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Leistung in der Politik, Loyalität bei der Arbeit

Im Allgemeinen wird politischen Organisationen zugeschrieben, dass ihr wesentlicher Referenzbegriff die Loyalität ist. Es bedeutet, dass das Fortkommen innerhalb der Organisation davon abhängt, wie loyal sich ein Mitglied gegenüber der Organisation in bestimmten Stresssituationen verhalten hat. Ist die Loyalität entsprechend groß, d.h. kann sich die Organisation und ihre Mitglieder an verantwortlichen Stellen auf die Loyalität des Einzelnen verlassen, so ist das gut für die Organisatin wie für den Einzelnen.

Bei Arbeitsorganisationen ist der Referenzwert ein anderer. Dort geht es um die Kategorie Leistung. Wer gute Leistungen erbringt, trägt zur Schaffung guter Resultate bei und empfiehlt sich für mehr Mitsprache über die Geschicke der Organisation. Wer Leistungen erbringt, weiß, wie der Laden funktioniert und das ist das Kriterium per se. Wertschöpfung ist messbar. Wer viel leistet, schafft große Werte und wer große Werte schafft, hat Gewicht.

Wer der hier vertretenen These kritisch gegenübersteht, möge sich einem Gedankenspiel widmen, das nahezu kuriose Resultate erzielt. Man stelle sich vor, in einer politischen Organisation zähle in erster Linie die Leistung. Es hätte zur Folge, dass das gesamte Spitzenpersonal ausgetauscht werden müsste und der Laden dennoch bei der ersten Krise auseinanderflöge, weil die mangelnde Loyalität die Fluchtbewegung der Leistungsträger zur Folge hätte.

Umgekehrt wäre es fatal, wenn in der Arbeitsorganisation die Loyalität die oberste Priorität genösse. Dann gäbe es zwar ein großes Gefühl des Zusammenhaltes, die Wertschöpfung ginge allerdings gegen Null, weil die Leistungsträger die Organisation verließen wie die Ratten das sinkende Schiff und die Organisation wäre sehr schnell dem Untergang geweiht.

Nicht, dass es nicht auch in der Realität diese kuriosen Gebilde gäbe, aber sie sind selten und zählbar. Das Entscheidende bei der Betrachtung ist jedoch etwas anderes: Wenn die beiden Referenzwerte jeweils für ein System sprechen, die Loyalität für die Politik und die Leistung für die Arbeit, so heißt das nicht, dass nicht beide auch im jeweils anderen System vorhanden sein müssten und sogar einen lebenswichtigen Part spielten. Sowenig wie politische Organisationen ohne Leistung auskommen, so wenig können Leistungsorganisationen ohne Loyalität existieren. Auch wenn der jeweilige Wert nicht das wesentliche Charakteristikum der Organisation ist, so ist er dennoch ein entscheidendes Kriterium.

Im Falle der politischen Organisation kann eine mangelnde Leistungsfähigkeit nicht durch exklusive Loyalität kompensiert werden und eine gänzlich loyalitätsfreie Arbeitsorganisation scheitert auf der ganzen Linie, wie hoch die Wertschöpfung auch sein mag. Dieser Zusammenhang führt zu dem Punkt, der die einzige Gemeinsamkeit der beiden Referenzsysteme beschreibt: Sie können sowohl durch den Entzug der Grundsubstanz wie durch den Entzug des Supplements empfindlich getroffen und gelähmt werden.

Politische Organisationen, denen von den eigenen Mitgliedern die Loyalität verweigert wird, befinden sich sofort auf der Alarmstufe Rot, während sie bei der Verweigerung der Leistung erst allmählich begreifen, dass eine substanzielle Krise bevorsteht. Analog verhält es sich bei der Arbeitsorganisation: Die Verweigerung der Leistung bewirkt den sofortigen Schockzustand, das Ausbleiben der Loyalität zehrt langsamer aus.

Inwieweit welches Mittel von den Mitgliedern gewählt wird, hängt von dem internen Dissens ab. Transparent und ehrlich wäre es, die eigene politische Organisation durch Loyalitätsentzug und die eigene Arbeitsorganisation durch Leistungsverweigerung zu warnen. Die jeweils andere Option wirkt eher wie ein schleichendes Gift. Letzteres wird momentan favorisiert. Die klaren Worte fehlen. In der Politik fehlt es an Leistung, und bei der Arbeit mangelt es an Loyalität.

Normierung statt Potenzialerkennung

Um das zu begreifen, was vor sich geht, wenn komplexe Faktoren in einem gemeinsamen System aktiv werden und auf ein bestimmtes Ergebnis hinwirken, wurden immer wieder große Anstrengungen unternommen. Letztendlich geht es darum, wie die soziale Ordnung derer ist, die in einem Ensemble ein Ziel verfolgen. Die Modelle, die zur Erklärung eines solchen Unterfangens bemüht werden, reichen von inspirierend bis notdürftig. Die Systemtheorie zum Beispiel gehört sicherlich zu den inspirierenderen, weil sie für sich eine Universalität, unabhängig von konkreten Kontexten, beanspruchen kann. Wohingegen das Mantra vieler, die sich mit Organisationstheorie beschäftigen, wie ein nicht mehr erhellendes Instrument der Sechziger Jahre erscheint. Dennoch ist es allenthalben en vogue, und kaum jemand traut sich zur Zeit, die Grundgedanken des Modells in Frage zu stellen.

Die vor allem im Arbeitsleben zelebrierte Organisationstheorie geht von drei Bestandteilen aus, die jeweils zu untersuchen sind: Produkte und Leistungen, Prozesse und Rollen. Es geht also um die sehr ordinäre Frage, was an Personal und welche Arbeitsabfolgen gebraucht werden, um eine bestimmte Leistung zu erbringen. Diese Perspektive ist die des Taylorismus und sie hatte hierzulande sicherlich ihren Höhepunkt während der Rationalisierung der Industrieprozesse in den Siebziger Jahren des letzten Jahrtausends. Seitdem hat sich sehr viel geändert, vor allem bei der Betrachtung von Prozessen und Menschen, nur die offizielle Sichtweise, die darüber entscheidet, von wem, wie und zu welchen Bedingungen gearbeitet wird, diese Sichtweise ist die alte geblieben und zu einer der größt vorstellbaren Produktivitätsbremsen geworden, die vorstellbar sind.

Das Mantra von Leistung, Prozess und Rolle geht, nimmt man es genau, bis hin in eine politisch untragbare Normierung. Das Vorgehen ist immer das gleiche: Es wird eine Handlung beschrieben wie sie idealtypisch vollzogen werden soll, daraus wird das Anforderungsprofil derer abgeleitet, die diese Handlung vollziehen sollen. Bei der Entscheidung darüber, wer dies ist, wird die tatsächliche Befähigung mit den Anforderungen abgeglichen und die Person, die dem am nächsten kommt, wird ausgewählt. Da eine Kongruenz zwischen Befähigung und Anforderung fast nie eintritt, befinden sich die Menschen, denen die Handlung zugetraut wird, immer im defizitären Bereich zur Anforderung. Diese Defizite zwischen Normierung und tatsächlichem Potenzial stellen den gesamten Handlungsraum dessen dar, was als Personalentwicklung gilt.

Allein der Aspekt der so genannten Rolle bietet also großes Potenzial, um sich über das zu unterhalten, was da schief läuft. Ein einfacher Hinweis sei gestattet und möge reichen, um auf die technokratische Anomaliät hinzuweisen, die diesem Denken zugrunde liegt: Alle großen Organisationen führen detailliert Buch über die oben beschriebenen Defizite zwischen Anforderung und Befähigung. Über die mit keinem normativen Bild abgeglichenen Fähigkeiten oder Potenziale wissen sie jedoch nichts. Und es gehört nicht viel Phantasie dazu, sich vorzustellen, welcher Vorstellungswelt die Beschreibung der zugedachten Rollen entspricht. Es sind Organisatoren mit technokratischem Horizont, die das Idealtypische an humaner Wirkungskraft formulieren sollen.

Unabhängig von den völlig anderen, eher der Chaostheorie affinen Prozesse zeitgenössischer Arbeitsorganisation, auf die an anderer Stelle eingegangen werden muss, findet in deutschen Organisationen immer noch eine maskulin-zentraleuroäische Normierung statt, die weit von den Potenzialen abweicht, die sich mittlerweile hier im ungenutzten Raum bewegen. Besonders deutlich wird das werden bei der Integration der Immigrantinnen und Immigranten. Dann wird wieder die Rede davon sein, was sie alles tun müssen, um an das herrschende Mantra des Messen-Zählen-Wiegen heranzukommen. Was sie können und beherrschen jenseits dieses Mantras und was dadurch bereichern könnte, steht nach der gängigen Theorie nicht zur Debatte.

Eliten: Stillstand oder Bewegung?

Bei der Betrachtung von Gesellschaften spielt das Thema immer wieder eine wichtige Rolle. Es geht um die Eliten. Ihre Zugehörigkeit ist in der Regel ein Beschleunigungsfaktor im sozialen Vergleich und befördert die innere Dynamik. Die Art der Definition sagt sehr viel über die Befindlichkeit der Gesellschaft selbst aus und das Verhalten derer, die sich zur Elite zählen, lässt Prognosen über zukünftige Perspektiven derselben zu. Die Definition des Elitebegriffs ist relativ trivial, er hält sich immer an die lateinische Wurzel der Auslese und schränkt eine kleine Gruppe als das ein, worum es geht. Weitaus interessanter beziehungsweise weiter führender ist die Soziologie der Elite und die damit verbundene gesellschaftliche Diagnostik.

Bei allen möglichen Konfigurationen dominieren soziologisch vor allem zwei Kategorien von Eliten, die nur durch bestimmte Adjektive verwässert werden, die einen Mikrokosmos ausweisen, der nur bedingt gesellschaftliche Wirkung zeigt. Das können Metiers wie Bildung, Musik oder Sport sein. Die wesentlichen Kategorien sind allerdings weit mächtiger. Es handelt sich dabei zum einen um die Elite, die sich nach Status definiert. Ihr geht es um Insignien wie Macht und Reichtum. Die Frucht des elitären Daseins wird dort zum Zweck. Ohne einer Bewertung vorgreifen zu wollen, ist dieser Elitebegriff kein gesellschaftlich gestaltendes, sondern ein verzehrendes Moment. Wer sich einer Status-Elite zugehörig fühlt, der hat es in der Regel geschafft, zu dem auserwählten Kreis zu gehören. Damit hat es sich dann aber auch bereits getan. Ein Blick auf diese Eliten zeigt in der Regel eine relative Lust- und Trostlosigkeit, weil die alles erschlagende Metapher die der Sattheit zu sein scheint. Die, die dorthin wollen, haben den Hunger nach Bestätigung, die, die bereits dort sind, sind zwar auch nie satt, aber ihnen ist es permanent schlecht.

Im Gegensatz dazu ist die Definition der Elite nach Funktion respektive Leistung eine andere Geschichte. Dabei geht es zwar auch um Macht und Privilegien, diese resultieren jedoch nicht aus einem Selbstzweck, sondern aus einer Gestaltung innerhalb der Gesellschaft. Wer in Funktionen denkt, wird vom Wunsch nach Gelingen und nicht dem nach Verweilen getrieben. Demnach ist es nicht übertrieben zu schlussfolgern, dass die Eliten des Status den Stillstand und die der Funktion die Bewegung verkörpern.

Und genau an diesem Punkt wird es interessant. Dominiert in einer Gesellschaft der Wunsch nach der Zugehörigkeit zu einer Status-Elite, dann ist das eine Referenz für relativen gesellschaftlichen Stillstand. Überwiegt die Attraktivität einer Funktionselite, dann lässt das auf eine dynamische Gesellschaft schließen. Eine Analyse der eigenen, gegenwärtigen Gesellschaft bleibt jedem selbst überlassen. Wer gilt als Elite und welcher Elitebegriff dominiert?

Interessant ist der Versuch, einen Spagat zwischen Status und Funktion zu vollziehen. Traditionell ist diese Version in der chinesischen Kultur verwurzelt. Dort existierten immer schon Meritokratien, d.h. Eliten, die sich über Funktionen definierten, die einen bestimmten Status versprachen, den man aber nur erlangte, wenn man sich durch Leistung verdient gemacht hatte. Folglich könnten sie Verdienst-Eliten genannt werden.

Die europäische Adaption dieser sehr klugen Konstruktion resultiert ideell aus dem revolutionären Frankreich. Auch die Französische Revolution war ein vehementes Aufbegehren gegen die aristokratischen Status-Eliten. Leistung sollte durch Besitz ersetzt werden, und zwar Leistung im Sinne der gesellschaftlichen Erfordernisse. Diese Dynamik ist momentan allerdings kaum identifizierbar.