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Ein letzter enzyklopädischer Blick in die Zukunft

Eric Hobsbawm. Fractured Times. Culture And Society In The Twentieth Century

Mit ihm verabschiedete sich eine der letzten großen Figuren des universalen Gelehrtentums der okzidentalen Sphäre. Eric Hobsbawm, der 1917 im ägyptischen Alexandria mit britischem Pass geboren wurde, seine Kindheit und Jugend in Wien und Berlin verbrachte und dann nach London zog, um eine unbeschreibliche Produktivität als Historiker und Publizist zu entwickeln. Der Marxist, was er übrigens zeit seines Lebens blieb, hinterließ nicht nur drei epochale historische Studien, Europäische Revolutionen: 1789 – 1848, Die Blütezeit des Kapitals. Eine Kulturgeschichte der Jahre 1848 -1875 und Das imperiale Zeitalter 1875 -1914, sondern eben auch Werke über biographische Sonderlinge, kunsthistorische Fragestellungen und den Jazz. Kein Wunder, dass der zudem eloquente Hobsbawm ein gern gesehener Gast auf Festivals und Kongressen war. Nun, nach seinem Tod 2012, erschien sein wohl letztes Buch. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von Aufsätzen, Vorlesungen und eben Workshopauftritten alässlich von Festivals zu sehr unterschiedlichen Themen. Unter dem Titel Fractured Times. Culture And Society In The Twentieth Century weht der Leserschaft noch einmal der Geist dieses außergewöhnlichen Intellektuellen entgegen.

In insgesamt vier Kapiteln geht es zunächst um die Bestandsaufnahme der zeitgenössischen Künste mit sehr inspirierenden Prognosen über ihre Entwicklungspotenziale. Dabei besticht vor allem die Analyse der sozialen Daseinsformen für Musik, Literatur und bildende Künste einschließlich der Architektur. Die Bestandsaufnahme der Kultur der bürgerlichen Welt wiederum überzeugt durch das scharfe Auge im Hinblick auf die Kohäsion dieser Kultur. Immer wieder tauchen Aspekte auf, die verblüffen, z.B. Hobsbawms eigenwillige, aber durchaus plausible Erklärungen für die Identifikation der deutschen Juden mit der dieser Nation zugeschriebenen Kultur, die er als Identifikation mit den Möglichkeiten des sozialen Aufstiegs in die bildungsbürgerliche Mittelklasse sieht. Das dritte Kapitel, mit Ungewissheiten, Wissenschaft und Religion überschrieben, befasst sich Hobsbawm gleich mit mehreren essenziellen Fragestellungen: Den Paradigmen der Zukunft (Chance oder Untergang), der Rolle der Intellektuellen, vor allem ihrer Rolle im Magnetfeld der Macht sowie der Künste im Prozess der sozialen Revolution. Und schließlich, im 4. Kapitel, entpuppt sich der immer wieder in ökonomischen Kategorien denkende Historiker noch als ein faszinierender Mythendeuter, indem er sich dem Widerspruch von Pop und Kultur widmet, der in einer nahezu metallischen Symbiose endete und dem Bild des amerikanischen Cowboys, den er als internationalen Mythos entlarvt, der uns jedoch mehr Auskunft über uns selbst gibt als dass er Interessen Dritter verschleierte.

Man muss nicht alle Visionen und Meinungen des Autors teilen, um nicht doch zu dem Urteil zu kommen, dass Menschen mit einer Biographie Eric Hobsbawms zu den großen Geschenken zählen, die der arge Weg der Erkenntnis für die Unermüdlichen parat hat. Von einem Vorposten des Orients, über die Kulturtempel und Politarenen des alten Europas hin zu der untergehenden Schaltzentrale eines historisch überkommenen Empires: Hobsbawm hat die jeweilige intellektuelle Sphäre, die er kulturell durchschritt, in sich aufgesaugt und dem von ihm gewählten Ordnungsprinzip, einer Vorstellung von Aufklärung im Zeitalter der sozialen Gerechtigkeit untergeordnet. Und dieses Prinzip tut gut, es ist ein Leitstern, der nichts Dogmatisches verstrahlt, weil man diesem Urgestein des europäischen Humanismus mit jeder Zeile attestieren muss, dass der Prozess des interessierten Lernens über allem steht. Neben den überaus interessanten Aspekten, die in Fractured Times betrachtet werden, ist es noch die Attitüde dieses Denkers, die schlichtweg ergreifend ist.

Ist Management Kunst?

Die Erkenntnis, in einem Zeitalter der instrumentellen Vernunft zu leben, kommt so manchem Chronisten bereits aus den von Wurmstich befallenen Ohren heraus. Und die Überprüfung der aus der Erkenntnis abgeleiteten These ist eine leichte frühsportliche Übung. Die Vorstellung, unsere Welt zu gestalten, wird im Allgemeinen gleichgesetzt mit der Wahl der Instrumente, die man dazu zu benötigen glaubt. Das Verhältnis von Ziel und Mittel ist reichlich durcheinander geraten und es gilt als durchaus schick und smart, die Kausalität von beidem zu leugnen und auf den zweifelsohne vorhandenen Doppelcharakter von beidem zu pochen.

Management, dessen Begriff sich aus dem italienischen menagere ableitet, was soviel bedeutet wie im Kreise herum führen, konditionieren, domestizieren und zivilisieren, gilt als beliebig. Dabei handelt es sich um einen komplexen Prozess, der zweifelsohne mit dem Begriff Führen überschrieben werden kann. Es ist aber nicht nur das direkte, auf soziale Interaktionspartner abzielende Führen, sondern auch das Hinführen einer ganzen Organisation zu bestimmten Zielen. Letzteres setzt den Willen und die Fähigkeit voraus, Entscheidungen zu treffen und deren Konsequenzen zu tragen.

Die Verwissenschaftlichung unserer gesamten Lebenswelt hat den Trugschluss genährt, man könne quasi für jede Situation im Leben ein Instrument finden, dass es einem ermöglicht, die richtigen Entscheidungen zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Nichts bleibt dem Zufall überlassen, alles ist planbar und so genannte Frühwarnsysteme ermöglichen es, aufkommende Gefahren frühzeitig zu identifizieren und sich entsprechend zu verhalten. Je weiter man den Markt der Managementinstrumente sondiert, desto tiefer dringt man ein in mathematisch operierende Systeme, die letztendlich quasi von selbst das erledigen sollen, wofür der Manager eigentlich da ist.

Das Wesen von Menschen in Führungsverantwortung wird jedoch nicht daran abgelesen werden können, inwieweit sie dem Determinismus von Instrumenten folgen, sondern ob es ihnen gelingt, in konkreten Situationen abzuwägen, zu vergleichen und zu handeln. Letzteres hat etwas mit Mut, strategischer Kompetenz, Erfahrung, Wille und Charakter zu tun. Je mehr diese Eigenschaften schwinden, desto größer der Bedarf nach Instrumenten, die das Fehlende ersetzen sollen.

Das Führen und Entscheiden jenseits der Arithmetrik ist bis zu einem gewissen Grad erlernbar, da ohne Instrumente und helfende Ordnungsprinzipien die eigentliche Kür nicht zum Tragen kommt. Letztere ist die praktische Entscheidung in einer konkreten Situation, die nicht mehr alleine von handwerklich Erlernbarem bestimmt, sondern getragen wird von einer Vision über Zukunft, einer Vorstellung von strategisch wirksamen Faktoren und einem Gespür für die zu erwartende Resonanz, im positiven wie im negativen Sinne. Diese Form von Management, die eigentliche, ist hohe Kunst, weil sie jenseits der Übung geprägt wird von existenzieller Verpflichtung und individueller Note.