhöhen. Aber das ist, solange das Auge derer, die die Organisation zu verantworten haben, wachsam bleibt, ein Problem, das immer zum running business gehört. Der Streit der Schulen jedoch kann, sofern er fernab der Frage nach dem konkreten Sinn und Nutzen für die Organisation geführt wird, die Existenz der Organisation aufs Spiel setzen. Wenn es wichtiger wird, ob die Katze schwarz oder weiß ist als dass sie Mäuse fängt, dann wird aus der Sinnkrise eine Existenzkrise.

Trotz der Augenfälligkeit des Sachverhalts treten derartige Erscheinungen immer wieder auf. Sie sind aus einer gewissen Ratlosigkeit zu erklären, die aus einer mangelnden Transparenz des Gesamtzusammenhangs resultieren. Letzterer ist der Schlüssel zu der immer wieder notwendigen Sinngebung: Nur wenn deutlich ist, warum eine Organisation was macht, bekommt es einen Sinn, die Frage nach dem Wie zu stellen. Die Strategie bestimmt die Struktur.

Von chinesischen Katzen und kapitalistischen Mäusen

Böse Zungen behaupten, die unsichtbare Hand des Marktes ordne gerade wieder alles, was aus den Fugen geraten sei. Denn der freie Markt ist ja bekanntlich der beste Ordnungshüter. Angebot und Nachfrage, um präzise zu sein, sind nach Adam Smith das unbestechlichste Kriterium für die Entwicklung von Leistungen und Produkten. Künstlich erzeugte Begehrlichkeiten wirken nicht so lange und da, wo ein Bedürfnis herrscht und kein Angebot vorliegt, scheint irgendetwas aus dem Ruder gelaufen zu sein. Auch das gibt es. Und die ordo-liberale Theorie von der ordnenden Hand des Marktes gehört zu den ewigen Schimären kapitalistischer Mystifikation, die selbst so dezidiert nie von Adam Smith vertreten wurde.

Nun aber dennoch: Mit dem gegenwärtigen Schlingern einer gesteuerten Marktwirtschaft wie der chinesischen sind sehr viele puristisch angelegte kapitalistische Unternehmen in eine Gefahrenzone geraten. Sie haben nämlich das gemacht, was die Stärke des Kapitalismus ausmacht, sie haben dort Geschäfte gemacht, wo sie gemacht werden konnten, unabhängig von Kultur oder Weltanschauung derer, mit denen sie in die geschäftliche Interaktion treten. Die kapitalistischen Katzen haben chinesische Mäuse gefressen. Und die chinesischen Katzen kapitalistische Mäuse und so ideologisch den Satz verwendet, der die spätsozialistische Funktionsweise der späten Comecon-Ökonomien beschrieb: Wenn jeder jedem was klaut, kommt keinem was weg.

Und jetzt, wo der große, von allen Gierigen als unendlich gepriesene Markt schwächelt, genau jetzt beginnt in den traditionellen Hochzentren des Finanzkapitals ein Gejammer über die Wachstumsbeschwerden einer Ökonomie, die so gar nicht nach der Philosophie des Wirtschaftsliberalismus funktioniert. In China, hinter der Mauer, da herrschen andere Gesetze. Ob sie dem Betrachter aus dem Westen schmecken oder nicht, das interessiert die Chinesen keinen Deut. Sie denken in anderen Dimensionen und auch ganzheitlicher, da haben sie den jungen Zivilisationen einiges voraus. Und sie denken auch nicht in Kategorien von Einzelschicksalen, weil es dort keine bürgerliche Revolution gab, in deren Theater die Selbstfindung und Läuterung des Individuums eine zentrale Rolle spielte. In China, bei der Planung, wird als kleinster Einheit in kollektiven Generationen gedacht. Ob da das individuelle Glück oder Wohlergehen leidet, wen stör es?

Umso gespenstischer ist das Bangen der westlichen Zivilisationen um den chinesischen Markt. Der Blickwinkel, aus dem gebangt wird, entstammt dem Interesse des bürgerlichen Individuums, das nicht wie in seinem Anfangsstadium nach Freiheit und Glück, sondern nach Coupon und Rendite strebt. Beglückend da die Tatsache, dass die Entscheidungen, die in China angesichts der Krise getroffen werden müssen, sich nicht am Wohle der zitternden Spät-Individuen der bürgerlichen Gesellschaft orientieren werden, sondern an den Interessen zukünftiger Generation, alle Fehlannahmen natürlich inbegriffen.

Insofern wird gerade ein Stück aufgeführt an den Börsen, das wissentlich so noch nie dagewesen ist. Die Spekulanten des kapitalistischen Westens bangen um die Solvenz des kommunistischen Ostens. Ganze Volkswirtschaften des Westens sind in die im Osten getätigten Investitions- und Spekulationsprogramme derartig involviert, dass sie zu kollabieren drohen, wenn die Kommunistische Partei Chinas nicht gegensteuert. Das ist tatsächlich großes Kino. Die Suprematie des freien Marktes, seine ordnende Hand und alles, was ansonsten an geistigem Zinnober in die Lehrbücher der abendländischen Volkswirtschaftslehre Eingang gefunden hat, entpuppt sich als Mystifikation. Nicht, dass das chinesische System, welches im Augenblick seines Schwächelns die eigene Macht über den Kapitalismus unter Beweis stellt, zu mehr Freiheit und Glück führen würde! Auch das ist eine Illusion. Aber es wird deutlich, wie abgenutzt die eigenen Erklärungsmuster geworden sind.