Nun fliegen sie wieder hoch, die romantischen Traumschiffe des Regionalismus. Während in Katalonien eine korrupte Clique von Zockern auf die Abspaltung einer kulturell identifizierbaren Region von Spanien spekuliert und durch die Aktivierung der romantischen Kategorie bestimmte Sympathien für sich gewinnen konnte, sind die norditalienischen Separatisten aus der Paralyse erwacht und reklamieren nun „mehr Autonomie“ für Venetien und die Lombardei. Und wie es so ist, wenn politisch einiges in Bewegung geraten ist, in Deutschland erlebt die restaurative Phantasie des Europas der Nationen eine Renaissance und die Auguren des Springer gestreamten Spiegel besingen das Ende des Nationalstaates.
Vom Ergebnis her ist Europa dort, wo es die globalen Börsianer immer haben wollten: handlungsunfähig, weder legislativ noch exekutiv geeint und nationalstaatlich ziemlich ramponiert. Chapeau! Die Demontage der Nationalstaaten ist in vollem Vollzug und die nostalgisch verbrämte Autonomie bestimmter Regionen führt zu Regression staatlichen Handelns in Gänze. Dass mit Katalonien, Venetien und der Lombardei ausgerechnet die Regionen nach Unabhängigkeit streben, die zu den Gewinnern der Globalisierung zählen, ist die bittere Wahrheit, die alle zur Kenntnis nehmen müssen, die das Ornat von Revolluzzertum so lieben. Ja, Kataloniens Streben nach Autonomie gehört zu den Zentrifugalkräften von Solidarität und Toleranz.
Genau die Journalisten, die momentan mit flotter Feder eben diese Werte bemühen, sollten sich eine kleine Lektion in Sachen Erwerb sozialer Kompetenzen gönnen: Toleranz ist keine Gabe, sondern eine Haltung, deren Tragweite erst dann erlernt wird, wenn sie gegenüber unbequemen Nachbarn geübt werden muss. Und Solidarität wird dann zu etwas Substanziellem, wenn sie praktisch wird, d.h. wenn sie nach mehr verlangt als Lippenbekenntnissen. Nur wer praktisch gibt und hilft, ist solidarisch und nur wer das Recht des Unbequemen verteidigt, ist tolerant.
Die Institution, in der diese Tugenden anhand echter Herausforderungen gelernt und erprobt werden können, sind die Nationalstaaten, die den feisten Couponschneidern der Globalisierung so rückständig und suspekt erscheinen. Genau weil das so ist, wollen die Begünstigten die Nationalstaaten verlassen, weil sie ihre Revenuen ungestört von sozialer Schwäche und politischer Opposition verzehren können. Was da zum Teil als links durch die Feuilletons schwadroniert, ist in realiter das phantasielose Phlegma der gewölbten Bäuche.
Und die Romantiker des Europas der Regionen, in der jeder noch so mediokre Dialekt zur Amtssprache avancieren soll und in der die Stärke der vertretenen Staaten dem Flickenteppich gleichen sollen, der einmal als das Land der Dichter und Denker verspottet wurde, weil es nicht zum Nationalstaat reichte, sie wollen die Filetierung des Kontinentes als einen Akt der Freiheit verkaufen. Was aus Regionen wie Andalusien, Kalabrien, dem Saarland oder Wallonien werden soll, das ist nicht von Interesse. Vielleicht suchen sie ja ihr Heil als Hochburgen der Prostitution oder als Steueroasen. Im Europa der Regionen, in dem die Reste einer gemeinsamen Zivilisation verspeist werden sollen, wird der im Moment so reklamierte Gedanke der Freiheit keine Rolle mehr spielen.
Katalonien, Venetien und die Lombardei. Diese drei Landstriche werden wir uns merken müssen. Bekannt sind sie schon als reich, rassistisch und arrogant. Das sollte reichen, um sich dort nicht mehr hinzubegeben. Und es sollte reichen, um sich zu der Überzeugung durchzuringen, dass eine Zukunft in Europa nur dann eine Chance hat, wenn sie korreliert mit Werten wie Solidarität und Toleranz. Die jetzt dargebotene Programmatik der Autonomie verdient lediglich das Prädikat der Dekadenz.
