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Der König ist tot!

Wer sich sicher war, wie die WM verlaufen würde, der ist bereits enttäuscht worden. Denn vieles, was prognostiziert wurde, traf bis dato nicht ein. Das trifft auf die politischen Entwicklungen ebenso zu wie auf die sportlichen. So wie es scheint, bringt die WM in Brasilien selbst zum ersten Mal nach langer Zeit so etwas wie einen Dialog zwischen Regierung und Straßenopposition zustande, was immer wieder durchsetzt wird durch Rückschläge, aber immerhin. Und beim Fußball ist bis jetzt nur eine Prognose eingetroffen, die viele formuliert hatten: Die amerikanischen Mannschaften spielen eine dominante Rolle beim Turnier auf dem eigenen Kontinent. Dass dieses an einer besseren Verträglichkeit des Klimas liegt, wie es hier so gerne kolportiert wird, scheint allerdings ein Weihnachtsmärchen im Juni zu sein.

Das Duell zwischen Brasilien und Mexiko war in vielerlei Hinsicht lehrreich. Zum einen zeigte es, dass kein Favorit irgendwo das Privileg bekommt, im Spaziergang weiter zu kommen. Zum anderen wurde dem europäischen Beobachter deutlich, dass auf dem Kontinent des Machismo dieser noch in voller Blüte steht. Bei dem gesamten Spiel, das reiner Kampf, war lief ununterbrochen die Testosteronpumpe. Eleganz, technische Brillanz, ästhetische Genialität, viele Attribute, mit denen der brasilianische Fußball in der Vergangenheit betitelt worden war, kamen nicht zur Geltung, weil Gegner Mexiko den Kampf seines Lebens kämpfte und klein, aber erhobenen Hauptes die Arena des maskulinen Überlebenskampfes wieder verließ.

Die Niederländer, die so furios den amtierenden Weltmeister Spanien düpiert hatten, mussten schon im zweiten Spiel gegen Australien lernen, wie bissig die Underdogs auch diesmal daher kommen und wie wenig sie bereit sind, sich mit ihrer Komparsenrolle zufrieden zu geben. Außerdem ging es für sie bereits um alles, was sie freilich verloren, weil das gegenwärtige niederländische Team zweierlei Tugenden aufweist, die miteinander korrespondieren: Kampfkraft und Athletik pur sowie technische Brillanz. Dagegen sind wenig Kräuter gewachsen.

Und dann der Königsmord! Chile, ausgerechnet Chile, das Land, in dem in der Vergangenheit soviel Tränen fließen mussten, betrat die Arena in Rio de Janeiro und exekutierte mit einer fulminanten, beherzten und trotzdem herzlosen Vorstellung den amtierenden Weltmeister. Die Spanier, seit einem Jahrzehnt mit ihrem System des Tiki-Taka das Maß aller Dinge, hatten nicht den Hauch einer Chance. Weltstars liefen chilenischen Legionären, die in der walisischen Provinz ein besseres Klempnergehalt verdienen hinterher wie verschmähte Liebhaber, die auf ihre funkelnden Ringe an faltigen Händen verweisen. Es war herzlos, es war brachial und es zeigte wieder einmal in aller Deutlichkeit, wie schnell plötzlich alles anders ist, wenn herrschende Systeme ihren Zenit überschritten haben: sie implodieren regelrecht, was weder die niederländische noch die chilenische Leistung in der Bewertung schmälern soll.

Und da deuten sich vielleicht auch schon die ersten Lehren an. Der momentan erfolgreiche Fußball setzt auf Kampf und Geschwindigkeit und nicht auf Geduld und Technik, so wie es die spanische Epoche ausmachte. Das ist, nach dem von vielen Plagiatoren des Tiki-Taka praktizierten Usus ein nervenaufreibendes und dennoch langweiliges Hin-und-Her-Geschiebe, eine erfrischende Entwicklung. Dass der Club Bayern München sich mit seinem Trainer Pep Guardiola die Lizenz auf dieses Auslaufmodell gesichert hat, wird auch noch ein interessantes Kapitel beschreiben, ist hier aber nicht von großem Interesse. Momentan zählt nur eines: Der König ist tot und die schönen Töchter Amerikas sind noch auf der Suche nach einem neuen.

007 revisited

William Boyd. Solo. A James Bond Novel

Es gehört Mut dazu, dem Werk eines Kult-Autors aus eigener Feder etwas hinzufügen zu wollen. William Boyd, der selbst Bestseller wie Ordinary Thunderstorms, Any Human Heart und Waiting For Sunrise aufzuweisen hat, konnte dieser Versuchung nicht widerstehen. Er nahm sich die Werke Ian Lancaster Flemings vor, den namentlich vielleicht nicht viele kennen, aber dessen Romane alle verfilmt wurden und unter dem Namen James Bond, 007 der ganzen Welt bekannt sind. Casino Royale, Moonraker, Diamonds Are Forever oder Goldfinger sind Titel, die in den meisten Menschen bis in unsere Tage Bilder hervorrufen, die legendär sind und auf die Filmerfolge zurückzuführen sind.

William Boyd selbst ist Erfolgsautor und Afrikakenner. Also machte er das, was er selbst sehr gut kann und schrieb einen James Bond-Roman, der in der tatsächlichen Zeit der Kultfigur spielt und dessen Handlung immer wieder in Afrika spielt. Unter dem Titel Solo, der die wesentliche Aussage bereits beinhaltet, dass der legendäre Agent nämlich in dieser Episode auf eigene Rechnung unterwegs ist, wird das Portfolio eines guten zeitgenössischen Romans schnell visualisiert: Bond soll eine kleine Rebellenrepublik an der Westküste Afrikas destabilisieren, weil sie den Interessen des Empires entgegensteht. Er wird verstrickt in eine komplexe Interessenlage, die etwas mit Ölvorkommen und Waffenhandel zu tun hat, er wälzt sich mit attraktiven Frauen über so manches Laken und – er reflektiert seine Beziehungen. Das ist neu, stört aber nicht den Handlungsfluss.

Damit wäre man eigentlich schon dort, wo die interessanteste Frage lauert: Gelingt Boyd ein spannender Bond-Roman? Aufgrund seines erzählerischen Könnens, seiner Kenntnis des Metiers und seinem Sinn für einen halbwegs sinnvollen politischen Anspruch lautet die Antwort eindeutig Ja. Die zweite Frage ist die, ob Boyd dem Trend folgt, den seine Verfilmungen in den letzten Jahren, vor allem durch die Darstellung durch Daniel Craig, eingeschlagen haben? Und da lautet die Antwort glücklicherweise Nein. Boyds James Bond ist nicht der sich stundenweise wie ein Techno-Proll vor immer größerem Simulationsspektakel duellierende Schlägertyp geworden, durch dessen Inszenierung es immer perfekter gelingt, sinnfreie Kontexte zu produzieren. William Boyd hingegen hat mit sehr durchdachter Konzeption eine Figur geschaffen, die der Tradition treu bleibt, aber dennoch den gesellschaftlichen Wertewandel reflektiert.

In dem Roman Solo begegnen wir einen James Bond – 007, dem diese geniale Mischung aus Tradition und Moderne weiterhin anhaftet. Einerseits der englische Gentlemen alter Schule, andererseits der dunkle Charakter offener Machtpolitik, der sich der neuesten Produkte der technischen Entwicklung stets zu bedienen weiß. Neu, aber eben nicht aufdringlich neu an der charakterlichen Weiterentwicklung durch William Boyd ist ein Agent, der seinen Machismo zwar nicht abgelegt hat und nach dem Stereotyp des Jägers das weibliche Geschlecht taxiert, den es aber emotional erwischen kann und der aufgrund dessen bereit ist, sein Handlungsprogramm zu ändern, was dazu führt, dass der Agent, der Solo geht, verletzlich geworden ist. Das erlebt man allerdings nicht als qualitativen Verlust hinsichtlich von Spannung und Plot.

Insofern ist es William Boyd gelungen, den gesellschaftlichen Wandel mit in den neuen, eigenen Bond-Roman aufzunehmen, ohne der Verflachung in den filmischen Konzepten zu folgen oder die Grundkonzeption durch einen ideologischen Vortrag zu diskreditieren. Warum es unbedingt ein Bond sein musste? Wahrscheinlich eine Art archaischer Herausforderung. Machismo? Kaum!