Oft sind wir mit der Formulierung konfrontiert, wir lebten in einer lernenden Organisation. Das ist, je nach dem, wo wir nun arbeiten oder anderweitig organisiert sind, oft mehr Appell denn als Feststellung. Denn in den meisten Organisationen gilt noch das Mantra der Fehlervermeidung. Oder anders herum, das Schlimmste, das passieren kann sind Fehler. Das passt weder zu einer lernenden Organisation noch zu einem individuellen Lernprozess. Denn diejenigen, die die Fehler begehen, sind auch oft die einzigen, die sich im Fadenkreuz der Kritik befinden. Oder anders herum: wer fehlerfrei und rechtssicher handelt, dem kann so schnell nichts passieren. Und diejenigen, die öfters einmal irren, haben einen langen, anstrengenden Weg vor sich.
Mich beeindruckte ein alter Chef, der öfters den Satz von sich gab, fragt mich doch, ich habe alle Fehler gemacht. Das war souverän und traf den Kern. Nur wer Fehler macht, und nebenbei sind das alle, und sich in einem Erkenntnisprozess damit auseinandersetzt, hat die Chance auf das, was nicht zu Unrecht als reichhaltige Erfahrung bezeichnet wird. Und die Wunden, die die Kritik hinterlassen, machen nur dann einen Sinn, wenn sie beim Verheilen eine neue Vorgehens- oder Verhaltensweise hervorbringen. Wer Fehler wiederholt, der findet entweder Verhältnisse vor, die nichts anderes zulassen oder er ist mit dem Irrtum nicht produktiv umgegangen.
Im Alltag, dem Metier, über das wir sprechen müssen, findet sich jedoch ein Muster, das der Forderung nach der lernenden Organisation im Wege steht. Werden dort Fehler gemacht, dann wird sofort nach dem Täter oder der Täterin gesucht. Und ist die Person gefunden, hat sich in der Regel der Fall erledigt. Kann ein Fehler mit einem Namen etikettiert werden, geht das Leben genauso weiter, bis die nächste konkrete Person in die Falle läuft. Die Personalisierung des Fehlers verhindert den Lernprozess.
Eine lernende Organisation muss dagegen den Fehler so schnell wie möglich ent-personalisieren. Sie muss zwar mit der Person, die den Fehler gemacht hat, in einen Dialog treten, sie muss sie aber einbinden in die Kommunikation der positiven Erkenntnisse. Es geht um die Frage, welche strukturellen Voraussetzungen dazu geführt haben, dass der Fehler gemacht wurde. Sind neben diesen auch persönliche Defizite damit verbunden, dann muss geklärt werden, welche Chancen im Kontext mit einer analogen Situation auch für das Individuum bestehen. Nach dem Motto, wer Fehler macht, hat das Privileg einer zweiten Chance.
Bleibt die Frage, ob die nahezu ideologische Fixierung auf die Fehlervermeidung eine speziell in unseren Breitengraden existierende kulturelle Dominante ist, die vor allem durch den wissenschaftlich-industriellen Kontext herausgebildet wurde. Denn da schlummert ein Monstrum, das öfters mit der Formulierung eines menschlichen Versagens aus dem Dunkeln tritt und der Menschheit das Defizitäre, Schadhafte zum Vorwurf macht ohne auf die Äußerung zu verzichten, dass die vom Menschen geschaffene Technik derartige Fehler nicht machen würde. In einer derartigen Atmosphäre wird deutlich, warum die lernende Organisation so wenig Chancen besitzt. Zwar wissen alle, dass sie den Weg zu vielen Lösungen wiese, aber ein neurotischer Legalismus und eine religiöse Technikverehrung führen zu einem Verhältnis zum Menschen, das ihn geringschätzt und ihm nicht zutraut, in produktiven Lernprozessen die zentrale Rolle zu spielen. Letztendlich ist es die Kapitulation vor der Technokratie.
